Warum Russlandfreunde nicht AfD wählen sollten

[Kommentar von Roland Bathon] Wenn man aktuell in deutschsprachigen Sozialen Netzwerken durch unmoderierte Russlandcommunities surft, wird man aufgrund der aktuellen Wahlen von einschlägigen Agitatoren mit AfD-Werbung regelrecht zugeballert. Immer mehr Russlandfans stinkt das und sie äußern sich kritisch dazu – mit vollem Recht.

Doppelte Staatsbürgerschaft – normal oder verwerflich?

Denn wirklich im Interesse der deutsch-russischen und auch russlanddeutschen Community wäre eine Machtergreifung der Alternative für Deutschland nicht. Das liegt ganz profan an den Zielen der Partei. So ist es unter Russlanddeutschen und auch bei Kindern anderer binationaler russisch-deutscher Ehen völlig normal, dass sie die russische und deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Man fühlt sich zwei Nationen zugehörig und das ist normal und im Sinne einer Völkerverständigung gut so und man kann leichter zwischen der alten und neuen Heimat reisen. Auch ist es in Russland völlig normal, beispielsweise gleichzeitig einem anderen Volk anzugehören und von der Staatsangehörigkeit Russe zu sein.

Genau jenes Verständnis von Staatsangehörigkeit widerspricht diametral dem der AfD, die die doppelte Staatsangehörigkeit komplett abschaffen will. Hierdurch würden Doppelstaatler nicht nur völlig grundlos gezwungen, die Hälfte ihrer Identität abzulegen.  Beispielsweise würden auch viele ältere Spätaussiedler, die in Russland Jahrzehnte berufstätig waren, mit der Aufgabe ihrer dortigen Staatsangehörigkeit ihren hart erarbeiteten russischen Rentenanspruch verlieren – und dieser bewegt sich durch die Rubelschwäche nicht etwa im Centbereich. Der gesamte deutschen Volkswirtschaft ginge in zigtausenden von Fällen ein Zufluss von Kapital abhanden.

AfD-Sozialpolitik würde vielen Russlanddeutschen schaden

Auch die sozialpolitischen Ziele der AfD widersprechen den Interessen der Russlanddeutschen. Viele mussten nach ihrer Aussiedlung nach Deutschland erfahren, dass Ihre in der alten Heimat erworbene Qualifikation in Deutschland nicht anerkannt ist und fanden sich schnell ohne eigene Schuld dauerhaft am unteren Rand der deutschen Gesellschaft wider, wo Mindestlohn und soziales Netz zentrale Bausteine des eigenen Lebensunterhalts sind.

Eben jenen Mindestlohn will die AfD mit einer kruden Begründung abschaffen, Hartz IV soll durch ein unterbezahltes Zwangsarbeitssystem – beschönigend „Bürgerarbeit“ genannt – ersetzt werden. 3,6 Millionen Menschen, darunter zahlreiche Spätaussiedler profitieren momentan vom Mindestlohn, der dann fällt. An der Theorie der AfD, dass diese Menschen fast nie Vollzeit arbeiten, ist nur wenig wahres und auch bei Teilzeitarbeit ist es ja mehr als angemessen, für jede bezahlte Tätigkeit einen angemessenen finanziellen Ausgleich zu bekommen – und kein Almosen.

Rechtes Familienbild und Migrationsstop

Die AfD versucht dennoch gezielt im Bereich der Russlanddeutschen und Russlandfreunde Fuß zu fassen, eben mit der in diesem Kreisen oft positiveren Einstellung zum traditionellen Familienbild und einer häufig negativen Einstellung zur aktuell recht wenig geregelten Einwanderung. Die AfD lehnt Migration nach Deutschland weitgehend ab – das ist ihre zentrale Position zum Stimmenfang.

Doch was hat sie der nicht nur drohenden, sondern bereits stattfindenden Vergreisung der deutschen Gesellschaft entgegen zu setzen? Es gibt bereits zu wenig Kinder und ohne die Kleinen mit Migrationshintergrund wäre die Situation bereits noch viel dramatischer! Die AfD setzt hier auf schulische Erziehung zu Kinder- und Familienfreude. Das klingt doch schön und auch der Autor dieser Zeilen lebt glücklich in einer klassischen Familie mit Trauschein und ohne Patchwork. Doch im Gegensatz zur AfD masst er sich nicht an, anderen Leuten vorzuschreiben, wie sie ihr Glück zu finden haben.

Zusätzlich glaubt er, dass der aktuell bestehende gesamtgesellschaftliche Egoismus – gerade unter den einheimischen Deutschen – der Entstehung glücklicher, harmonischer Partnerschaften als ideale Basis für Kinderwohl mehr entgegen steht, als eine falsche schulische Erziehung. Denn wenn man nur an sich denkt, ist das gerade einer funktionierenden Partnerschaft und einer notwendigen Rücksichtnahme auf Kinder völlig entgegen gerichtet. Und es sollte den rechten Demagogen eines angeblichen deutschen klassischen Familienbildes schon zu denken geben, dass es gerade die einheimischen Deutschen sind, die weniger Kinder haben und mehr und mehr die klassische Form des Zusammenlebens aufgeben. Eine homogen ethnisch-deutsche Gesellschaft, die der AfD vorschwebt wäre wesentlich kinderärmer und es ist sehr fraglich, ob ein Lehrplan auffangen kann, was schon daheim nicht vorgelebt wird.

Deutsch-Russische Freundschaft via AfD?

Kommen wir zum gewichtigsten Argument, dass AfD-Werber in deutsch-russsichen Kreisen zur Parteienwerbung ins Feld führen: Der angeblich entstehenden deutsch-russischen Freundschaft. Doch hier müssen sie sich schon fragen lassen: Wie stabil ist eine Freundschaft zwischen zwei Nationen, wenn sie von derart nationalistisch denkenden Menschen wie den Aktivisten der AfD geleitet werden? Ist hier überhaupt mehr als ein vorübergehendes Zweckbündnis möglich? Ist nicht Streit wegen widersprechenden nationalen Interessen vorprogrammiert? Wer hier widersprechen will: Ein einfaches Bespiel. Fragt einmal einen rechten AfD-Aktivisten (gibt es auch andere? Noch keinen online getroffen), ob Kaliningrad – für diese Zielgruppe: Königsberg in Ostpreußen – rechtmäßig deutsch oder russisch ist. Fragt danach gerne einen russischen Nationalisten und dann werdet Ihr verstehen, was ich meine.

Natürlich berichten die staatlich-russischen Medien aktuell über AfD und Co. vergleichsweise positiv und breit. Doch auch das aus rein russischem Interesse heraus – und das tun sie ebenso über linke Bewegungen wie Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien – das tun sie über alle Bewegungen, die im Inneren gegen den weltpolitischen Hauptfeind NATO aktiv sind. Das ist keine Freundschaft. Freundschaft zwischen Nationen entsteht nur, wenn man die Schranken zwischen ihnen überwindet, wenn man international statt national denkt. Die AfD predigt das genaue Gegenteil – Deutschtum und preußische Tugenden.

Auch Putin wäre kein deutscher Rechtsaußen

Übrigens ist auch Rechten-Idol Putin ein konservativer und überwiegend in nationalen Maßstäben denkender Mensch. Wenn man jedoch seine Statements zum Islam, zum Judentum oder zur Multiethnie in Russland anschaut wird man merken, dass man ihn im deutschen Parteienspektrum kaum rechtsaußen verorten kann. Die deutschnationale  Verehrung für ihn ist wohl eher ein Ausfluss der Sehnsucht deutscher Rechter nach dem „starken Mann“ ist, den er in Russland unzweifelhaft verkörpert.

Alle diese Beispiele müsste deutlich vor Augen führen, wie wiedersinnig die Wahl der AfD für jeden Russlandfreund ist. Und vielleicht ist es manchem ausgefallen: Wir sind hier rein sachlich vorgegangen und ohne jedes Toleranzgesäusel oder (soll ich sagen deutsches?) Oberlehrergetue ausgekommen. Manch einer wird mich jetzt fragen – was soll ich denn dann wählen? Die großen Parteien tun sich mit Russlandverständnis wirklich nicht hervor und die Grünen sind ja in den letzten beiden Jahrzehnten regelrecht zum Inbegriff des russlandfeindlichen weltweiten Moralapostels mutiert. In der Tat ist die Wahl schwer und ich gebe hier keine Empfehlung ab, da ich ebenfalls überall andere Bauchschmerzen hätte. Aber die AfD – die sollte es auf keinen Fall sein.

Roland Bathon, russland.RU

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