Tillerson in Moskau: Warum macht Russland den USA Zugeständnisse?

Der Besuch von Rex Tillerson in Moskau erwies sich überraschenderweise als konstruktiv. Steckt dahinter eine neue Politik oder Planlosigkeit? Die  oppositionelle Zeitung „Republic“ spricht vom Beginn einer Wende in der Politik des Kremls.

Die Visite des US-amerikanischen Außenministers Rex Tillerson in Moskau verlief besser, als angesichts der akuten Krisensituation um die Chemieattacke in Syrien zu erwarten war. Es gab kein Zerwürfnis; es wird keine neue Karibische Krise geben. Wie Chruschtschow in der Krise um Kuba, ist Putin in der syrischen gezwungen, einen Gang zurückzuschalten, um das Irreparable zu verhindern und Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu wahren.

Moskaus konstruktiver und versöhnlicher Ton zeugt von der Absicht, das Fenster der Möglichkeiten zur Verbesserung der Beziehungen mit den USA unter der Administration Trump offenzuhalten. Die Regie des lange nicht bekräftigten und dann doch stattgefundenen Treffens von Putin mit seinem amerikanischen Gast (eine Absage hätte Trump als persönliche Beleidigung gewertet) zeugt vom großen Interesse der russischen Leitung an der Organisierung der ersten persönlichen Begegnung der beiden Staatschefs.

Lawrows zahlreiche Versuche, alle Probleme zwischen Russland und den USA auf „die Handlungen der Administration Obama“ und auf gewisse „dritte Kräfte“ abzuschieben, die in den russisch-amerikanischen Beziehungen „Konflikte provozieren“, legt Moskaus Absicht offen, um jeden Preis die Konfrontation abzuschwächen und die Beziehungen von Grund auf zu erneuern. Moskau war fest darauf ausgerichtet, einen gewissen Vertrauenskredit gegenüber der Administration Trump zu bewahren, und hat diese Aufgabe gemeistert.

Der wortkarge Tillerson ging nicht einen Millimeter von den bereits vor der Begegnung vorgelegten Positionen ab, die da lauten: Assad ist Schuld an der Anwendung von Chemiewaffen und Russland trägt die Verantwortung dafür, dass Damaskus die Verpflichtung zu ihrer Vernichtung nicht erfüllt hat; Assad hat keine Zukunft bei der syrischen Regelung; die Sanktionen gegen Russland werden bis zur vollen Umsetzung der Minsker Vereinbarungen aufrechterhalten; Russlands Einmischung in die amerikanischen Wahlen ist bewiesen und im Zusammenhang damit sind neue Sanktionen möglich.

Diese Unnachgiebigkeit zeugt davon, dass sich die russische Seite auf Zugeständnisse eingelassen hat. Diese Zugeständnisse sind übrigens rein stilistische, in Form von Lawrows versöhnlicher Rhetorik, der die inhaltliche Leere mit schönen Formulierungen zudecken musste. Die Meinungsverschiedenheiten bei den Schlüsselfragen sind zu stark, das sieht man am Fehlen der annoncierten konkreten Übereinkünfte (außer dem zutiefst symbolischen Beschluss, Sondervertreter „zur Erörterung der Probleme in den Beziehungen“ ohne jedes politische Mandat für ihre Lösung zu benennen).

Als wichtiges, aber ebenfalls symbolisches Zugeständnis kann Putins Versprechen angesehen werden, den vor drei Tagen eingestellten Kommunikationskanal zwischen den Militärs zur Vermeidung von Zwischenfällen am Himmel über Syrien wieder aufzumachen, wenn die Amerikaner in Zukunft Assad nicht bombardieren. In Wahrheit war dieser Kanal die ganze Zeit aktiv, und die Amerikaner spielten so gut sie konnten in unserer Inszenierung der Unzufriedenheit mit dem Raketenschlag der USA auf die syrische Luftwaffenbasis in Homs mit.

Es wird keine Konfrontation geben

Die Schlüsselfrage, die Moskau bei den Verhandlungen mit Tillerson zu lösen versuchte, bestand darin, für sich selbst eindeutig herauszufinden, ob in Trumps Außenpolitik nach dem Giftgasangriff und dem Raketenschlag eine radikale Wende vom nationalistischen Isolationismus zum auf einseitige Gewalthandlungen basierenden Interventionismus geschehen ist, wie er bei den Republikanern zu Zeiten von George Bush Junior üblich war. Ist es zu einer umfangreichen Erweiterung der Ziele der amerikanischen Politik in Syrien gekommen – weg vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus von IS und Al-Nusra und hin zur Absetzung des Assad-Regimes mit Hilfe amerikanischer Militärgewalt? Außerdem stand die Frage im Raum: Werden die USA Russland direkt der Mittäterschaft bei der Chemieattacke in Idlib beschuldigen und mit der Verhängung neuer Sanktionen bezüglich Syrien reagieren? Tillersons Antworten haben Moskau, so scheint es, zufriedengestellt.

Im Vorfeld hatten führende Mitglieder von Trumps Administration zu diesen Fragen sich gegenseitig ausschließende Signale gesendet. Trump selbst bezeichnete Baschar Assad als „Tier“, gerettet von Russland, als er schon gestürzt werden sollte und das Problem heute nicht mehr existieren würde. Nikki Haley, US-Botschafterin bei der Uno, und Außenminister Tillerson erklärten, Assad habe keinen Platz im künftigen Syrien und die Ära der Herrschaft seiner Familie ginge zu Ende.

General McMaster, Berater des Präsidenten für nationale Sicherheit, sagte, Russland habe die Anwendung von chemischen Waffen seitens Assad gedeckt und möglicherweise sogar vorher von den Plänen der Giftgasattacke gewusst. Das Weiße Haus veröffentlichte einen weiteren Bericht der Geheimdienste, in dem Assad die Schuld für den Zwischenfall auferlegt wird; die russische Version des Vorfalls (die syrische Luftwaffe zerbombte ein Lager der Opposition mit chemischen Waffen) wurde als haltlos bezeichnet; nicht genannte Vertreter der Administration kamen zu dem Schluss, Russland habe vorher von der in Vorbereitung befindlichen Attacke gewusst und trage die Verantwortung für die Opfer.

Zugleich bekräftigte Pentagon-Chef James Mattis die Absicht der USA, erneut Schläge gegen Assads Armee zu führen, sollten ein weiteres Mal chemische Waffen angewendet werden; der Pressesekretär des Weißen Hauses räumte die Möglichkeit neuer Schläge der USA gegen Syrien auch in anderen Fällen ein, wenn das syrische Regime Massenmorde begeht.

Und schließlich – bereits nach dem Treffen der Außenminister der G7 – versetzte Tillerson alle mit der Erklärung in Unruhe, dass die USA „erneut ihre Absichten bekräftigt, zu erreichen, dass diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die Verbrechen gegen unschuldige Menschen in der ganzen Welt begehen“. In Kombination mit dem persönlichen Aufruf Tillersons an Russland, den „unverlässlichen Partnern“ Assad, Iran und Hisbollah eine Absage zu erteilen, da der Bund mit ihnen „nicht den russischen Interessen entspricht“, und sich dem Westen anzuschließen, um bei der Zukunft Syriens eine wichtige Rolle zu spielen, sah das alles wie ein Remake der „Achse des Bösen“ und dem „Entweder-ihr-seid-mit-uns-oder-ihr-seid-gegen-uns“ von George Bush Junior aus. Da konnte man schon einen Schrecken bekommen, und Putin zog erstmals Parallelen zur Intervention der USA 2003 in den Irak.

Aber die Hauptängste haben sich nicht materialisiert. Trump erklärte, die USA würden nicht „nach Syrien hineingehen“, um Assad zu stürzen. Diese These wurde schnell von Tillerson und Mattis wiederholt, wobei sie betonten, die einzige militärische Priorität der USA in Syrien bleibe die Vernichtung des IS, und man plane keine flugfreien und humanitären Zonen (Mattis beschrieb aber ziemlich nebulös das Szenario möglicher neuer Schläge der USA in Syrien im Falle „der Vorbereitung der Anwendung von chemischen Waffen“).

Tillerson hatte noch vor seiner Ankunft in Moskau und dann im Verlauf der Verhandlungen entschieden die Vermutungen zurückgewiesen, dass Russland im Voraus von dem Giftgasangriff in Idlib gewusst habe. Er erklärte, es gebe keinerlei Beweise einer russischen Rolle in dem Vorfall. Das entschärfte die Atmosphäre.

Der Reinfall der schlecht vorbereiteten Improvisation von Boris Johnson, dem britischen Chefdiplomaten, beim Treffen der G7-Außenminister, wo er neue Sanktionen gegen Russland für die Unterstützung Assads forderte, sowie seine extravagante Initiative, Russland die Mitgliedschaft in der G8 zurückzugeben, wenn es im Gegenzug die Unterstützung für Damaskus aufgibt, beruhigten Moskau endgültig.

Eine psychologische Verschiebung

Zugleich kam es bei der amerikanischen Position zu der Frage über das weitere Schicksal Assads und über Moskaus Unterstützung für das syrische Regime zu einer psychologischen Verschiebung. Der Westen ergriff erstmals die Initiative und ging in die Offensive. Nach der Chemieattacke in Idlib sehen die USA und andere westliche Länder jetzt die Möglichkeit zur Mobilisierung eines internationalen Drucks auf Moskau. Russlands Position ist erstmals nach der russischen militärischen Einmischung in Syrien äußerst verletzbar geworden. Es gibt keinerlei Beweise zugunsten seiner Version des Vorfalls; Assad hat Moskau einen sehr schlechten Dienst getan, und die Folgen für Russlands internationalen Ruf und seinen Einfluss sind äußerst negativ.

Bereits nach den Verhandlungen mit Tillerson war Moskau gezwungen, im UN-Sicherheitsrat das achte Veto gegen einen Resolutionsentwurf der USA, Großbritanniens und Frankreichs einzulegen, der eindeutig auf die Schuld von Damaskus verwies. Hierher rühren die Versuche im Laufe der Verhandlungen mit Tillerson, die ganze Geschichte in den Rahmen einer unabhängigen internationalen Untersuchung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zu stellen. Aber das war nicht mehr als der Versuch, Zeit zu gewinnen und die Aufmerksamkeit der internationalen Kritik abzuschwächen. Dabei begann die internationale Untersuchung gerade mit jener Resolution, die Moskau mit einem Veto belegte.

Für die Amerikaner schafft dies die Möglichkeit, Druck auf Russland auszuüben; der Raketenschlag gegen die Basis in Homs, dem Moskau nichts entgegensetzen konnte, hat in Washington den Eindruck erweckt, dass die Initiative jetzt auf Seiten der USA sei; Russland ist erstmals seit 2015 in eine Lage gebracht worden, in der es sich verteidigen und auf unvorhersehbare Handlungen Washingtons reagieren muss.

Das Ziel der USA ist, Moskau dazu zu bewegen, die militärische Unterstützung für Assad wesentlich zu kürzen und sich vom Iran und den „iranischen Verbündeten“ zu distanzieren (das amerikanische Außenministerium forderte am 11. April den unverzüglichen Abzug der Hisbollah-Einheiten vom Territorium Syriens, was Assads Positionen merklich schwächen würde) und damit den Übergang zu einer politischen Regelung in Syrien zu beschleunigen.

Dabei solle der Abgang Assads fließend sein und nicht zum Zerfall des syrischen Staates führen (was im Ganzen der Position Russlands nicht widerspricht). In einem gewissen Sinn wäre das die Rückkehr zur Politik der Obama-Administration, für Moskau gibt es hier nichts Neues oder Unannehmbares. Es ist durchaus möglich, mit der Administration Trump die Zusammenarbeit bei der politischen Regelung in Syrien und dem gemeinsamen Kampf gegen IS und Al-Nusra in Einklang zu bringen – unter der Bedingung, dass Moskau die Handlungen des syrischen Systems eindämmen kann.

Ein neues Element ist Moskaus Verletzlichkeit beim Druck auf die chemischen Waffen und die Bereitschaft der USA, unvorhersehbar Gewalt gegen Damaskus anzuwenden. Diese beiden Momente würden Moskau erlauben, im Dialog mit Assad und dem Iran etwas überzeugender als früher zu sein, als Russland sich immer mehr in eine Geisel der Handlungen des syrischen Regimes verwandelte, die keineswegs im russischen Interesse vollzogen wurden.

Klar ist, dass der Kreml aus politischen und militärischen Erwägungen nicht vollständig auf die Unterstützung Assads verzichten kann – die militärische Präsenz in Syrien gilt als unser wichtigstes Aktivum im Kampf um den Status einer globalen Macht, und ohne Assad ist diese Präsenz bisher nicht möglich. Der Verzicht auf Unterstützung Assads unter dem Druck der USA und des Westens würde heute wie ein strategischer Rückzug mit schmerzhaften Folgen für die russische Staatsmacht auf der inneren Bühne im Jahr der Präsidentschaftswahlen aussehen. Einen solch selbstmörderischen Schritt wird niemand wagen, selbst wenn dafür die Rückkehr in die G8 und die Aufhebung der Sanktionen versprochen werden.

Aber eine allmähliche Distanzierung, begleitet vom Schaffen zusätzlicher Stützen zur Bewahrung der russischen Präsenz in Syrien, wäre durchaus möglich, umso mehr unter den Bedingungen der „Zusammenarbeit der beiden Großmächte“, die der russischen Führung erlauben würde, innerhalb des Landes die Illusion einer globalen Macht aufrechtzuerhalten. Genau darauf spekuliert Tillerson, dessen Verhandlungsergebnisse in Moskau Trump selbst als „besser als erwartet“ eingeschätzt hat.

Aber es hat keinen Durchbruch gegeben. Das ist gut zu sehen am „ukrainischen Sujet“, wo Moskau hartnäckig das Thema der Wiederherstellung eines speziellen russisch-amerikanischen Kanals zur Ukraine lancierte, der früher im Format Nuland-Surkow existierte und wo mögliche technische und politische Lösungen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen erörtert wurden.

Tillerson zeigte daran kein sonderliches Interesse, und es ist unklar, ob eine solche Übereinkunft getroffen wurde oder nicht. Dafür gab Tillerson unzweideutig zu verstehen, dass die Aufhebung der Sanktionen von Moskaus Bereitschaft abhängt, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen und Kiew die Grenze zur Kontrolle zu überlassen. Hier gab es keinerlei Konflikt mit der Position der Europäer, ungeachtet der unvorsichtigen und Aufsehen erregenden Äußerung Tillersons beim Treffen der G7-Staaten, „warum den amerikanischen Steuerzahler die Ukraine interessieren sollte“.

Im Ganzen kennzeichnet Tillersons Besuch den endgültigen Abschied von der Illusion eines „großen Deals“ mit Trump unter Anerkennung der geopolitischen Macht Russlands und seiner Einflusszonen. Das war, ehrlichgesagt, von amerikanischer Seite auch niemals geplant gewesen. Erst einmal ist es die Konstatierung eines neuen Tiefpunkts in den Beziehungen. „Wir kommen heute nicht sehr gut mit Russland aus“, sagte Trump gestern, „wir sind wohl am tiefsten Punkt unserer Beziehungen.“ Einen Tag früher konstatierte dies auch Wladimir Putin. Bei den Verhandlungen mit Tillerson in Moskau ruderte Moskau etwas zurück, um einer Konfrontation zu entgehen. Möglicherweise ist dies der Beginn irgendeines neuen Prozesses, vielleicht aber auch nur das Nichtvorhandensein eines weiteren Plans für dieses Spiel.

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