Technische Gase bleiben in Russland ein solides Geschäft

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Der russische Markt für technische Gase und für Ausrüstungen zu deren Erzeugung wächst stetig. Allein bei technischen Gasen nimmt das Marktvolumen der Menge nach jährlich zwischen 4 und 7% zu. Experten gehen davon aus, dass dies auch 2014 so bleibt. Für Technologie zur Erzeugung technischer Gase gibt es vorerst nur einen einzigen lokalen Hersteller: OAO Kriogenmasch. Doch ein zweiter steht in den Startblöcken. Vorerst bleibt die Importabhängigkeit aber hoch.

Russlands Markt für technische Gase hatte 2013 ein Volumen von 90 Mrd. Rubel (1,83 Mrd. Euro, Wechselkurs 1 Euro = 49,3145 Rubel, Stand: 25.9.2014, Russische Zentralbank). Im Jahr zuvor lag dieser Wert bei 80 Mrd. Rubel (1,62 Mrd. Euro). Daraus ergibt sich ein Zuwachs um 12,5%. Für 2014 gehen Experten nicht von einer grundlegenden Änderung aus. Bei der Finanzholding Finam heißt es, der Markt weise im Schnitt ein jährliches Mengenwachstum bei technischen Gasen von 4 bis 7% auf.

Rund 70% der technischen Gase werden durch Stahlhütten, metallverarbeitende und petrochemische Betriebe erzeugt, die dafür Anlagen auf dem eigenen Werksgelände betreiben. Weitere 20% werden in Großbetrieben anderer Industriebranchen hergestellt, sowohl für den eigenen Bedarf als auch für den Verkauf an externe Kunden. Ausgewiesene Hersteller speziell für technische Gase (unter anderem für medizinische Zwecke, für die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, für Spezialanwendungen in der Industrie) halten die restlichen 10% Marktanteil. Von allen erzeugten technischen Gasen entfallen etwa 60% auf flüssigen Sauerstoff und etwa 25% auf flüssigen Stickstoff. Bei den restlichen 15% handelt es sich unter anderem um Wasserstoff, Argon, Kohlendioxid und verschiedene Mischungen daraus sowie im geringen Umfang auch um Helium, Xenon, Krypton und Neon.

Mengen an technischen Gasen auf dem freien Markt steigen

Von der Gesamtmenge erzeugter technischer Gase befindet sich etwas weniger als ein Drittel im freien Verkauf, mit dem Rest decken die Erzeuger aus der Industrie ihren Eigenbedarf. Doch wird der Anteil frei verkäuflichen Gases steigen, da neue Industriebetriebe in der Regel keine eigenen Anlagen zur Erzeugung von Industriegasen betreiben. Im Unterschied zu früher lassen sie sich technische Gase anliefern oder spezialisierte Erzeuger siedeln sich entweder in unmittelbarer Nähe oder sogar direkt auf dem Betriebsgelände des Kunden an (on-site-Modell).

Ende 2012 betrug der Umsatz aller installierter Anlagen im on-site-Modus 4,8 Mrd. Rubel (97,3 Mio. Euro). Bis 2020 soll dieser Wert auf 30 Mrd. Rubel (608,3 Mio. Euro) steigen. Um dieses Wachstum erreichen zu können, muss massiv investiert werden. Sämtliche bereits auf den Weg gebrachten und angekündigten Investitionen in on-site-Anlagen summierten sich mit Stand 2013/2014 auf 920 Mio. Euro.

Abhängigkeit von importierten Technologien hoch

Generell wird der Bedarf an technischen Gasen landesweit aus inländischen Quellen befriedigt. Der Importanteil ist eher gering beziehungsweise wird sogar noch abnehmen. Doch besteht eine Abhängigkeit bei Ausrüstungen und Apparaturen zur Erzeugung technischer Gase sowie zu deren Transport und Aufbewahrung. Dazu gehören rollende Behälter für Straße und Schiene sowie stationäre Tanklager.

Russland: Einfuhr von Apparaten und Vorrichtungen für die Verflüssigung von Luft oder anderen Gasen (HS-Nr. 8419 60, in Mio. US$)

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Quellen: UN Comtrade, Zolldienst Russland

Zwar muss unter Berücksichtigung der aktuellen geopolitischen Situation davon ausgegangen werden, dass sich eine Reihe von Projekten verzögert oder gar auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Vor allem verteuerte oder gar weggebrochene Finanzierungen sowie das allgemein gesunkene Investorenvertrauen führen dazu. Außerdem verursacht der seit Jahresbeginn um 20% gesunkene Außenwert des Rubel Probleme, weil sich Importe auf Dollar- oder Euro-Basis dadurch erheblich verteuern. Doch laufen zumindest die 2012 und 2013 angeschobenen Vorhaben weiter.

Importsubstitution soll auch in dieser Branche greifen

Wie in den meisten Industriezweigen sollen auch bei technischen Gasen und bei Technologien zu deren Erzeugung die bestehenden Einfuhren mittelfristig substituiert werden. In diesem Zusammenhang will die in Sankt Petersburg ansässige Beliff Group, die sich bislang mit dem Import technischer Gase sowie von Ausrüstungen und Anlagen aus Italien, Deutschland und Dänemark beschäftigt hat, in Kürze über eigene Erzeugerkapazitäten für technische Gase und für Ausrüstungen verfügen. Es wurde eigens eine selbstständige juristische Person, APK Beliff Group, als Projektbetreiber gegründet. Derzeit sucht das neue Unternehmen ein geeignetes Grundstück im Leningrader Gebiet und Investoren für eine Beteiligung an dem Vorhaben.

Unter den ausländischen Anbietern von Industriegasen und von Engineering-Leistungen zur Errichtung von Anlagen (darunter Erdgas-, Luftzerlegungs-, Olefin-, Wasserstoff- und Synthesegas-Anlagen) sind führend Linde AG, Air Products, Air Liquide und Praxair. Zum Beispiel wird die Linde AG nach eigenen Angaben zwei Wasserstoffanlagen für den russischen Raffinerie- Betreiber PSC TAIF-NK bis Ende 2015 an den Standort Nischnekamsk (Republik Tatarstan) liefern.

Die Anlagen werden hochreinen Wasserstoff erzeugen, der zur Umwandlung schwerer Erdölrückstände benötigt wird. Bei diesem Projekt ist Linde für das Basis- und Detail-Engineering sowie für die Beschaffung und Lieferung der Ausrüstung und Anlagenteile verantwortlich. Der Auftragswert beträgt 120 Mio. Euro. Weiterhin schließt Linde derzeit ein umfangreiches Vorhaben zum Bau zweier Luftzerlegungsanlagen für die ZAO KNPEMZ sowie für Sibur an den Standorten Kaluga und Dserschinsk erfolgreich ab.

Nur ein Ausrüstungshersteller vor Ort

Unter den bedeutendsten russischen Wettbewerbern bei der Erzeugung technischer Gase befinden sich neben Linde Rus mit ihren Regionalniederlassungen die OAO Logika, OAO Moskowski Koksogazowy Zawod, ZAO Lentechgaz (wurde 2012 von Air Liquide gekauft), OAO Sibtechgaz und OAO Daltechgaz. Der einzige russische Hersteller von Anlagen und Ausrüstungen ist bislang OAO Kriogenmasch. Einen ersten Vertrag zur Aufstellung einer on-site Anlage unterzeichnete Kriogenmasch 2006 mit dem Hersteller von Rohrleitungen Severny Trubnoj Zawod. Seither ist der Hersteller in diesem Geschäftsbereich gut vertreten.

Die Besonderheit bei on-site-Vorhaben von Kriogenmasch bestand und besteht darin, dass es sich bei den Kunden in der Regel um keine neu zu bauenden Betriebe handelt. Vielmehr wurden und werden Teile der Produktion in Großbetrieben modernisiert und damit gleichzeitig die schon vorhandenen Anlagen zur Erzeugung von technischen Gasen. Das im ersten Projekt bei Severny Trubnoj Zawod gewonnene Know-how diente de facto als wertvolle Blaupause für alle Nachfolgeprojekte. Auf diese Weise konnte der Hersteller einige Ausschreibungen zu seinen Gunsten entscheiden. Kriogenmasch liefert die Raketentreibstoff-Anlagen für den neuen russischen Weltraumbahnhof „Wostotschny“ im fernöstlichen Gebiet Amur und ist auch im Ausland unterwegs, darunter in Kasachstan, in der VR China, in Indien und in der Türkei.

Im Nordwesten Russlands, vor allem in Sankt Petersburg und im Leningrader Gebiet, wo es eine hohe Dichte an Werften, Häfen und metallverarbeitender Industrie gibt, wird das Rennen zur Umverteilung der Marktanteile bei technischen Gasen in Kürze neu eröffnet. Auf der einen Seite modernisiert die französische Air Liquide ihr 2012 gekauftes Tochterunternehmen Lentechgaz. Hier werden für 40 Mio. Euro neue Luftzerlegungsanlagen zur Erzeugung flüssigen Sauerstoffs und Stickstoffs mit einer Kapazität von 200 Tonnen pro Tag aufgestellt. Auf der anderen Seite entsteht mit der APK Beliff Group ein komplett neuer Anbieter.

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