Stimmung in russischer Gesellschaft: junge Menschen depressiv, Senioren entspannt© russland.news

Stimmung in russischer Gesellschaft: junge Menschen depressiv, Senioren entspannt

Nach den Ergebnissen einer Umfrage der Stiftung für Öffentliche Meinung (FOM), die zwischen dem 30. September und dem 2. Oktober durchgeführt wurde, fühlten sich 70 Prozent der Russen besorgt. Nur 26 Prozent fühlten sich gelassen. Der Grund für die Ängstlichkeit sind die Ereignisse von Ende September 2022 und schlechte Nachrichten.

Bereits im Juni dieses Jahres schrieb Forbes, dass nach Angaben von Analysten des Pharmamarktes die Häufigkeit depressiver Störungen in Russland zunimmt und die Nachfrage nach Antidepressiva steigt. So erhöhte sich der Umsatz mit Antidepressiva im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2021 um 81,3 Prozent in Geld und um 51,7 Prozent in Packungen.

Noch düsterere Daten liefert eine Studie des Instituts für Psychologie der Russischen Akademie der Wissenschaften. Laut der Untersuchung vom August sind 53 Prozent der jungen Russen zwischen 18 und 35 Jahren depressiv. Zum Vergleich: Im Mai 2020 waren 36 Prozent der 25- bis 34-jährigen Russen depressiv (gegenüber 47 Prozent der 18- bis 34-Jährigen). Zwischen 34 Prozent und 36 Prozent der 18- bis 35-Jährigen sind besorgt. Gleichzeitig waren nur 21 Prozent der über 55-Jährigen depressiv, und nur 13 Prozent litten unter Angstzuständen.

„Ein erheblicher Teil der jungen Menschen hat Angst und Panik vor dem, was im Land passiert (deshalb fliehen sie in Scharen ins Ausland und haben kein Vertrauen in die Obrigkeiten), während die große Mehrheit der Älteren und Senioren im Land nichts zu befürchten sieht. Und man darf nicht vergessen, dass wir auch von Menschen im Alter von 65 bis 75 Jahren regiert werden“, schreibt der Journalist Pawel Prjannikow auf seinem Telegramkanal Deuter.  Er ist der Meinung, dass die russische Gesellschaft entlang der Altersgrenzen gespalten ist.

Die Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulman weist auch auf die Wertekluft zwischen den Generationen in Russland hin, die zu tragischen Ergebnissen geführt hat. Der wichtigste Faktor für die Einstellung zu dem was passiert in Russland ist das Alter, sagte Schulmann auf ihrem YouTube Kanal. Weder der Wohnort, noch das Wohlstandniveau, noch das Bildungsniveau spielen eine solche Rolle. „Die Altersgruppe 55plus vertritt regelrechte kannibalistische Ansichten“, so Schulmann. Menschen über 60 unterstützen auch die Mobilmachung. Schließlich müssen sie nicht an die Front, also „finden sie alles großartig“. Sie sind weniger ängstlich, und sogar ihr Konsumoptimismus ist größer. Schulmann weist ebenso wie Prjannikow darauf hin, dass alle Führungspositionen in der Armee, im FSB, dem öffentlichen Dienst, in staatlichen Unternehmen und staatlichen Medien in Russland mit Menschen über 65 Jahren besetzt sind.  Deswegen sieht die Politologin den Grund für solche Einstellung der älteren Generation in der Monopolisierung der Macht: „Die Lösung besteht darin, dass keine Gruppe – weder Frauen, noch Minderheiten, noch junge oder ältere Menschen – die Macht an sich reißen darf“.

Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM (Februar 2022) belegt die Wertverletzung in der russischen Gesellschaft. Der Umfrage zufolge empfinden junge Menschen eine Wertekrise stärker: Unter ihnen ist der Anteil derer, die das Gefühl haben, dass ihre Werte, insbesondere Ehrlichkeit und Respekt, verletzt wurden, höher. So bemerkt die „Generation Null“ (18 bis 20 Jahre) mehr Respektlosigkeit (57 Prozent), die „Generation Neunziger“ (21 bis 28 Jahre) mehr Unehrlichkeit (73 Prozent) und die „Generation Perestroika“ (29 bis 34 Jahre) mehr Ungerechtigkeit (62 Prozent).

[hrsg/russland.NEWS]

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