Spannungsfeld Ukraine – Russland

Im Anschluss an die ganztägige Expertentagung zusammen mit dem Wilfried Martens Centre for European Studies (Brüssel) veranstaltete die Hanns-Seidel-Stiftung am Abend des 30. Oktober 2015 eine Podiumsdiskussion, die die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland sowie das Verhältnis Europas zu Russland in den Mittelpunkt stellte.

In ihrer Ansprache stellte die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, Professor Ursula Männle, den Verlauf der Krise und ihre letzten Entwicklungen dar. Sie wies darauf hin, dass die EU-Russland-Beziehungen konstitutiv für die weitere europäische und weltpolitische Lage sind.  Die Europäische Union müsse sich selbst positionieren und den Dialog mit Russland verfolgen.

Der Historiker Prof. Dr. Michael Stürmer, Chefkorrespondent der Tageszeitung „Die Welt“, zitierte zu Beginn seines Impulsvortrags Winston Churchill mit folgenden Worten: „Wir dachten, wir kennen Russland besser, aber es hat uns oft überrascht “. Er berichtete von den Eindrücken, die er unlängst im Rahmen seiner Reise nach Sotschi zum Valdai Club gewonnen hatte. Dort ließ Wladimir Putin keinen Zweifel daran, dass Russland wieder ganz vorne in der Weltpolitik mitspiele. Die momentane Situation zwischen Russland und dem Westen sei nicht als zweiter Kalter Krieg zu definieren, analysiert Stürmer. Es sei vielmehr ein ganz neuartiger, sehr komplexer Konflikt. Zudem äußerte er die tiefe Sorge über die Unbefangenheit, mit der die russische Führung neuerdings über Krieg, die neue Militätdoktrin und nukleare Spekulationen spricht. Zitat Putin: „Die Leute vergessen, dass wir Atomwaffen haben.“

Die zu diesen Themengebieten kontrovers diskutierenden Podiumsteilnehmer eröffneten unterschiedliche Blickwinkel.

Prof. Dr. Hannes Adomeit ging von der These aus, Putin richte das Land zu Grunde, er habe Russland auf einen vollkommen falschen Weg gesetzt. Er betonte, der Westen habe ein starkes Interesse daran, dass Russland ein modernerer, aber eben auch demokratischer Staat werde. Chinas Interesse dagegen liege ausschließlich in dem Zugang zu billigem Öl.

Der Publizist Wilfried Scharnagl wies auf die Fehler des Westens seit 1989/90 hin. Mit der Wende wurde versäumt, eine neue Friedensordnung mit Russland aufzustellen und sich in die Mentalität des Landes hineinzudenken. Die Krim sei seit Katharina der Großen ein wesentlicher Teil russischer Politik gewesen. Der Westen konnte mit dem Plan der Ukraine, der Nato beizutreten und langfristig der Europäischen Union, nicht ernsthaft damit rechnen, dass Russland dies akzeptiere. „Wenn wir auf Putin/ Russland zeigen, zeigen wir auch immer mit dem Finger auf uns selbst, da wir uns die letzten 25 Jahre dem amerikanischen Diktat unterworfen haben.“

Die Militärhistorikerin Prof. Dr. Beatrice Heuser stimmte der These, Europa habe sich nicht genug in Russland hineingedacht, zu. Ihrer Ansicht nach hätten wir über die letzten 25 Jahre lernen müssen und können, dass die Entwicklung der Weltgeschichte, wie wir sie kennen, nämlich dass das Gute siegt, wenn dem Expansionismus Einhalt geboten wird, auf diese Weise mit Russland nicht funktioniere. Europa sei davon ausgegangen, alle Länder verfolgen die gleichen Grundwerte und Vorstellungen von politischer Gestaltung. Dies ist jedoch offenkundig nicht der Fall, weshalb es hierzu einer ausdrücklichen Verständigung und Erklärung bedurft hätte. Beispielsweise die Tatsache, dass Grenzen unantastbar sind, ist ein Faktum, das andere Nationen wie auch Russland nicht als selbstverständlich erachten.

Der Russische Oppositionspolitiker Dr. Andrej Netschajew schätzte das Handeln des Westens in der Vergangenheit teilweise als fehlerhaft ein. Insbesondere, dass der Westen die neue russische Macht nach dem Zerfall der UdSSR nie richtig unterstützt habe, hält er für ausschlaggebend für die heutige Politik Putins. Er bezeichnet Putin als den Zar, der in der demokratischen Welt geachtet werden möchte.

Die Moderatorin der Runde, Antje Pieper vom ZDF, warf die Frage auf, ob Putin einen weltumspannenden Plan verfolge. Dies verneinte Stürmer. Putin handle vielmehr wie ein Schachspieler nach Gelegenheit und ziele darauf ab, den Westen zu testen.

Adomeit sieht ebenfalls keinen Plan, nennt aber die Gründung der Eurasischen Union als Kernzielsetzung Putins während seiner dritten Amtszeit. Diese solle verhindern, dass einer der Nachfolgestaaten der UdSSR einen „europäischen Weg“  einschlägt. Die Besetzung der Krim und des Donbass geschah nicht als Reaktion auf die Osterweiterung der NATO, sondern der Europäischen Union. Es war keine militärische Herausforderung, sondern eine wirtschaftliche und soziale auf die Putin damit reagiert hat.

Scharnagl widerspricht dem vehement und meint die Krim werde bei Russland bleiben. Hierfür werde niemand einen Krieg führen wollen. Weder einen östlichen noch einen westlichen. In der Konsequenz müsse das Problem geregelt werden, indem ein entsprechender Preis bezahlt und Abkommen geschlossen werden, wie beispielsweise die Souveränität der Ukraine im Osten. Vor einem Beitritt der Ukraine in die EU warnte er. Miserable wirtschaftliche Verhältnisse, Korruption und Oligarchie halte die Europäische Union in ihrer derzeitigen Verfassung nicht aus.

Die Sanktionen und Geschlossenheit Europas gegenüber Russlands sehen die meisten Podiumsteilnehmer kritisch, da es diverse historische Beispiele für die begrenzte Wirksamkeit von Sanktionen gibt.

In zwei Punkten ist schließlich Übereinstimmung festzustellen: Der Dialog mit Russland müsse gefördert werden. Nicht nur unter Politikern auf höchster Ebene, sondern bereits durch Studentenprogramme und Ähnliches sei ein gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Eine reine schwarz-weiß Betrachtung sei unangebracht und der Entwicklung der Weltpolitik nicht zuträglich.

Veröffentlicht von der Hanns Seidel Stiftung

 

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