Russlands Zentralbank vorsichtig optimistisch für Wirtschaft

[Von Ullrich Umann Moskau (GTAI)] – Der Rückgang des Wirtschaftswachstums fällt 2016 weniger stark aus als im Vorjahr. Zu dieser Schlussfolgerung kommt Russlands Zentralbank in ihrem Juni-Bericht zur aktuellen Geld- und Kreditpolitik. Für die deutsche Exportwirtschaft dürfte von Interesse sein, dass die Zentralbank im verarbeitenden Gewerbe neue Wachstumsfelder ausgemacht hat. Die Währungshüter gehen davon aus, dass der Import von Investitionsgütern wieder steigt, die Inflation sinkt und der Rubel weniger volatil ist.

Investitionsgüterimporte steigen wahrscheinlich

Ausgehend von den aktuellen Trends erwartet die Zentralbank einen Anstieg der Importe von Investitionsgütern, der sich 2017 fortsetzen soll. Diese Entwicklung wird durch den inzwischen weniger stark schwankenden Rubelkurs gestützt. Maschinenkunden können dadurch besser und längerfristig in Rubel kalkulieren. Der Beitrag der Exporte zum BIP-Wachstum wird bis einschließlich 2018 in relativen Anteilen nachlassen. Diese Prognose ist dem Juni-Bericht zur aktuellen Geld- und Kreditpolitik der russischen Zentralbank zu entnehmen.

Der Abfluss privaten Kapitals in das Ausland wird sich bis 2018 unterhalb einer Marke von 2% des BIP bewegen. Zurückzuführen ist diese Beruhigung auf die nachlassende Auslandsverschuldung der russischen Unternehmen. Auch treffen Firmen auf wieder leicht verbesserte Refinanzierungsmöglichkeiten im Ausland. Die positiven Realzinsen auf Rubeleinlagen bremsen nach Auffassung der Zentralbank den Kapitalexport zusätzlich.

Neue Wachstumsfelder in der russischen Industrie

In der verarbeitenden Industrie hat die Zentralbank neue Wachstumsfelder identifiziert. Zu den neuen Wachstumsbranchen zählt die Zentralbank die Bekleidungsindustrie, die Lederindustrie und die Möbelindustrie. Die hier angesiedelten Unternehmen würden zum einen von der Politik der Importsubstitution profitieren und zum anderen von den verbesserten Exportmöglichkeiten, unter anderem im Resultat der Rubelabwertung.

Doch erstrecke sich das Wachstumspotenzial nicht gleichmäßig auf alle Branchen. Der Unternehmenssektor würde in seiner gesamten Bandbreite immer noch zu wenig investieren. Nachteilig wirke sich für viele Industriesektoren aus, dass weiterhin keinerlei Belebung beim privaten Konsum erkennbar sei.

Nahrungsmittel und Chemie wachsen schon länger

Zu den Branchen, die schon seit längerer Zeit wachsen, gehören die Nahrungsmittelverarbeitung und die chemische Industrie. Zu den Chemiesegmenten, deren Produktion steigt, gehören die Industrie- und Agrarchemikalien (Basischemie), die Haushaltschemie und die pharmazeutische Industrie. Eine im Ganzen stabile Entwicklung zeigen laut Zentralbank die Gummi- und Kunststoffindustrie sowie die Produzenten von Holzkonstruktionen.

Schwarze Zahlen schreibt auch der Bergbau. Dieser Sektor weist immer noch das größte Exportpotenzial auf – ungeachtet der gegenwärtig niedrigen Weltmarktpreise auf Energieträger und Rohstoffe. Der einstige Stolz der russischen Industrie, die Automobilbranche, schreibt zwar immer noch rote Zahlen. Doch der Rückgang habe sich abgeschwächt. Die Zentralbank bezeichnete diesen Sachverhalt als einen Teilerfolg.

Kreditvergabe soll sich dynamisieren

Positiv merkte die Zentralbank an, dass der Unternehmenssektor seine Kreditverpflichtungen im Ausland fristgemäß bedient und teilweise sogar vorfristig zurückzahlt. Die Kreditvergabe im Inland in Rubel und in Devisen wird sich bis Ende 2016 sogar dynamisieren. Nach Prognose der Zentralbank wird das Kreditvolumen um 5 bis 8% anziehen – entgegen nur 3 bis 6%, wie ursprünglich angenommen.

In Russlands Industrie wird zu wenig investiert

Kritisch betrachtet die Zentralbank – trotz des leicht positiven Trends – die Entwicklung bei den Investitionen im Maßstab des gesamten Landes. Im 1. Quartal 2016 sei mit -4,8% erneut ein sehr schwaches Ergebnis erzielt worden. Auch die Indikatoren, auf deren Grundlage die Zentralbank die Investitionsentwicklung indirekt beobachtet, weisen auf eine fortgesetzte Schwächephase hin. Zu den Indikatoren gehören die verkauften Bau- und Montageleistungen und die Produktion sowie die Beschaffung von Investitionsgütern (Maschinen und Anlagen, elektrotechnische Ausrüstungen).

Die Zentralbank führt die Investitionsschwäche auf zum Teil unklare Geschäfts- und Wachstumsaussichten zurück, vor denen die Unternehmen stehen. Hinzu kommen hohe Kreditzinsen, schwer beizubringende Sicherheiten bei der Kreditaufnahme und der ohnehin schon hohe Verschuldungsgrad einiger Firmen. Laut Prognose der Zentralbank wird sich an diesem Zustand vor dem 3. Quartal 2016 auch nichts grundlegend ändern.

BIP fällt 2016 weniger stark

Der BIP-Einbruch hat sich im bisherigen Jahresverlauf verlangsamt. Dabei handelt es sich um eine Tendenz, die am Jahresende in einen Wachstumskorridor von -0,3 bis -0,7% einmünden wird. Im Vorjahr betrug das BIP-Wachstum -3,7%.

Einen positiven Trend stellt die Zentralbank auch bei der Preisentwicklung fest. Die offiziell gemessene Inflation hat sich in den ersten vier Monaten 2016 auf 7,3% abgeschwächt und verharrte im April und Mai auf annähernd gleichhohem Niveau. Hier lag der Vergleichswert im Dezember 2015 bei 12,9%. Der Zentralbankrat nahm diese Frühjahrsstabilisierung am 14.6.2016 zum Anlass, um den Leitzins um 50 Prozentpunkte auf 10,5% zu senken.

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