Russlands Sorgen vor der Heim-WM

[Von Tobias Ilg] Je näher die Weltmeisterschaft in Russland rückt, desto größer wird beim Gastgeber die Angst vor einem schlechten Abschneiden. Dies zeigt nicht zuletzt die neueste Idee, eine Profi-Mannschaft aus Nationalspielern in den Liga-Betrieb aufzunehmen. Dabei wäre ein generelles Umdenken bei den Verantwortlichen von viel größerer Bedeutung.

Bei einem Kongress des Deutsch-Russischen-Forums im Herbst 2012, trafen DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und sein russischer Amtskollege Nikolay A. Tolstych in Berlin aufeinander. Beide preisten eine intensive Zusammenarbeit der jeweiligen Verbände an. Niersbach selbst habe den hohen organisatorischen Aufwand eines solchen Turniers bereits persönlich erleben dürfen und möchte die russischen Kollegen an der Erfahrung und am Know-how des Deutschen Fußball Bundes teilhaben lassen. Gemeint waren hier zunächst organisatorische Fragen, Hinweise zum Bau der vielen Stadien und zur Nachhaltigkeit, also zur Nutzung der Spielstätten nach dem Großereignis.

Spätestens aber nach dem WM-Erfolg der deutschen Mannschaft, wird sich Tolstych nochmals bei Niersbach melden. Und ihn vielmehr um Rat bitten, wie es der DFB geschafft habe, innerhalb von wenigen Jahren eine umfangreiche Umstrukturierung bei der Ausbildung von Jugendspielern vorzunehmen, die am Ende den Erfolg zum vierten Weltmeistertitel ebnete.

Das EM-Debakel als Auslöser

Nach dem blamablen Aus bei der Europameisterschaft 2000 in Belgien und der Niederlande setzte der DFB zahlreiche fundamentale Änderungen um: Das Nachwuchsprogramm wurde überarbeitet, die Ausbildungs-Stützpunkte einer Professionalisierung unterzogen, das Scouting ausgeweitet und mehrere tausende Trainer engagiert. Außerdem flossen viele Fördergelder in den Bau von hochqualitativen Sportanlagen auf dem Land und in den Städten.

Dürstend nach einer Teilnahme an einem großen Turnier, wurden in Russland 2008, durch den damaligen Verbandspräsidenten Witalij Mutko, Grundstücke erworben. Die finanziellen Mittel kamen damals von Chelseas Mäzen Roman Abramowitsch. Mit seinen Geldern sollten Elite-Sportstätten entstehen und Nachwuchskräfte mit internationalem Format für die „Sborjana“ ausgebildet werden. Die Finanzkrise aber durchkreuzte die Pläne. Statt die Grundstücke Fußballvereinen und Ausbildungszentren zur Verfügung zu stellen, wurden diese gewinnbringend an Immobilienmakler veräußert. Dem russischen Verband ging so nicht nur die Aussicht auf Talente verloren: Auch Öl-Milliardär Abramowitsch zog frustriert seine Gelder zur Unterstützung der Umstrukturierung des Jugendfußballs zurück und investierte stattdessen weiter in Chelsea London.

Legionäre? Nein Danke!

Trotz dieses geplatztes Projekt im Jugendbereich qualifizierte sich das russische Team souverän als Gruppenerster für die Endrunde in Brasilien. Der Plan von Nationaltrainer Fabio Capello, sein Team ausschließlich mit Spielern, die ihr Geld in der heimischen Premjer Liga verdienen, zu bestücken, schien aufzugehen. Russland meldete bei der FIFA für die WM 2014 als einziges Team einen Kader, der vollständig ohne Spieler aus fremden Ligen auskam. Die erste Teilnahme bei einer Weltmeisterschaft seit 2002 war von kurzer Dauer. Kaum stieg das spielerische Niveau war Schluss: Am Ende stand ein enttäuschendes Vorrunden-Aus.

Ausländische Spieler, so der allgemeine Gedanke im Verband, würden die Entwicklung der jungen russischen Talente hindern. Dass Konkurrenzkampf durch qualitativ bessere Akteure aus anderen Ländern auch zu einer Leistungssteigerung führen könne, wurde nicht bedacht. Beispiele wie beim FC Bayern München, wo sich Martínez, Alonso, Thiago und eben Schweinsteiger einen hochklassigen  Konkurrenzkampf um eine Position im Mittelfeld liefern oder in Dortmund, wo Kagawa, Mchitarjan, Błaszczykowski und Reus um die Besetzung der Offensivpositionen streiten, dienen als gute Beispiele. Nicht zu vergessen die Erfahrung, die ein ausländischer Spieler seinen jungen Vereinskollegen, siehe aktuell Alonso/Gaudino, mit auf den Weg geben kann.

Ausländer-Begrenzung als Lösung?

Früher galt in der Premjer Liga eine Begrenzung von ausländischen Spielern. Jeder Verein durfte maximal sechs Akteure ohne russischen Pass im Kader führen. Nach dem Ausscheiden bei der EM 2012 änderte man diese Regelung und führte ein 7+4-Modell ein, sprich: In der Startaufstellung durften maximal sieben ausländische Spieler stehen. Diese Maßnahme sorgte für noch weniger Spielzeit bei den russischen Spielern. Die vielversprechenden einheimischen Talente wechselten reihenweise zu den finanzstarken Vereinen, wie ZSKA Moskau, Anschi Machatschkala oder Zenit St. Petersburg. Gelockt von hohen Gehältern, fanden sich viele dieser Spieler auf der Bank wieder, da die meisten dieser Mannschaften tatsächlich sieben Legionäre aufs Spielfeld schickten und so nur Spielpraxis für vier einheimische Kicker boten. Ein Wechsel für diese Nachwuchskräfte zu einem anderen Verein oder ins Ausland kommt meist nicht in Frage. Warum auch, verdient man bei den russischen Top-Klubs auch als Reservist doch so viel, dass man für ausländische Vereine unattraktiv ist. Die Spieler sind durch überhöhte Gehälter schlicht verwöhnt.

Ein eigenes Profi-Team aus Nationalspielern?

Je näher die Heim-WM rückt, desto spektakulärer werden die Vorschläge, die der russische Fußball-Verband RFU zur Diskussion stellt. Generalsekretär Anatoli Worobjew schlug Anfang September 2014 vor, die russische Nationalmannschaft solle bis 2018 als Team am nationalen Ligabetrieb teilnehmen. Unter dem Namen „Russland-2018“ und unter der Leitung von Fabio Capello, solle ein Wettbewerbsvorteil geschaffen werden. Laut Worobjew könne nur das „perfekte Zusammenspiel“ zu einer Chance bei der Weltmeisterschaft in Russland führen.  Die erste Reaktion der russischen Klubs fiel negativ aus. Verständlich, da diese all ihre russischen Star-Spieler abstellen müssten und somit ihr eigenes Team schwächen würden.

Umdenken erforderlich

Die Weltmeisterschaft im eigenen Land rückt immer näher: Inzwischen haben selbst die größten Optimisten in den Reihen des russischen Verbandes erkannt, dass sich im russischen Fußball etwas ändern muss. Egal ob ein „Deutsches Modell“, wie nach dem EM-Aus vor 14 Jahren, eingeführt oder das Team „Russland-2018“ gegründet wird: Russland muss umdenken, die Klubs Spieler ausbilden, die auch interessant für ausländische Vereine sind, Fans in die Stadien locken und die Attraktivität der Liga erhöhen, um ausländische Spieler und Trainer in die Premjer Liga zu bringen. Letzteres klappt in absehbarer Zeit dann vielleicht auch ohne überhöhte Honorare und Handgeldzahlungen. Und die Sorgen vor der Heim-WM in knapp vier Jahren würden auch geringer werden.

 

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