RUSSLANDS FERNER OSTEN IST EXPERIMENTIERFELD FÜR WINDKRAFT

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Der Bau von Windparks in Russland kommt nicht wirklich voran. Versuchsanlagen stehen, doch nicht in dem Maße, wie es der Größe des Landes und den klimatischgeographischen Voraussetzungen angemessen wäre. Einzig im Fernen Osten scheint der Bau von Windkraftanlagen eine greifbare Option darzustellen. Ein japanischer Hersteller sondiert dort die Möglichkeit, eine Montage von Komponenten für Windkraftanlagen einzurichten.

Das einzige Bauvorhaben für Windenergie im europäischen Teil Russlands wird aktuell im Gebiet Rostow realisiert. Für alle anderen Projekte wurden lediglich unverbindliche Absichtserklärungen abgegeben. Der Regierungsbeschlusses vom 28.6.2015, wonach bis 2019 Windkraft-Kapazitäten von 700 MW entstehen sollen, wird sich aus heutiger Sicht nur zu Teilen realisieren lassen. Widerstände gegen einen schnellen Ausbau der Windkraft kommen von der Stromwirtschaft selbst, da sie ihre Stromerzeugung aus herkömmlichen Kraftwerken nicht gefährdet sehen will. Dahinter hat sich eine zweite Linie aus Skeptikern der Windkraft gebildet, bestehend aus Vertretern der einflussreichen Öl-, Gas- und Atomwirtschaft.

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Windkraft als Alternative zu Dieselgeneratoren im Fernen Osten Russlands

Der Widerstand gegen die Windkraft nimmt geographisch nach Osten hin ab. Im Fernen Osten, wo der Ausbau von Stromübertragungsnetzen mit Anbindung an herkömmliche Kraftwerkstechnik technisch aufwändig und über Gebühr teuer ist, und wo im Vergleich zu den anderen Landesteilen die wenigsten Stromkunden sitzen, wird der Ausbau von Photovoltaik und Windkraft von Privat- und Staatsunternehmen sowie von regionalen und kommunalen Politikern ernsthaft erwogen.

Die Kapazitäten im Fernen Osten sollen bis 2020 auf 39 Windkraftanlagen aufgestockt werden. Insbesondere für die weit abgelegenen fernöstlichen Siedlungen wird geplant, die teure Gewinnung von elektrischen Strom aus dieselbetriebenen Generatoren durch dezentrale Lösungen zur Energiegewinnung aus alternativen Quellen (zumindest teilweise) zu ersetzen. Der Wind weht in der Region Primorje stark und de facto permanent.

Doch taucht im Fernen Osten ein klimabedingtes Problem auf. Das sind die extremen Minustemperaturen im Winter. Material, Getriebe und mechanische Ausrüstungen müssen in dieser klimatisch harschen Umgebung einiges mehr aushalten als in anderen Landesteilen. Hinzu kommt, dass auch die Ersatzteilbeschaffung im Fernen Osten aufwändig und teuer ist.

Japan könnte bei der Lokalisierung helfen

Der Energieversorger für den Fernen Osten, RAO ES Wostoka, führt deshalb zurzeit mit dem japanischen Hersteller von Windkraftausrüstungen Komai Haltec Verhandlungen über die Errichtung einer Produktionsniederlassung. Die größten Chancen für eine Lokalisierung der Produktion bestehen bei Rotorblättern. Damit läge der Lokalisierungsanteil an der Anlage automatisch gleich bei 18%.

Komai Haltec hat teilweise schon Produkte nach Russland exportiert, darunter drei 300kWWindgeneratoren für den Standort Ust-Kamschatsk. Weitere sieben Windanlagen sollen dem Vernehmen nach an denselben Standort geliefert werden. Ein Memorandum of Understanding soll zudem unterschrieben worden sein, wonach Komai einen ganzen Windpark über 1 MW am Standort Tiksi in Jakutien mit der notwendigen Ausrüstung versorgt.

Europäisches Know-How gesucht

Doch ist der russischen Seite als eine Erfahrung aus den realisierten Vorhaben bewusst geworden, dass auch andere Hersteller von Windkraftanlagen neben Komai getestet werden sollten. Aus diesem Grund ist der französische Hersteller Vergnet mit der Lieferung von zwei 275kW-Anlagen für die Bering-Insel und eine weitere für Ust-Kamschatsk beauftragt worden. Zudem ist auch ein russischer Ausrüster im Rennen: das Tjulganski Elektromechanische Werk aus dem Gebiet Orenburg. Deutsche Hersteller sollten bei Interesse ebenfalls ihre Offerten bei RAO ES Wostoka und den Gouverneursämtern der fernöstlichen Regionen unterbreiten.

Russische Hersteller erwägen Serienfertigung

Die russische Industrie startet erste Initiativen, sich mit der Herstellung von Teilen für Windkraftanlagen zu beschäftigen. Das Ural Turbinen Werk (ZAO UTZ) hat sich ins Gespräch gebracht und erwägt, Komponenten für Windgeneratoren zur Serienreife zu entwickeln. In der aktuellen Rezession, die insbesondere durch fehlende Finanzierungen für Unternehmen gekennzeichnet ist, bleibt es zweifelhaft, dass sich derartige Vorhaben schnell realisieren lassen. Zudem ist die Entwicklung des russischen Absatzmarktes für Windkrafttechnik kurz- bis mittelfristig ungewiss.

Steigende Stromgebühren bremst Ausbau der Windkraft

Für den Verbraucher bedeutet das verstärkte Aufschalten von Erzeugerkapazitäten aus alternativen Energiequellen, darunter Windkraft und Photovoltaik, eine spürbare Anhebung der Stromgebühren. Bereits jetzt ist klar, dass der Investitionsbedarf beim planmäßigen Ausbau der „grünen Energien“ bis 2020 mit 136,6 Mrd. Rubel um 54 Mrd. Rubel höher als ursprünglich angenommen ausfallen würde. Diese Kosten müssen aber an den Stromkunden weiter gereicht werden.

Insbesondere die starke Abwertung des Rubels der letzten zwei Jahre führte zur Verteuerung der notwendigen Importausrüstung für grüne Energien. Im Bereich Photovoltaik haben die wichtigsten Projektentwickler deshalb 2015 den Rückwärtsgang eingelegt und sich von ihren Planungen teilweise verabschiedet. In der Windkraft bleibt es vorerst bei Absichtserklärungen.

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