Russlands Bankenwirtschaft im realen Stresstest

[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Finanzierungen erweisen sich im Russlandgeschäft als Knackpunkt. Kredite sind für russische Kunden schwierig zu erhalten und teuer. Außerdem schwankt der Außenwert des Rubel im Frühjahr 2014 so stark wie seit fünf Jahren nicht mehr. Russlands Banken erleben nach der Finanzmarktkrise 2008/09 erneut schwierige Zeiten. Dies gilt vor allem für kleine Institute. Dennoch belebte sich das Kreditgeschäft im März. Die Zentralbank öffnet die Liquiditätsschleusen und verteidigt den Außenwert des Rubel.

Die Zentralbank verfolgt seit Monaten einen Kurs der Marktbereinigung. Im 1. Quartal 2014 entzog sie 23 Finanzinstituten die Lizenz, allein im März zehn. Wie es in den Kommuniqués der Zentralbank heißt, wird der Entzug begründet mit zu geringen Kapitalrücklagen, zu vielen Unregelmäßigkeiten oder zweifelhaftem Geschäftsgebaren. Übrig bleiben damit 896 Banken. Weitere Schließungen oder Fusionen sind wahrscheinlich.

Dies wird insbesondere Geldhäuser betreffen, die sich nicht unter den Top-200 befinden. Gleichzeitig ist die Konzentration von Aktiva unter den Top-5-Banken mit 53,7% im März 2014 weiterhin hoch. Der Markt wird dominiert von Sberbank, VTB und VTB 24, an denen der Staat jeweils die Mehrheitsanteile hält.

Rentabilität kleiner Banken bedroht

Ende März 2014 schrieben 723 Banken schwarze Zahlen. Im Minus befanden sich 173 Geldhäuser; das entspricht einem Anteil von 19,3%. Ein Jahr zuvor lag die Quote unrentabler Finanzinstitute bei 12,7%. Die Situation hat sich also verschlechtert. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass trotz der Schließung unrentabler Finanzinstitute immer neue Banken rote Zahlen schreiben.

Insgesamt wurde im Bankensektor in den ersten drei Monaten 2014 ein Gewinn von 248,9 Mrd. Rubel erwirtschaftet. In der vergleichbaren Vorjahresperiode wurde ein Überschuss von 247,7 Mrd. Rubel ausgewiesen. Doch beträgt die Jahresinflation mehr als 6%, insofern relativiert sich der Zuwachs.

Liquidität im Ausland kaum noch beschaffbar

Der Gewinn im 1. Quartal 2014 ist vor allem auf der Ausweitung des Kreditportfolios um 6% zurückzuführen. Die Unternehmen unter den Bankkunden können bei den aktuellen geopolitischen Konstellationen Kredite auf den internationalen Finanzmärkten nur noch unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht aufnehmen und wenden sich daher verstärkt an ihre russischen Hausbanken.

Die russischen Banken wiederum haben sich bei der Zentralbank im Rahmen von Offenmarktgeschäften allein im März mit Liquidität in Höhe von 735,2 Mrd. Rubel eingedeckt. Dies stellt einen Rekordwert seit Abflauen der Finanzmarktkrise 2008/2009 dar. Die Gesamtverschuldung der Bankwirtschaft bei der Zentralbank stieg zum 1.4.2014 damit auf 4,7 Billionen Rubel.

Hier zeigt sich, dass neben dem korporativen Sektor auch die Bankwirtschaft zunehmend von Finanzierungsquellen im Ausland abgeschnitten ist. Die Zentralbank unternimmt daher alles, um eine echte Liquiditätskrise zu vermeiden. Reichen die Möglichkeiten der Offenmarktgeschäfte dazu nicht mehr aus, was vermutlich bei einer Gesamtverschuldung der Bankenwirtschaft bei der Zentralbank von nahezu 5 Billionen Rubel der Fall sein dürfte, wird die Zentralbank nach Ansicht von Finanzexperten zusätzliche Refinanzierungsinstrumente entwerfen und anbieten. Dazu können dem Vernehmen nach Zentralbankkredite mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren gehören. Als Sicherheit würden Investitionsprojekte akzeptiert, unabhängig davon, ob dafür staatliche Bürgschaften vorliegen oder nicht.

Allein die von US-Sanktionen betroffene Bank Rossija nahm im März bei der Zentralbank Kredite in Höhe von 22,7 Mrd. Rubel auf. Im Vormonat lag der Vergleichswert bei 10 Mrd. Rubel. Die ebenfalls indirekt von den Sanktionen betroffene SMP Bank beschaffte sich im März Liquidität in Höhe von 37,7 Mrd. Rubel, im Februar von 29,3 Mrd. Rubel.

Gelder fließen nach Russland

Die Guthaben des Unternehmenssektors bei russischen Banken nahmen im 1. Quartal 2014 um 9% zu. Dies ist im Wesentlichen auf drei Gründe zurückzuführen. Erstens fährt die Regierung einen Kurs der „De-Offshorisierung“ der Wirtschaft, das heißt auf Unternehmen wird Druck ausgeübt, damit diese ihre Guthaben aus Offshore-Steuerparadiesen zurück transferieren. Zweitens werden Gelder aus Furcht vor möglichen Sanktionen aus dem Ausland nach Russland übertragen. Drittens warten nicht nur ausländische Investoren, sondern auch russische Unternehmen mit neuen Projekten vorerst ab und belassen Guthaben auf ihren Konten. Bereits angeschobene Vorhaben werden allerdings fortgeführt.

Um gegen den seit Anfang 2014 fallenden Außenwert des Rubel anzugehen und einer drohenden Panik auf dem russischen Devisenmarkt vorzubeugen, interveniert die Zentralbank massiv und verkauft US-Dollar und Euro gegen Rubel. Im 1. Quartal 2014 flossen auf diese Weise 41,5 Mrd. US$ ab. Im Gegenzug hat die Zentralbank dadurch 1,45 Billionen Rubel dem Umlauf entzogen. Um gleichzeitig die Inflation im Zaum zu halten, setzte die Notenbank den Basiszinssatz von 5,5 auf 7,5% nach oben. Das verteuert kreditfinanzierte Investitionen – Gift für die ohnehin schwache Konjunktur.

Immobilienfinanzierung im Trend

Die Zahl der im 1. Quartal 2014 gewährten Verbraucherkredite ist um 6,1% gesunken im Vergleich zum Vorjahr. Das Gesamtvolumen stieg dennoch um 8,3% an. Runtergebrochen bedeutet das, weniger Privatkunden haben einen Kredit aufgenommen, dagegen ist die durchschnittlich bewilligte Kreditsumme stark gestiegen.

Konkret sank die Anzahl der Kfz-Finanzierungen um 10,1% und die Anzahl von Konsumentendarlehen um 7,8%. Auch wurden um 2,1% weniger Kreditkarten ausgegeben. Im Gegenzug stieg die Zahl von Hypothekenkrediten um 12,3% und deren Volumen sogar um 18,3%. Immobilienfinanzierungen lagen bei den Privathaushalten eindeutig im Trend. Dies stützen auch die Zahlen aus dem Wohnungsbau.

Privathaushalte zogen allein im März Vermögen in Höhe von 338 Mrd. Rubel ab. Häufig aus Furcht vor einer weiteren Rubel-Abwertung, um es in Devisen zu tauschen. Bei der Nummer eins im Bankensystem, Sberbank, betrug der Abfluss im benannten Monat 70 Mrd. Rubel. Diese Abgänge konnten die betroffenen Banken dennoch austarieren, da gewerbliche Kunden Vermögen von Konten im Ausland nach Russland transferierten beziehungsweise kaum Gelder auf ihren russischen Konten bewegten. Unter dem Strich stiegen die Aktiva der Bankenwirtschaft im März um 0,4%, bei der Sberbank sogar um 1,65%.

Um im Jahresverlauf 2014 in ruhigeres Fahrwasser zurückzukehren, wird die Sberbank nach eigenen Angaben ihre führende Marktstellung nutzen und ihr Kreditportfolio, aber auch das Einlagenvolumen ausweiten. Einen Kredit erhalten aber nur sogenannte „Qualitätskunden“. Dadurch soll das Ausfallrisiko minimiert werden.

Um Kunden mit guter Bonität in die Filialen zu locken, bietet die Sberbank Darlehen zu Zinssätzen an, die sich im russischen Durchschnitt am unteren Rand bewegen. Sollten allerdings Kunden weiterhin Vermögen in schwindelerregender Höhe abziehen, müsste auch die Sberbank ihr Konzept überdenken – die Kreditzinsen würden gezwungenermaßen auch bei ihr steigen.

 

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