Russland zieht wieder mehr ausländische Investitionen an

Von Ullrich Umann Moskau (GTAI) – Russland liegt innerhalb Europas unter den Top-10-Destinationen für ausländische Direktinvestitionen (FDI) – insbesondere in der verarbeitenden Industrie. Mit 201 realisierten FDI-Projekten verzeichnete die Russische Föderation 2015 einen Zuwachs von 61%. Gleichzeitig hat sich der Kapitalabfluss aus Russland heraus signifikant verringert. Vor dem Hintergrund der verschlechterten geopolitischen und makroökonomischen Lage rufen diese Zahlen Erstaunen hervor.

Russland rangierte 2015 in Fragen ausländischer Direktinvestitionen (FDI) im europäischen Kontext auf Platz acht. Wie dem Global Investment Monitor 2016 von Ernst & Young (EY) zu entnehmen ist, wurden in dem erwähnten Zeitraum 201 Projekte in der Russischen Föderation realisiert. Gegenüber 2014, als 125 Projekte abgewickelt wurden, bedeutete das einen Zuwachs von 61%.

Von den 201 Direktinvestitionen waren 171 in der verarbeitenden Industrie angesiedelt. Unter allen europäischen Staaten lag Russland damit sogar auf Platz vier. Die Zuwachsrate gegenüber dem Vorjahr betrug bei den Industrieprojekten damit 80%, wie EY mitteilte. Dies bedeutete den Europarekord in dieser Disziplin.

Ausländische Direktinvestitionen in der verarbeitenden Industrie

Für Russland sind die realisierten 201 FDI-Projekte das beste Ergebnis seit 2005. Von 2006 bis 2010 ist die Projektanzahl von 87 auf 201 angestiegen. Danach war sie auf durchschnittlich 120 pro Jahr gesunken, bis sie 2015 erneut anstieg. Bei der Anzahl der durch FDI geschaffenen Arbeitsplätze landete Russland mit 13.627 neuen Jobs im europäischen Kontext auf dem vierten Platz nach Großbritannien, Polen und Deutschland. Wichtigste Herkunftsregion der ausländischen Direktinvestitionen bildet in Russland die Europäische Union. So finanzierten Investoren aus der EU 106 Projekte. Gegenüber dem Vorjahr lag der Anstieg gemäß diesem Kriterium bei 77%.

Ausländische Direktinvestitionen in der Russische Föderation

Unter den europäischen Investoren nahmen deutsche den ersten Platz ein, sie finanzierten 36 Projekte und schufen damit 2.076 Jobs. Französische Firmen investierten in 20 Projekte mit 819 Arbeitsplätzen. Aus Italien kam das Geld für zwölf Vorhaben und 777 Arbeitsplätze. US-Investoren führten 29 Vorhaben durch und schufen 2.868 Jobs, was eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Firmen aus der VR China legten Kapital in zwölf Projekten mit 1.350 Arbeitsplätzen an.

Handelsrestriktionen und schwacher Rubel beschleunigen Industrieansiedlungen

Schon im Juni 2016 ließ eine Meldung der „Welt am Sonntag“ aufhorchen, die sich wiederum auf Bundesbank-Statistiken stützte. Demnach waren die deutschen Direktinvestitionen in Russland 2015 auf 1,78 Mrd. Euro angestiegen. Allein im 1. Quartal 2016 lag der Vergleichswert bei 1,1 Mrd. Euro, weshalb auf das Gesamtjahr hochgerechnet ein weiterer neuer Rekord zu erwarten sei.

Zu erklären ist diese Entwicklung gleich durch mehrere Faktoren: Einmal haben die gegenseitigen Sanktionen den bilateralen Handel administrativ eingeschränkt. Aus diesem Grund lassen sich deutsche Firmen mit eigenen Montagen oder Produktionen nieder, um den russischen Markt weiter beliefern zu können. Die seit 2014 in Russland gefahrene Politik der Importsubstitutionen stößt in die gleiche Richtung.

Durch die russischen Gegensanktionen bei Agrarerzeugnissen haben sich insbesondere in Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette, einschließlich Agrartechnik, interessante Wachstumsfelder aufgetan. In diese stoßen nun ausländische Investoren hinein, neben deutschen Firmen auch französische und italienische. Bei Agrartechnik sind zusätzlich US-Hersteller aktiv.

Durch die Rubelabwertung haben sich außerdem die komparativen Vorteile Russlands als Produktionsstandort im globalen Maßstab verbessert. So sind im Laufe von nur zwei Jahren die Reallöhne auf Eurobasis um 40% gesunken. Sie befinden sich in einigen Industriezweigen, darunter Textil und Bekleidung, bereits unter dem chinesischen Durchschnittsniveau. Dies bleibt in der global und flexibel agierenden Bekleidungsindustrie nicht ohne Folgen. Erste Verlegungen von Nähfabriken aus China nach Russland sind auf dem Weg.

Und zum anderen rechnen sich inzwischen sogar Ausfuhren von Industriegütern aus Russland unter dem Vorbehalt, dass nur wenig importierte Zulieferteile in den Exportwaren enthalten sind. Denn die Einfuhren haben sich im Gegenzug auf Rubelbasis um circa 40% verteuert.
Kapitalabfluss hat sich 2015 auf ein Drittel verringert

Auch reduzierten sich die Kapitalflüsse aus Russland ins Ausland deutlich. Wurden 2014 noch 153 Mrd. US$ über die Grenzen transferiert, hat sich im Folgejahr der Kapitalabfluss schon auf 57 Mrd. US$ gedrittelt. Der hohe Abfluss 2014 resultierte unter anderem aus Zins- und Kredittilgungen nachdem infolge der Finanzmarktsanktionen Umschuldungen auf den westlichen Kapitalmärkten schockartig unterbunden worden waren.

Wie der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Aleksej Uljukaew, der Presse mitteilte, sei seit Mai 2016 sogar wieder ein Nettozufluss an Kapital nach Russland festzustellen. Auch wenn es sich dabei noch um keine bedeutenden Summen handelt, wie er hinzufügte, könnte daraus eine für sein Land positive Tendenz entstehen. Dies bleibt abzuwarten.

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