Russland strebt nach Importsubstitution in der Schiffbau- und Offshore-Zulieferindustrie

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Für deutsche Hersteller von maritimer Technik wird es schwieriger, Aufträge aus Russland zu erhalten. Der Minister für Industrie und Handel, Denis Manturow, hat am 31. März 2015 eine Liste mit 107 Warenpositionen der Schiffbau- und Offshore-Industrie unterschrieben. Die Produktion dieser Komponenten soll bis 2020 angekurbelt und dafür der Import gesenkt werden. In der Liste sind teils Hersteller namentlich genannt, deren Produkte lokalisiert oder ersetzt werden sollen.

Maritime Technik wird ab sofort nur noch dann nach Russland importiert, wenn es auf dem Gebiet der Eurasischen Wirtschaftsunion (EWAU) – darunter in erster Linie in Russland selbst, keine Hersteller entsprechender Ausrüstungen gibt. Fehlen lokale Hersteller, bekommen zuerst Lieferanten aus Ländern den Vorzug, die sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen haben. Dazu zählen insbesondere asiatische Schiffbaunationen wie Korea (Rep.) und die VR China. Nur wenn die russischen Einkäufer dort nicht fündig werden können, würden Importe aus den EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, USA oder Australien erwogen.

Importsubstitution erhält größere politische Bedeutung

Führende Politiker sprechen zwar seit Jahren über die Importsubstitution als eine Möglichkeit, Strukturdefizite in der russischen Industrie zu überwinden. Geschehen ist in dieser Hinsicht bislang aber wenig. Erst als 2014 die Lieferungen von Industrieerzeugnissen aus der Ukraine wegbrachen (darunter Schiffsantriebe) und gleichzeitig westliche Industrienationen gegen Russland Sanktionen verhängten, wurde das Thema erneut auf die Regierungsagenda gesetzt. Dieses Mal mit Nachdruck: Seit Sommer 2014 arbeitete das Ministerium für Industrie und Handel an entsprechenden Durchführungsbestimmungen.

Mit konkreten Ergebnissen trat Industrie- und Handelsminister Denis Manturow am 31.3.2015 an die Öffentlichkeit. An diesem Tag unterschrieb er Erlasse, die den Importabbau in 19 Industriebranchen in der Zeit bis 2020 vorschreiben. Unter den Branchen befindet sich auch die Werftenindustrie. Der Schiffbau gehört laut Ministerium sogar zu den besonders förderwürdigen Branchen – zusammen mit Arzneimitteln, Medizintechnik, ITK-Hardware und Computerchips, Luftund Raumfahrt.

Insgesamt sollen bei 107 Warenpositionen der Schiffbau- und Offshore-Zulieferindustrie künftig Importe durch Lieferungen aus Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion (vor allem Russland selbst) ersetzt werden. Betroffen sind unter anderem Schiffsantriebe, Propeller, Wasseraufbereitungs- und Abwasserreinigungsanlagen für Schiffe, Klima- und Belüftungssysteme, Kühlanlagen, Decksausstattung und Produktionsanlagen für bestimmte Schiffskomponenten. Der Erlass Nr. 661 vom 31.3.2015 zur Importsubstitution in der Schiffbau- und Offshore- Zulieferindustrie als russisches Originaldokument.

Öl- und Gasplattformen müssen projektiert und gebaut werden

Ein bedeutender Teil des zivilen Schiffbauprogramms dient der Erschließung von Offshore- Lagerstätten für Öl und Gas im nördlichen Schelf. Dies ist umso mehr Gebot der Stunde, als die Sanktionen der USA und der EU auch Lieferungen von Offshore-Bohrausrüstungen aus dem westlichen Ausland unterbinden. Nun muss Russland zusehen, wie es die notwendigen Plattformen und Spezialschiffe aus eigener Kraft baut.

In einem wichtigen Forschungs- und Entwicklungszentrum für den Schiffbau, dem Staatlichen Wissenschaftlichen Forschungszentrum Krylow (russisch: Krylowski Gosudarstwenny Nautschny Zentr, KGNZ), sind die Experten der Meinung, dass laufende Vorhaben infolge der Sanktionen zwar zeitlich gestreckt werden müssten. Doch würden alternative Lieferanten im eigenen Land aufgebaut oder im Ausland gefunden.

Dieser Anschauung schließt sich die russische Regierung an. Premierminister Medwedew hat am 3.4.2015 eine Weisung unterschrieben, wonach russische Werften mit dem Bau von Spezialschiffen für die Öl- und Gasindustrie zu beauftragen seien. Die beiden Ministerien für Energie und für Transport werden bis Ende September 2015 eine Bedarfsaufstellung für Öl- und Gasplattformen nebst dazu gehöriger Versorgungsschiffe anfertigen.

Direktinvestitionen zur Umgehung der Marktabschottung

Westliche Anbieter von Schiffbautechnik, die nun vor dem Dilemma einer Einfuhrbeschränkung stehen, könnten als Ausweg die Einrichtung von Montagewerken vor Ort erwägen. Dadurch würden sie zu juristischen Personen nach russischem Recht und erhielten somit Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmaßnahmen. Nicht umsonst verkürzt Industrie- und Handelsminister Denis Manturow seine Politik der Importsubstitution auf die Formel: „Technologie im Tausch gegen Marktanteile“.

Übersetzt bedeutet das: Direktinvestitionen, die einen Technologie- und Wissenstransfer bedeuten, werden mit einem Zugang zu Ausschreibungen der öffentlichen Hand und staatlichen Werften belohnt. Rechtlich untermauert wird dieses Versprechen per Vertrag, den jeder potenzielle Brancheninvestor ab sofort mit dem Ministerium für Industrie und Handel abschließen kann. In den Verträgen werden Anreize festgelegt, zu denen sich das Ministerium – je nach Verhandlungsverlauf und Stellenwert der Investition – verpflichtet. Hierzu zählen Steuervergünstigungen oder bestimmte Zuschüsse. Im Gegenzug muss der Investor Realisierungs- und Lokalisierungsfristen einhalten.

Die neue Politik des Ministeriums für Industrie und Handel, Unternehmen Anreize für den Aufbau einer Produktion in Russland mit individuell ausgehandelten „speziellen Investitionsverträgen“ zu geben, in denen die Lokalisierung nicht nur am Anteil der lokalen Wertschöpfung, sondern auch nach den vermittelten (technologischen) Kompetenzen gemessen wird, könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Hier hängt aber viel von der praktischen Umsetzung ab. Aktuell ist die Importabhängigkeit Russlands bei Schiffbautechnik und selbst bei fertigen Schiffen noch enorm hoch.

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