russland.RU Interview mit Gernot Erler

Gernot Erler, neu ernannter Koordinator der Bundesregierung für Russland, Zentralasien und die Länder der östlichen Partnerschaft.

Herr, Erler, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen, alten Funktion als Korodinator für die deutsch -russischen Beziehungen, die ja um die Länder Zentralasiens und der östlichen Partnerschaft erweitert ist. Wie sehen Sie diese zusätzlichen Aufgaben?

Das ist eine logische Konsequenz aus der Entwicklung der letzten Jahre. Die zentralasiatischen Republiken spielen sowohl bilateral, wie auch im internationalen Maßstab eine zunehmende Rolle ebenso die Länder, die zum EU-Programm der östlichen Partnerschaft gehören, also die Ukraine, Belarus, Moldowa und die drei Südkaukasus-Republiken Armenien, Georgien und Aserbaidshan. Durch meine jahrzehntelange Beschäftigung, seit meinem Slawistik-Studium, mit Russland und den anderen damals zur Sowjetunion gehörenden Republiken und meine politische Tätigkeit in unterschiedlichen Funktionen sind diese Staaten kein Neuland für mich. Auf jeden Fall freue ich mich auf die neue Tätigkeit und sehe mit Spannung auf die vor mir stehenden Aufgaben.

Welche sind das?

Was Russland betrifft, so sind es ganz aktuell die olympischen Spiele in Sotschi, die im Mittelpunkt des Interesses der Öffentlichkeit stehen. Darüber hinaus wird es darum gehen, inoffizielle Kontakte zu knüpfen mit Partnern in den Ländern meines Verantwortungsbereiches. Dabei werde ich an den Programmen anknüpfen, die vor einigen Jahren von Deutschland entwickelt wurden und dann durch die EU übernommen wurden, wie die Zentralasien-Strategie und die Partnerschaft mit den östlichen Ländern. Ein Hauptschwerpunkt meiner Arbeit wird es sein, den Dialog mit Russland weiter zu führen und zu intensivieren, sowohl über die innenpolitische Entwicklung, wie auch zur Situation in der Großregion, wobei gegenwärtig die Lage in der Ukraine im Zentrum steht.

Schauen wir zunächst nach Sotschi. Wie ernst, meinen Sie, sind die Ankündigungen islamistischer Gruppierungen zu nehmen, Anschläge während der Olympischen Spiele zu verüben?

Die olympischen Winterspiele in Sotschi sind ein Großereignis von Weltbedeutung, das auch in den Medien eine große Rolle spielt. Das dabei entstehende Interesse an dem Gastgeberland sollte Russland als Chance verstehen, sich in seiner ganzen Vielfalt darzustellen und dabei auch auf kritische Fragen Antworten zu geben.

Andererseits bietet das Medieninteresse an solchen Großereignissen wie in Sotschi, extremen Gruppierungen immer wieder die Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Nach meinen Beobachtungen nimmt die russische Führung die Drohungen der Islamisten sehr ernst und betreibt deshalb einen hohen Aufwand zum Schutz von Teilnehmern und Gästen. Etwa 50 000 Sicherheitskräfte bei erwarteten 80 000 Zuschauern und 6000 Sportlern und Funktionären sind schon beeindruckend, hinzu kommen 1400 Video-Überwachungskameras, auch Drohnen werden eingesetzt, vor der Küsten liegen Schiffe der Marine – es wird also schon das Mögliche getan, um sichere Spiele zu gewährleisten. Aber München 1972 hat uns gezeigt, dass es keinen hundertprozentigen Schutz vor Terror gibt. Die russische Führung ist sich durchaus bewusst, dass die Terroristen, gerade weil in Sotschi die Sicherheitsanstrengungen überaus groß sind, während der Spiele in anderen Landesteilen Unheil anrichten könnten. Doch ich denke, in diesen Tagen wird die gesamte russische Bevölkerung sehr wachsam sein.

Sie sprachen die besondere Rolle der Medien vor und während Olympischen Spiele in Sotschi an. Den deutschen Zuschauern und Lesern drängt sich der Eindruck auf, die Vorbereitung auf das Ereignis sei vor allem von Problemen und Skandalen bestimmt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich möchte hier nicht widersprechen, aber auch dabei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Der eine ist, dass die russische Führung sehr genau die Medienberichte über ihr Land analysiert und auf Kritik auch empfindlicher reagiert, als das anderswo der Fall ist. Andererseits finde ich es aber auch schwierig, wenn die Olympischen Spiele in Sotschi in der öffentlichen Darstellung bei uns auf Umweltskandale, Korruption und Homosexualität reduziert werden und die Chance nicht genutzt wird, mehr über Russland zu erfahren, einschließlich der sehr vielfältigen politischen Szenerie. Ich wünsche mir eine faire Berichterstattung über Sotschi und Russland, wobei die politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Probleme nicht ausgespart werden sollen. Auch das gehört zu einer objektiven Berichterstattung.

Sie setzen also auf ein realistisches Bild der Situation und der Entwicklungen in Russland. In den letzten Jahren sah es so aus, als sei das Interesse der deutschen Politik am Ausbau der Kontakte auf allen Ebenen erloschen,. Im Gegenteil, es gab Bestrebungen, eine solch etablierte Institution, wie das zivilgesellschaftliche Forum Petersburger Dialog nicht mehr weiterzuführen. Wie wollen Sie Ihre Funktion nutzen, die Beziehungen wieder zu vertiefen?

Wir haben ja einige gemeinsame gesellschaftliche Institutionen, die in Politik und Wirtschaft, Kunst und Kultur erfolgreich zusammenarbeiten. Dazu gehört seit dem Jahr 2000 auch der Petersburger Dialog. Ich bin vor Anfang an Mitglied des Lenkungsausschusses gewesen und habe mich immer bemüht, seine Tätigkeit noch effektiver zu gestalten. Ich meine, dass es richtig und wichtig ist, den Petersburger Dialog weiterzuführen, aber ebenso, seine Arbeitsweise den neuen Herausforderungen anzupassen, wozu ich meinen persönlichen Beitrag leisten möchte. Nach meiner Kenntnis ist auch die Bundesregierung an einer Fortführung des Petersburger Dialoges interessiert.

Sehen Sie Ihre Ernennung im Zusammenhang mit einer gewissen Kurskorrektur der Bundesregierung gegenüber Russland?

Es gibt in der deutschen Außenpolitik seit jeher eine verlässliche Orientierung – im Verhältnis zu wichtigen Partnern, und dazu gehört Russland, auf Kontinuität zu setzen. Auch unter der vorhergehenden Regierung sind alle wichtigen gemeinsamen Gremien und Plattformen für den deutsch-russischen Dialog genutzt worden, selbst wenn der Ton mitunter etwas rauer war. Ich habe Respekt vor der Arbeit, die mein Vorgänger Herr Schockenhoff in den vergangenen acht Jahren in seiner Tätigkeit als Koordinator geleistet hat, aber ich werde, da ich einen etwas anderen Hintergrund habe, meinen eigenen Arbeitsstil einbringen. Dabei ist meine Einordnung durch die Medien als „Russland-Versteher“ im Gegensatz zum „Russland-Kritiker“ nicht sehr hilfreich und auch nicht gerechtfertigt, denn mein Bemühen, Russland und die russische Politik aus der Kenntnis der vielfältigen Faktoren heraus zu verstehen und auf dieser Grundlage zu arbeiten, schließt keinesfalls die kritische Diskussion von Situationen und Entwicklungen aus. So habe ich es auch in der Vergangenheit gehalten und deshalb haben mir meine russischen Gesprächspartner immer Achtung entgegengebracht. Insofern wird sich vielleicht der Umgang miteinander etwas ändern, aber es gibt keinen Grund, von einem Kurswechsel im Verhältnis zu Russland zu sprechen. Denn ich bin Beauftragter der Bundesregierung, die den Inhalt und die Richtung meiner Tätigkeit festlegt.

Ich sehe meine Aufgabe in der Förderung eines konstruktiven, aber durchaus kritischen Dialogs und dabei wäre eine Schublade kein geeigneter Startplatz für mich.

Natürlich helfen mir meine Kenntnisse und Kontakte aus rund drei Jahrzehnten Beschäftigung mit Osteuropa, Russland und der GUS, mich schnell im aktuellen Geschehen zurechtzufinden und gerade in dem gegenwärtigen Spannungsfeld zwischen der EU, Russland und der Ukraine ist es vorn Vorteil, dass ich bereits mit diesen Ländern gearbeitet habe.

Wie könnte aus Ihrer Sicht der Konflikt in der und um die Ukraine entschärft werden und warum sollte es nicht möglich sein, dass die Ukraine sowohl mit Russland under EU vorteilhaft zusammenarbeitet?

Ich denke, wir müssen hier zwischen zwei Aufgabenfeldern unterscheiden. Das eine ist die extrem zugespitzte Situation in der Ukraine, wo die Positionen von Regierung und Opposition unvereinbar sind und auch Gespräche zwischen beiden Seiten ergebnislos geblieben sind. Was wir als Deutschland und EU tun können und müssen, ist, auf beide Konfliktparteien und auch auf Russland einzuwirken, damit die Krise friedlich gelöst wird.

Das andere ist, dass die EU, die Ukraine und Russland versuchen müssen, aus der wohl von allen nicht gewollten Entweder-oder-Situation herauszukommen, die gegen Ende der Verhandlungen um das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine entstanden ist. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Entweder-oder Situation berechtigt ist, denn warum sollte ein Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU nicht vereinbar sein mit einer engen, vor allem wirtschaftlichen, Zusammenarbeit der Ukraine mit Russland, einschließlich einer bestimmten Rolle der Ukraine im Zusammenhang mit der Zollunion zwischen der Russischen Föderation, Weißrussland und Kasachstan. Hier sind nach der verständlichen ersten großen Enttäuschung in Brüssel über den unerwarteten Rückzug der Ukraine, nachdem bereits der Termin für die Unterzeichnung des Abkommens feststand, neue Überlegungen über das weitere Vorgehen anzustellen. Dazu sind zunächst informelle Gespräche notwendig und dazu bin ich ausdrücklich bereit und es gibt auch schon erste Kontakte.

Aber ist die Enttäuschung bei der EU nicht hausgemacht, indem sie der Ukraine nicht das dringend benötigte Geld zur Verfügung gestellt hat, um einen Staatsbankrott abzuwenden, sondern in letzter Minute Russland eingesprungen ist?

Ich zögere, hier einer Seite die Schuld zuzuweisen. Zumal der ukrainische Präsident Janukowitsch bis zuletzt mit den EU-Vertretern über das Assoziierungsabkommen im Gespräch war. Es ist allerdings möglich, dass die dramatische wirtschaftliche Lage in der Ukraine durch die EU unterschätzt wurde und auch die Angebote des IWF nicht der Situation Rechnung getragen haben. Angesichts dieser großen Frustration ist es durchaus sinnvoll, bei informellen Gesprächen auszuloten, wo Gesprächsbereitschaft und Handlungsbedarf bestehen.

Zurück nach Russland. Welchen Einfluss haben die bekannten innenpolitischen Probleme in dem Land auf das deutsch-russische Verhältnis?

Gegenwärtig ist festzustellen, dass die innenpolitische Situation in Russland zumindest in den Medien deutlich im Fokus steht und alles andere in den Hintergrund rückt, wie die insgesamt gute wirtschaftliche Entwicklung, die weiter anhält, oder auch die Rückkehr der russischen Politik als Akteur auf die internationale Bühne, was sich an der Zustimmung Syriens zur Vernichtung der Chemiewaffen und zu Gesprächen mit der Opposition oder auch am Einlenken des Iran bei der Urananreicherung festmachen lässt. Auch die Bemühungen der USA um Fortschritte im Nahost-Friedensprozess wären ohne die Unterstützung durch Russland kaum von Erfolg gekrönt. Nun hoffen wir und tun das uns Mögliche, dass diese konstruktiven Schritte Russlands in der Außenpolitik auch eine Entsprechung im Inneren finden, dass beispielsweise die Amnestie und die Freilassung solch prominenter Gefangener, wie Chodorkowski, den Frauen von Pussy Riot oder den Greenpeace-Aktivisten nicht nur Goodwill-Gesten im Vorfeld von Sotschi waren, sondern auch die Tür öffnen für einen Dialog mit politisch Andersdenkenden. Diese Erwartung habe ich auch meinen russischen Partnern gegenüber bereits zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass, wenn es während der Spiele zu angemeldeten Protestaktionen kommen sollte, keine Maßnahmen gegen die Teilnehmer geben wird.

Der Bau der Sportanlagen in der Olympiastadt und fremdenfeindliche Ausschreitungen in Moskau haben auch die Lage der Migranten in Russland ins Blickfeld gerückt. Kann die russische Führung dieses Problem in den Griff bekommen?

Zunächst einmal spricht der Zustrom von Arbeitskräften aus Zentralasien und dem Kaukasus für die Attraktivität Russlands und seiner Wirtschaft in den Nachbarrepubliken. Russland braucht diese Arbeitskräfte, aber gleichzeitig müssen für die Wanderarbeiter faire Arbeits- und Lebensbedingungen geschaffen und sie von der Gesellschaft akzeptiert werden. Hier gibt es, meiner Meinung nach, für die russische Führung eine doppelte Herausforderung: Zum einen durch die Wanderarbeiter selbst, die ja nicht unbeträchtlich Geldmengen in ihre Heimatländer schicken und zum anderen durch die große Angst in der Bevölkerung vor nordkaukasischen Radikalen, die mit den Wanderarbeitern oft auf eine Stufe gestellt werden. Und leider werden solche von rechten und nationalistischen Kräften verbreiteten Vorurteile durch die politisch Verantwortlichen nicht immer entschieden genug zurückgedrängt. Aber wir kennen ja selbst aus unserem Land solche Diskussionen um die Tätigkeit von Ausländern in der deutschen Wirtschaft.

Im Zusammenhang mit den Olympischen Spiele in Sotschi hatte es immer wieder Spekulationen gegeben über eine Abschaffung der Visapflicht und auch aus der deutschen Wirtschaft kommen in dieser Hinsicht unmissverständliche Forderungen. Erwarten Sie in absehbarer Zeit eine Lösung?

Ja, wir hatten gehofft, bis Sotschi eine liberale Lösung bei der Visavergabe zu haben, mit der Perspektive eines visafreien Reiseverkehrs. In dieser Frage gibt es auch im Bundestag parteiübergreifend Zustimmung. Allerdings sind hier zwischen „Innenpolitikern“ und „Außenpolitikern“ noch einige offene Fragen zu klären, aber ich hoffe sehr und werde mich auch dafür einsetzen, dass in Kürze deutliche Fortschritte erreicht werden. Denn für Russland hat diese Frage einen hohen Stellenwert und unsere Partner vergleichen durchaus die von Deutschland und anderen EU-Staaten praktizierte Erteilung von Visa. Hier ist eine einheitliche Lösung überfällig.

Sie haben nicht nur einmal erklärt, dass Sie sich immer wieder freuen, wenn Sie nach Russland kommen. Woher rührt diese Freude?

Ich befasse mich schon seit meiner Jugend mit der russischen Sprache und Literatur. Alexander Puschkin ist mein Lieblingsdichter und einer der Größten in der Ahnengalerie der russischen Klassik. Ich stelle immer wieder fest, wie modern er eigentlich ist in seinen Beobachtungen und künstlerischen Reflexionen ist, zum Beispiel über den Kaukasus. Dass ich mich jedes Mal freue, nach Russland zu reisen, hängt nicht nur damit zusammen, dass ich mich ganz ungezwungen mit den Menschen in ihrer Sprache unterhalte, sondern es ist über die lange Zeit der Beschäftigung mit diesem Land eine emotionale Beziehung entstanden, die mir auch hilft, meine Aufgabe bestmöglich zu erfüllen.

Das Interview führte Hartmut Hübner/russland.RU

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