Russland investiert in nachhaltige Müllverwertung

[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Die Verwertung von Haushalts- und Industrieabfällen steckt in Russland noch in den Kinderschuhen. Projekte werden zwar diskutiert. Aber erst wenige Kommunen und Regionen entscheiden sich, zusammen mit Investoren oder auf eigene Faust Projekte anzuschieben. Dennoch gibt es für deutsche Anbieter punktuell Möglichkeiten zur Beratung und Technologieausstattung. Das Kunststoffrecycling wird auf demnächst auf eine gesetzliche Basis gestellt.

Ein interessantes Modernisierungsprojekt für die Müllverwertung bahnt sich zum Beispiel in der Stadt Tomsk in Westsibirien an. Dort regte sich gesellschaftlicher Widerstand, da sich mancherorts Berge von Haushaltsmüll auftürmten. Die Stadtverwaltung sah sich gezwungen, mit Unternehmen der Müllwirtschaft ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwerfen.

Neben dem kommunalen Müllabfuhrunternehmen Spetzavtochozjaistwo operieren in Tomsk private Abfuhrdienste, darunter Service Plus, ABF-Logistik und Sornet. Eine Untersuchung ergab, dass diesen Entsorgungsgesellschaften nicht genügend Investitionsmittel zur Verfügung stehen. So erhebt die Stadtverwaltung zwar Müllgebühren von den Einwohner, reicht diese aber nicht schnell genug an die Müllunternehmen weiter. Daher fordern die Firmen, die Gebühren in Eigenregie eintreiben zu dürfen.

Beschlossen wurde aber zunächst ein Mehrstufenplan zur Modernisierung der Müllabfuhr. In einem ersten Schritt werden die Operationsgebiete jeder einzelnen Gesellschaft genau festgelegt und auf einer Karte eingetragen. Damit können die Verantwortlichkeiten für eventuelle Missstände künftig eindeutig zugeordnet werden.

In einem zweiten Schritt reicht jede Gesellschaft einen Investitionsplan ein. Anhand dieser Dokumente lässt sich der Bedarf an Ausrüstungen und Spezialtechnik zum Einsammeln, zum Transport und zur Verwertung von Müll exakt feststellen. Beschaffungsausschreibungen werden nachgeschaltet.

In der Region Blagoweschensk (Republik Baschkortostan) wurde ein anderer Ansatz gewählt. Gemäß einer Initiative des Regionalparlaments wird unter Beteiligung der örtlichen Industrie, jedoch mit öffentlichen Geldern eine Müllverwertungsgesellschaft gegründet. In den Haushaltsjahren 2014 und 2015 werden dafür 400 Mio. Rubel bereitgestellt.

Das umweltpolitisch größere Problem in Blagoweschensk ist nicht der Haushaltsmüll, sondern die Industrieabfälle. Diese sollen in Zukunft bei allen Verursacherfirmen eingesammelt und anschließend zentral entsorgt werden. Auch die Stadtverwaltung von Pensa (Zentralrussland) erwägt, in ein tragfähiges System zum Einsammeln und Verwerten von Industrie- und Kommunalabfällen zu investieren.

In der Ostseeenklave Kaliningrad ist ein ähnlich gearteter Beschluss gefasst worden. Dort erfolgte sogar schon eine Ausschreibung zur Findung eines Konzessionsnehmers. Ausgeschrieben war unter anderem die Einrichtung einer Deponie in der Nähe der Ortschaft Sytschewo (Zelenogradskij Rayon). Vom Konzessionsnehmer werden Eigenmittel von 330 Mio. Rubel (etwa 6,9 Mio. Euro, 1 Euro = 47,5827 Rubel, Stand: 2.6.2014) zur Einrichtung und Ausstattung der Deponie verlangt. Im Gegenzug können die jährlich anfallenden 40.000 jato Müll verwertet werden. Die anfallende Müllmenge soll sogar nach kurzer Zeit auf 100.000 jato ansteigen.

Ein Interessent hatte sich dem Vernehmen nach zwar gemeldet. Doch folgte nach nur kurzer Zeit eine Absage. Es hatte sich heraus gestellt, dass US-Investoren beteiligt waren. Wegen der aktuellen Sanktionen hatten diese wieder Abstand genommen. Nun wird neu ausgeschrieben. Im Gebiet Tjumen (Westsibirien) wurde gleichfalls ein Tender zur Einrichtung eines komplexen Systems zur Müllverwertung veröffentlicht. Gesucht wird hier ein Investor, der das Einsammeln und Verwerten von Haushaltsmüll neu organisiert und anschließend auch betreibt.

Geplant ist die Errichtung von vier Müllverwertungsanlagen und zwei Sammelplätzen beziehungsweise Umschlagsstationen. Die wiederverwendbaren Bestandteile sollen aussortiert werden, der nicht verwendbare Rest fachgerecht auf Deponien landen. Als Standorte für die Müllverwertungsanlagen wurden die Städte Tjumen, Tobolsk, Jalutorowsk und Ischim auserkoren, die sich allesamt im Gebiet Tjumen befinden.

Entsprechende Grundstücke in räumlicher Nähe zu Deponien sollen auch schon ausgewiesen worden sein. Der Wert des Gesamtvorhabens wird mit 1,5 Mrd. Rubel (etwa 31,5 Mio. Euro) angegeben. Im Jahr 2013 sind im Gebiet Tjumen 2,6 Mio. Tonnen Müll angefallen. Davon stammen 30% aus Haushalten, der Rest von der Industrie.

Der Konzessionsnehmer erhält das Recht zur Valorisierung der verwertbaren Müllbestandteile für einen Zeitraum von 29 Jahren. Einzige Bedingung ist, dass die Investitionsverpflichtungen eingehalten werden und die Gebühren für die Müllabfuhr vorerst nicht ansteigen.

In Perm (Ural) läuft ebenfalls ein Projekt an: In der Nähe eines Industrieparks will das Unternehmen Bumatika ein Werk zur Erzeugung von Brennstoffen aus Müll errichten. Dieses Vorhaben wurde Ende Mai 2014 der Öffentlichkeit vorgestellt. Auch hier werden aus dem Müll zunächst die wieder verwendbaren Rohstoffe aussortiert.

Die restlichen Bestandteile werden zu RDF (engl.: refuse-derived fuel) verarbeitet. RDF besteht vorrangig aus Plastik und biologischen Rückständen. Der Brennwert soll ähnlich hoch wie bei Kohle liegen. Bumatika schaut sich dem Vernehmen nach aktuell nach einer geeigneten Technologie um. Das Unternehmen wurde 2002 in Perm gegründet und beschäftigt zurzeit 101 Mitarbeiter.

Erste Unternehmen zur Müllverwertung und zur Durchführung ökologischer Projekte sind aber auch schon überregional aufgestellt. Dazu gehört die Firma EcoSystem. Zu ihren Geschäftsfeldern zählen das Einsammeln, Trennen und Verwerten von Haushaltsabfällen sowie die Reinigung von Uferanlagen.

Anfang April 2014 verkündete ein Firmensprecher, dass die Sberbank an EcoSystem eine Kreditlinie über 12 Mrd. Rubel (etwa 252 Mio. Euro) für eine Laufzeit von 10 Jahren gewährt hat. Weitere 4 Mrd. Rubel (etwa 63 Mio. Euro) wollen die Aktionäre drauf legen. Mit dem Geld wird unter anderem das Projekt „Saubere Wolga“ realisiert. Dazu gehören die Säuberung und Rekultivierung weitläufiger Uferpassagen.

EcoSystem betreibt 13 Müllverwertungsanlagen im Stadtgebiet Moskau, im Umland von Moskau, im Altai, in Astrachan, Kostroma, Belgorod und Tomsk. In der Planung ist eine Müllverwertungsanlage im Wert von 1,5 Mrd. Rbl (etwa 31,5 Mio. Euro) in Kostroma. Darüber hinaus sind in den Regionen Samara und Saratow zwei Deponien für feste Haushaltsabfälle und vier Mülltrennungsanlagen mit Kapazitäten von jeweils 0,5 Mio. jato geplant.

Alle sechs zu bauenden Installationen kosten zusammen 4 Mrd. Rubel (ca. 31,5 Mio. Euro), davon 2,4 Mrd. Rubel in Samara und 1,6 Mrd. Rubel in Saratow. Die Refinanzierung erfolgt zu 80% über Gebühren zur Müllentsorgung und zu 20% über den Verkauf des wiederverwertbaren Materials. Um die landesweit steigenden Volumina an Plastikabfällen einzudämmen, arbeitet das russische Energieministerium an Vorschriften und Förderinstrumenten zur Durchsetzung des Kunststoffrecycling. In Russland beträgt die Weiterverarbeitungsquote von Polymerabfällen 10%, in Deutschland 80%. Daher orientiert sich das Ministerium unter anderem an der europäischen Verpackungsordnung.

Ziel ist es, auf gesetzlicher Grundlage die Herstellung nicht-wiederverwendbarer Kunststoffarten zu begrenzen oder ganz zu verbieten, wie der stellvertretende Vorsitzende der Energiekommission in der Staatsduma, Pawel Zawalny, unterstrich. In diesem Zusammenhang soll auch ein System zum Einsammeln von Kunststoffabfällen aus privaten Haushalte entstehen.

 

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