Russland im FokusRosa Luxemburg-Treffen Berlin 2019 bild © huebner

Russland im Fokus

Das Moskauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist landesweit bekannt als ein gastfreundliches Haus. Öffentliche Kulturveranstaltungen und Ausstellungen, Seminare und Schulungen, immer offene Türen für Partner und Gäste aus Russland und Deutschland.

„Diesmal haben wir unsere Freunde und Partner nach Berlin eingeladen, um mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft, aber auch interessierten Bürgern zu diskutieren, was getan werden kann und muss, um die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf allen Ebenen weiter zu normalisieren und auszubauen“, erklärte Kerstin Kaiser, die das Büro der Stiftung in Moskau seit drei Jahren leitet.

So war denn auch das Programm der vergangenen drei Tage für die russländischen Gäste gut gefüllt.

Schon bei dem ersten Runden Tisch zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft linker Praxis in beiden Ländern zeigte sich, dass die neoliberale Politik der politisch Verantwortlichen hier wie dort ähnliche Probleme für das Gros der Bevölkerung hervorbringt, wenn auch durchaus in unterschiedlicher Ausprägung. Einig war man sich darin, dass der Kapitalismus überall auf der Welt zu einer Dehumanisierung der Gesellschaft führt, die sich in allen Lebensbereichen widerspiegelt.

Wachsende Enttäuschung über den Staat

Der Co-Vorsitzende der überregionalen Gewerkschaft der Hochschulmitarbeiter, Pawel Kudjukin, stellte fest, dass sowohl im Westen als auch in Russland die politischen Interessen im Wesentlichen übereinstimmen, den Herrschenden gehe es um die Sicherung ihrer Macht. Diese Erkenntnis führe in Russland zu wachsender Enttäuschung über den Staat und inzwischen auch zu Protestaktionen, wie gegen die Erhöhung des Renten-Eintrittsalters im vergangenen Jahr. Die linken Kräfte in Russland müssten sich gemeinsam stärker an die Spitze des Kampfes für soziale Gerechtigkeit stellen. Die Politologin Veronika Kraschenninikowa, Mitglied der gesellschaftlichen Kammer Russlands, einem ehrenamtlichen Beratungsgremium für Präsident und Regierung, erklärt, dass das heutige Russland nichts mehr mit der ehemaligen Sowjetunion gemein habe, wie vielfach im Westen angenommen werde, sondern dort eine nationalkonservative, gegen das Volk gerichtete Politik betrieben werde, unterstützt durch antisowjetische Propaganda.

Der Leiter der internationalen Abteilung der Linkspartei, Oliver Schröder, sprach sich für eine engere Zusammenarbeit der Partei mit den linken Kräften in Russland aus. Dafür habe es schon seit über zehn Jahren die Chance gegeben, die aber von beiden Seiten bislang nicht genutzt worden sei, beklagte die Publizistin und Friedensaktivistin Christiane Reymann und forderte, dass es, angesichts der zunehmenden, auch militärischen, Spannungen zwischen Russland und dem Westen, ein strategisches, und nicht nur punktuelles Zusammenwirkung von Linken in beiden Ländern geben müsse.

Wie konkret diese Zusammenarbeit aussehen kann und welche gemeinsamen Projekte es auf zivilgesellschaftlicher Basis zwischen Deutschland und Russland gibt, wurde am folgenden Tag in Rundtischgesprächen diskutiert. Dabei ging es um solche Themen, wie die Herausforderungen bei der Durchsetzung der Rechte von Frauen, die Gestaltung von Kommunal- und Regionalpolitik, wie auch den Kampf für soziale und Bürgerrechte.

Gouverneur verbietet Betriebsrat

Bei einer Podiumsdiskussion mit rund 200 Teilnehmern würdigte die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, die Rolle des Moskauer Büros bei der Unterstützung der Zivilgesellschaft in Russland, wie auch bei der Darstellung der Entwicklungen in Russland aus linker Sicht in Deutschland.

Auch der Abgeordnete der Staatsduma der Russländischen Föderation, Fraktion „Gerechtes Russland“, Oleg Scheina, sprach sich für eine engere Zusammenarbeit, sowohl auf parlamentarischer Ebene, wie auch zwischen den Zivilgesellschaften aus. Dabei sei eine Unterstützung durch den Staat durchaus nützlich, er warnte aber vor dessen Bestrebungen, diese Kontakte zu kontrollieren. Die Vorsitzende der Stiftung West-Östliche Begegnungen, Jelena Hoffmann, verwies auf die vielen sehr gut funktionierenden deutsch-russischen Städtepartnerschaften mit zahlreichen Projekten in Kultur, Bildung und Sport, sowie im Jugendaustausch, den ihre Stiftung besonders unterstützt. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Stefan Liebig, plädierte eben falls für einen Ausbau der Kontakte nach Russland, bei aller Kritik am Vorgehen Russlands, zum Beispiel bei der Eingliederung der Krim.

Gleichzeitig kritisierte er in diesem Zusammenhang die doppelten Maßstäbe des Westens an das Verhalten von Staaten. Man könne nicht Russland wegen der Krim verurteilen, die blutige Invasion der Türkei in Syrien aber ohne Konsequenzen hinnehmen.

Die russländische Journalistin Marinä Voskanyan sprach von einem Informationskrieg, sowohl bei der Bewertung von internationalen Vorgängen, aber auch Entwicklungen im jeweils anderen Land. Dabei spielten auf beiden Seiten neben den traditionellen Medien auch soziale Netzwerke eine zunehmende Rolle. Aber gerade hierin sieht sie auch eine Chance des Informationsaustausches ohne staatliche Beeinflussung.

Zur Kritik an Kontakten der russländischen Führung zu rechtsextremen Parteien im Westen erklärte Veronika Kraschenninikowa, dass dies eine zeitweilige Erscheinung zum gegenseitigen Nutzen gewesen sei. Seit dem Ukraine-Konflikt im Jahre 2014 sei Russland politisch isoliert gewesen und habe jede Möglichkeit genutzt, die Verbindungen nach Europa aufrecht zu erhalten. Die rechtsextremen Parteien des Westens wiederum hätten ihre Chance gesehen, auf internationaler Bühne aufzutreten. Inzwischen gebe es aber nahezu keine Kontakte Russlands mit diesen politischen Kräften mehr.

Mit welchen Schwierigkeiten die russländischen Gewerkschaften zu kämpfen haben, erläuterte der Präsident der Gewerkschaft KTR an einem Beispiel. Zur besseren Vertretung der Rechte der Beschäftigten sollte im VW-Werk in Kaluga mit Zustimmung der Konzernführung ein Betriebsrat gebildet werden. Als der Gouverneur des Gebietes von diesem Vorhaben erfuhr, untersagte er es kurzerhand. Er hoffe hier auf Unterstützung der deutschen Gewerkschaftskollegen von DGB und IG Metall, mit denen es einen regelmäßigen Austausch gebe.

Mit einem Besuch im Bundestag fand die Veranstaltung ihren Abschluss.

[hh/russland.NEWS]

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