Russland-Geschäft: Wirtschaft nicht länger zum Hampelmann der Politik machen

Sogar während des kalten Krieges waren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Westen nicht so politisiert wie jetzt. Das stellten die Teilnehmer an einer Posiumsdiskussion zu diesem Thema auf dem Moskauer Wirtschaftsforum fest, das in der vergangenen Woche stattfand. Sollte sich die politische Situation nicht bald ändern, kann sich das beiderseitige Geschäft nicht entwickeln, sagte Moderator Andrej Kobjakow, Ökonom und Publizist.

Wie trotz Krise und Sanktionen das „Business as usual“ betrieben werden kann, diskutierten erfahrende Wirtschaftsmanager aus dem Westen.

Standhafte Franzosen

So machte der kaufmännische Leiter der französisch-russischen Industrie- und Handelskammer, Tom Keruel, deutlich, dass ungeachtet der Tatsache, dass der Umfang des gegenseitigen Handels zwischen  Russland und Frankreich seit 2013 von 18 Milliarden Euro um mehr als die Hälfte auf acht Milliarden zurückgegangen ist,  die französischen Unternehmen in Russland bleiben wollen.

„Derzeit sind rund 600 Firmen aus Frankreich hier, weitere etwa 6 000 haben Geschäftsbeziehungen mit Russland.“

Wie Keruel meint, haben die politischen Ereignisse auf das Business nur „einen kurzfristigen Effekt“. Viel schwerer wiegen die Krisenerscheinungen in der russischen Wirtschaft und der Kursrückgang des Rubels. Gleichzeitig, so Keruel, zwängen die neuen Realitäten die Franzosen, die  Lokalisierung von Produktionen in Russland auszubauen: „Der zumindest mittelfristig niedrige Ölpreis hält auch den Rubel auf absehbare Zeit unten, die Zölle sind hoch, also ist es ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, die Produktion teilweise oder vollständig nach Russland zu verlegen, was momentan etwa bei Herstellern von Landtechnik im Gespräch ist.“ Aber auch für Unternehmen, die eigentlich keinen Markt in Russland hätten, seien die jetzigen Bedingungen in Russland, wie eben der niedrige Rubelkurs und die geringen Selbstkosten, Anlass zu Überlegungen, Produktionen hierher auszulagern.

Der Vertreter französischer Interessen machte aber noch auf eine weitere Erscheinung aufmerksam – währen die kleinen und mittleren Unternehmen ihr Russland-Engagement einstellen oder wenigstens zurückfahren mussten, wollen die großen sogar noch zulegen: Insbesondere die französischen Einzelhändler, aber auch Unternehmen der Bauindustrie wollen ihren Marktanteil in Russland deutlich vergrößern, weil sie für 2017 wieder ein Wachstum erwarten.“

Disziplinlose Italiener

Weniger als die Franzosen litt offenbar die italienische Wirtschaft unter dem politischen Druck auf das Russland-Geschäft. „Unser Export nach Russland ging lediglich um 24 Prozent zurück, was in der europäischen Relation wenig ist, der Import um 12 Prozent“, teilte der Vizepräsident der Vereinigung der italienischen Unternehmer in Russland, Vittorio Torrembini mit.

„Immerhin haben 80 italienische Unternehmen eine eigene Produktion in Russland mit einem Gesamtumsatz von etwa fünf Milliarden Euro.“ Auch er setzt große Hoffnungen in die Zukunft: “Die Perspektiven für die Beziehungen unserer beiden Länder sind ausgezeichnet!“, versicherte er. „Schließlich war unser Ministerpräsident im vergangenen Jahr als einziger aus Europa in Russland und in diesem Jahr wird eine repräsentative Delegation Italiens das Petersburger Wirtschaftsforum besuchen. Das ist der italienische Stil – selbst während des neuen Kalten Krieges öffnen wir als erste die Tür“, erklärte er und verwies auf die den Italienern angeborene „Disziplinlosigkeit“. In diese Kategorie gehört nach seiner Ansicht auch der Italien-Besuch des Duma-Vorsitzenden Sergej Naryschkin, obwohl dieser ein Einreiseverbot für die EU hat.

Auf die Frage des Moderators, ob jetzt Italien vielleicht unter der Flagge von San Marino, das unlängst beschlossen hat, auf den russischen Markt zu gehen, Parmesan nach Russland liefert, antwortete Torrembini verschmitzt: „Schenke Gott ihnen Erfolg! Denn, was ich hier in den Vitrinen sehe, ist einfach schrecklich.

Gefügige Deutsche

In Fragen der Disziplin unerschütterlich sind wieder einmal die Deutschen, stellte nicht ohne Bedauern der frühere Generalbevollmächtigte der Knaufgruppe in Russland und der GUS und heutiges Vorstandsmitglied der Vereinigung für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern Zentral- und Osteuropas, Dr. Gerd Lenga, fest.

Das so genannte „Primat der Politik“ habe dazu geführt, dass die deutsche Wirtschaft heute nicht mit voller Kraft in Russland arbeiten könne. Deutschland sei mit rund 6000 Unternehmen in Russland und einem Warenumsatz mit der Russischen Föderation wirtschaftlich sehr stark in dem Land engagiert gewesen. Durch die letztendliche Unterwürfigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber dem politischen Druck aus Berlin  und den USA sei das bilaterale Außenhandelsvolumen zwischen Deutschland und Russland allein im vergangenen Jahr um 7,5 Mrd. Euro, also um ein Viertel, zurückgegangen. Im Vergleich zum Rekordjahr 2012 bedeutet das sogar einen Einbruch um fast die Hälfte.

„Ich kann zum einen die deutsche Politik nicht verstehen, dass sie bei den Sanktionen gegen Russland den Vorgaben aus den USA im Interesse der eigenen und der europäischen Wirtschaft und nicht nur nicht entgegengetreten ist, sondern dass sie, wie ein übereifriger Schüler, maßgeblich dafür gesorgt hat, dass die EU-Sanktionsliste gegen Russland fast doppelt so lang ist, wie die amerikanische“, hält er seine Verärgerung nicht zurück und zeigt aber auch gleich auf die andere Seite: „Ich habe den Eindruck, dass die deutschen Unternehmer zwar sagen, dass ihnen die Sanktionen ihr Russland-Geschäft kaputt machen oder gar nicht erst ermöglichen, aber ihnen zugleich der Mut fehlt, massiv gegen die Bevormundung durch die Politik aufzutreten.“ Deshalb seien in den letzten beiden Jahren Hunderte deutsche Unternehmen und 30 000 Deutsche aus Russland weggegangen.

Er verwies im Vergleich dazu darauf, dass in den Zeiten des Kalten Krieges sich die Wirtschaft gegen die Politik durchgesetzt und ausgiebigen Handel mit Russland getrieben hat. Das bestätigte der Finanzexperte Axel Lebahn, der in den 1980er Jahren als Vertreter der Deutschen Bank in Moskau tätig war. „Obwohl sich die Sowjetunion und der Westen damals im kalten Krieg befanden, und der UdSSR Sanktionen in Zusammenhang mit dem Einmarsch in Afghanistan auferlegt waren, gelang es uns, Moskau einen Kredit über zehn Milliarden Deutsche Mark für den Bau der Gasleitung „Jamal – Westeuropa“ zur Verfügung zu stellen.“

„Wo  sind heute die Unternehmer, die heute den nötigen Mumm haben, sich der Sanktionspolitik entgegenzustellen?“, fragte er. Inzwischen sei es so weit gekommen, dass Minister den Geschäftsleuten raten: „Arbeitet dort weiter, aber nicht auf, sondern unter dem Tisch.“ Der erfahrene Anwalt und Russlandkenner ist sich aber sicher, dass, wenn im Frühsommer die Sanktionen gegen Russland wider allen Erwartungen verlängert werden sollen, kein EU-Land dagegen auftreten wird.

Einen Teil der Schuld an der Verschlechterung des politischen Klimas zwischen Russland und dem Westen und damit auch der Verunsicherung der Wirtschaft tragen, nach einhelliger Meinung der Wirtschaftsexperten, auch die Medien. „Sie berichten vielfach nicht objektiv über die Entwicklung hier im Land und das befördert nicht gerade den Willen von Unternehmern, sich in Russland zu engagieren“, beklagte Tom Keruel. Auch hier mache sich offenbar, wie  in der Wirtschaft, ein Primat der Politik bemerkbar, das so nicht hingenommen werden sollte.
(Hartmut Hübner/russland.RU)

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