Russland geht industriellen Strukturwandel an

[Von Ullrich Umann/gtai] Das russische Industrie- und Handelsministerium möchte das verarbeitende Gewerbe künftig besser fördern. Zinsverbilligte Kredite, nicht rückzahlbare Zuschüsse und Minderung der Steuerlast sollen stärker genutzt werden, um moderne Industriezweige entstehen zu lassen. Mehr Unterstützung erhalten auch Investoren in Industrieparks, um auf diese Weise mehr Plattformen dieser Art entstehen zu lassen. Die Regierung bereitet eigens ein Gesetz „Über die Industriepolitik“ vor.

Im Mai 2014 wird das Kabinett über den Entwurf eines neuen Gesetzes „Über die Industriepolitik“ beraten. Damit soll ausdrücklich nur das verarbeitende Gewerbe gefördert werden, nicht jedoch die Öl-, Gas- und Kohleindustrien. Bei der Reform der Industriepolitik ist das Ministerium für Industrie und Handel federführend. Wird das Gesetz von der Duma verabschiedet, würde das Kabinett einen stärkeren Einfluss auf den industriellen Strukturwandel ausüben können.

Russlands Öl- und Gasausfuhren stagnieren nun schon seit Monaten. Zwar garantieren sie immer noch einen stabilen Devisenzufluss. Doch kann auf dieser Basis kein neues Wirtschaftswachstum generiert werden, jedenfalls nicht gegenwärtig. Der seit Jahren angemahnte Strukturwandel, weg von der Energieträger- und Rohstoffförderung, hin zu modernen verarbeitenden Industriezweigen, drängt sich Russlands Wirtschaftspolitikern als Alternative regelrecht auf.

Rückendeckung für seine Gesetzesinitiative erhält Industrie- und Handelsminister Denis Manturow direkt aus dem Kreml. So erklärte Präsident Putin in einer seiner jüngsten Ansprachen die Wachstumseffekte der öl- und gasgestützten Wirtschaft seines Landes für ausgereizt. Die Chancen Manturows, das geplante neue Gesetz durch Regierung und Parlament weitgehend unverändert durchzubekommen, scheinen damit groß zu sein.

Im Kern setzt sich die vorgeschlagene industriepolitische Reform aus drei Bestandteilen zusammen. Das wären zum einen zehnjährige Steuerferien für Unternehmen, deren Investitionsprojekte das Industrieministerium als besonders förderfähig anerkennt. Dazu zählen unter anderem Greenfield-Investitionen in den Sparten neue Werkstoffe, Biotechnologie, Industrieautomation, Robotertechnik und andere.

Zum anderen kommen staatliche Zuschüsse für die Einführung neuer Technologien und für Infrastrukturmaßnahmen in Frage. Zu letztem gehören die Erschließung von Bauland für Fabrikanlagen und Industrieparks, insbesondere die Verlegung von Anschlüssen (Strom, Wärme, Wasser, Abwasser, Gas, Telekommunikation) und der Bau von Verkehrsanbindungen (Schiene, Straße, Wasser, Luft).

Drittens sollen Entwickler und Betreiber von Industrieparks dreistufige Förderprogramme beantragen können. Bereits heute existieren nach amtlichen Angaben 36 Industrieparks, in denen circa 60.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Wie Minister Manturow ausführte, sollen binnen fünf Jahren bis zu 300 Industrieparks entstehen, wofür er wirksame Förderinstrumente anbieten will. In der Zeitung Rossijskaja Gazeta wurde ausführlich über diese Instrumente berichtet.

Demnach könne sich Manturow drei jeweils gestaffelte Anreizsysteme für neue Industrieparks vorstellen: Im Fall eins würden ein Entwickler und/oder Betreiber eines Industrieparks vom Staat einen Teil der zu zahlenden Kreditzinsen ersetzt bekommen. Im Fall zwei würde darüber hinaus ein Zuschuss in Höhe von 10% der Investitionskosten zur Einrichtung des Industrieparks gewährt. Im Fall drei übernimmt der Staat zusätzlich noch 75% der Anschlusskosten zur Energieversorgung.

Das Gesamtpaket würde den Staatshaushalt bis zum Jahr 2020 nach Schätzungen mit 105 Mrd. Rbl (circa 2,2 Mrd. Euro) belasten. Der Nutzen läge jedoch laut Manturow auf der Hand: Bis 2018 könnten Investitionen in Industrieparks samt der sich dort ansiedelnden Unternehmen von bis zu 12 Bill. Rbl (rund 260 Mrd. Euro) ausgelöst werden. Die Zahl der neuen Arbeitsplätze würde im genannten Zeitraum damit 1 Mio. betragen, was Zuflüsse in das Staatsbudget in Form der Einkommenssteuer für Arbeitnehmer und Sozialabgaben von 177,1 Mrd. Rbl (circa 3,7 Mrd. Euro) generiert.

Daneben schlägt Manturow die Einrichtung eines Industriefonds im Umfang von 30 Mrd. bis 50 Mrd. Rbl (0,6 Mrd. bis 1,1 Mrd. Euro) vor, aus dem die Industrie zinsverbilligte Kredite erhalten könnte. Beim derzeitigen Zinsniveau von 11,5 bis 12,0% für gewerbliche Darlehen rechnen sich Projekte nur schwer. Zudem bekommen sogar nur Großunternehmen derartige Zinsen geboten. Kleine und mittlere Firmen müssen noch tiefer in die Tasche greifen oder gehen ganz leer aus. Laut Manturow sei der russische Staat aber verpflichtet, diesen Zinsnachteil Russlands im internationalen Standortwettbewerb auszugleichen.

Verbesserungen seien nach Meinung von Manturow auch bei der industriepolitischen Regionalplanung notwendig. Zunächst müsse ein klares Bild gezeichnet werden, wie sich die Nachfrage nach bestimmten Industrieprodukten regional verteilt, um Standortentscheidungen bei Investitionen besser bewerten zu können.

In der Vergangenheit kam es gelegentlich zu Fehlansiedlungen von Industrien, deren Produktion sich anschließend als vor Ort nur teilweise absetzbar erwiesen haben, wogegen die Güter andernorts benötigt wurden. In diesem Zusammenhang sei auf die Mode zum Aufbau von Stahlund Walzwerken hingewiesen, wie sich Manturow ausdrückte, die oft zu schnell Unterstützung seitens der Politik erhalten habe. Auch wäre eine landesweite Harmonisierung aller regionalen Industriefördergesetze im Zuge der Annahme des föderalen Industriegesetzes äußerst hilfreich, so der Minister.

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