Russisches Embargo: Keine Pipeline und kein Kraftwerk für die Türkei

Russland stoppt die Verhandlungen zur Gaspipeline „Turkish Stream“ sowie zum Bau des Atomkraftwerkes Akkuyu, meldete Interfax unter Bezug auf einen Insider. „Die laufenden Lieferungen russischen Gases werden von diesem Embargo nicht berührt und erfolgen vertragsgemäß“, sagte er.

Die Verhandlungen zur Gasleitung «Turkish Stream» dauern schon ein Jahr. Zunächst steckten sie in der Paketstruktur des Geschäftes fest, denn an die Baugenehmigung für die Pipeline war ein Rabatt auf das russische Gas geknüpft. Dann fanden in der Türkei Wahlen statt und die Türken hatten keine Zeit zum Verhandeln. Mitte vergangenen Monats drängte der russische Präsident, die neue Regierung der Türkei möge sich doch bitte in naher Zukunft mit diesem Projektes befassen. „Wir rechnen damit, dass die neue Regierung der Türkei die Durcharbeitung der Schlüsselaspekte des Abkommens kurzfristig organisieren kann“, sagte Putin diplomatisch ungeduldig. Schließlich ist die Türkei nach Deutschland der zweitgrößte Abnehmer russischen Gases.

Nun ist aber erst einmal Schluss. Nach dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei hatte Moskau das Nachbarland aus der Liste der freundschaftlich verbundenen Staaten gestrichen und entsprechende Konsequenzen angekündigt. Zwar hatte der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Russlands, Alexej Uljukajew, letzte Woche noch erklärt, der Beschluss der russischen Regierung, die Tätigkeit der russisch-türkischen Regierungskommission einzufrieren, bedeute nicht automatisch den Stopp solcher großen Investitionsprojekte, wie der Gaspipeline «Turkish Stream » oder den Bau eines Atomkraftwerkes in der Türkei, aber offensichtlich fiel die Entscheidung per „Handsteuerung“.

Zur Erinnerung: Russland und die Türkei hatten genau vor einem Jahr, am 1. Dezember 2014, ihre Pläne zum Bau der Pipeline verkündet, mit der die Ukraine umgangen werden und das Gasleitungsprojekt „Southern Stream“, das wegen des Widerstandes aus der EU gestoppt wurde, ersetzt werden sollten. Das türkische Atomkraftwerk in Akkuyu wird nach dem Prinzip BOO (build-own-operate) gebaut, wobei die russische Gesellschaft Rossatom die Aktienmehrheit an dem Joint venture hält. Die Inbetriebnahme war für 2022 geplant.

Embargo auf türkisches Obst und Gemüse

Ebenfalls gestern unterzeichnete der russische Premier Dmitrij Medwedjew eine Verordnung über die Begrenzung oder das Verbot des Imports türkischer Waren nach Russland. Auf der Embargo-Liste stehen Gemüse, wie Tomaten, Zwiebeln, Gurken und Cornichons, Blumenkohl und Brokkoli, sowie Obst, darunter Apfelsinen, Mandarinen, Weintrauben, Äpfel, Birnen, Aprikosen, Pfirsiche, Pflaumen, Erdbeeren, aber auch Hühner- und Putenfleisch, Salz und frische Nelken.

Im Ergebnis dessen stecken an der türkisch-russischen Grenze über 1000 LKW mit türkischen Waren fest, wie der Vorsitzende des türkischen Verbandes für internationalen Frachtverkehr, Fatih Sener, gegenüber Reuter´s mitteilte. Ihnen wurde bereits seit dem 25.November die Weiterreise nach Russland verwehrt. Über 800 Container warten im türkischen Schwarzmeerhafen Samsun und im russischen Noworossisk vergeblich auf die Zollabfertigung.

Durch die russischen Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei, verhängtam 28. November auf der Grundlage eines Erlasses von Präsident Putin ist außerdem die Tätigkeit von Unternehmen untersagt oder eingeschränkt, die in Russland unter türkischer Verantwortung arbeiten. Außerdem ist russischen Unternehmen ab dem 1. Januar 2016 verboten, türkische Arbeitnehmer einzustellen.

Ebenso wird bekanntlich zum Beginn des neuen Jahres der visafreie Reiseverkehr außer Kraft gesetzt.

Sanktionen mit begrenzten Auswirkungen

Zwar hatte Medwedjew gefordert, die Sanktionen gegen die Türkei sollten deutlich spürbar für die Wirtschaft des Nachbarstaates sein, aber Experten bezweifeln, dass die russischen Maßnahmen dieses Ziel erreichen.

Die Analysten der Londoner Gesellschaft Capital Economics, berechneten den zu erwartenden Verlust für die Türkei im kommenden Jahr auf maximal 4-4,5 Mrd. US-Dollar, was etwa 0,5 % des türkischen BIP entspricht. So macht der Export von Landwirtschaftsprodukten aus der Türkei nach Russland mit 1,2 Mrd. USD nur 0,15% des türkischen BIP aus. Allerdings sei das „Tomaten-Embargo“ für Russland die logischste Variante der Sanktionen gewesen, meint man bei Capital Economics: „Ein Verbot für andere große Positionen türkischen Exports, vor allem Industriegüter, würde den russischen produktiven Sektor treffen“. Auch die Einschränkungen bei der Arbeit türkischer Staatsbürger in Russland werden im Maßstab der türkischen Wirtschaft kaum zu spüren sein. Nach Angaben von Capital Economics arbeiten in Russland rund 90 000 Türken, deren Geldüberweisungen in die Heimat rund 0,05 % des türkischen BIP ausmachten.

Am stärksten dürften sich die Sanktionen in Tourismus auswirken. Bereits ein Rückgang der Zahl der russischen Besucher um die Hälfte würden dem türkischen BIP einen Verlust von 0,3 % bescheren, berechnete. die Bank Stanley Morgan. Immerhin stellen die Russen mit 12% eines der größten Touristen-Kontigente in der Türkei. Sollte im kommenden Jahr der Touristenstrom aus Russland in die Türkei ganz ausbleiben, könnte das für die Branche einen Verlust von bis zu drei Milliarden US-Dollar (0,4% des BIP) bedeuten. Die finanziellen Zuwendungen aus der EU im Rahmen des Flüchtlings-Deal werden die Sanktionen kaum spürbar machen.

Die Folgen für Russland

Für Russland könnte das Einfuhrverbot der türkischen Lebensmittel gewisse Schwierigkeiten schaffen. Ein Ersatz der verbotenen Waren durch Erzeugnisse aus anderen Ländern dürfte deutlich teurer werden, auch unter dem Aspekt der bereits bestehenden Sanktionen und Gegensanktionen. Dennoch erwarten die Analysten von Capital Economics keinen wesentlichen Einfluss der neuen Verbote auf die russische Inflation.

In einer Wirtschaftsübersicht kommen die Experten der Promswjasbank zu dem Schluss, dass sich der Anteil der sanktionierten türkischen Waren im Verbraucherpreisindex mit 1,5 % niederschlägt, «was die Jahres-Inflationsrate potentiell um maximal 0,2 Punkte erhöhen könnte».

Die Sanktionen Russlands gegen die Türkei werden in etwa dasselbe Schicksal erfahren, wie die gegen die EU: Sie erreichen ihr Ziel nicht und nur der Konsument leidet darunter, meint der Professor im Bereich Weltwirtschaft des Forschungsinstituts der Moskauer Wirtschaftshochschule (WHS), Alexej Portanski. «Auf die türkischen Landwirtschaftsprodukte entfällt ein viel größerer Anteil, als offiziell gesagt und geschrieben wird. Die Marktteilnehmer sprechen von von 25 bis 45 % bei einzelnen Positionen, wie Tomaten und Zitrusfrüchten“, erklärt er. Portanski meint indes, dass sich das Embargo zwar auf den Verbraucher und, möglicherweise, auf einzelne Branchen auswirken wird, aber kaum das BIP Russlands beeinflusst.

Ähnlich sieht das der Direktor des Zentrums für Konjunkturforschung an der WHS, Georgij Ostapkowitsch: «Ich denke, dass dieses Embargo auf die türkischen landwirtschaftliche Erzeugnisse die Lebensmittelinflation etwas anheizen wird, besonders jetzt vor Neujahr“, sagt er. Nach seiner Einschätzung könnten der Anstieg bei 3-4 % liegen, was sich auf den gesamten Konsumpreisindex im Dezember mit einem Plus von 0,5-0,6 Punkte auswirkt. Im übrigen werde dieser Anstieg nur von kurzer Dauer sein – bis ein Ersatz für die türkischen Waren gefunden ist.

Hartmut Hübner – russland.RU

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