Russische Politiker wollen einen Zaren – was steckt dahinter? [mit Video]

Russische Politiker wollen einen Zaren – was steckt dahinter? [mit Video]

„Die Monarchie ist die Mutter der Ordnung“, titelt gazeta.ru und fragt sich, warum Politiker im heutigen Russland von der Rückkehr des Zaren träumen.

Der Leiter der Krim ist bei weitem nicht der erste Politiker, der die Idee, in Russland wieder die Monarchie einzuführen, in die öffentliche Diskussion wirft. Aber er war der erste, der dies am 100. Jahrestag der Abdankung des letzten russischen Monarchen tat und dabei völlig die Lehre der Geschichte ignorierte, die da heißt: Es gibt in der Welt keine Regierungsform, die auf ewig den Machterhalt garantiert. Interessant ist allerdings etwas Anderes: Was fehlt heute den Repräsentanten der Staatsmacht in unserem Land, dass sie von der Thronnachfolge träumen?

Bei seinem Live-Auftritt beim „Ersten Krim-Kanal“ erklärte Sergej Axjonow seine monarchistischen Ideen folgendermaßen: „Wenn es keine Alleinherrschaft gibt, kommt es zu kollektiver Verantwortungslosigkeit. Meiner Meinung nach braucht Russland heute eine Monarchie.“ Laut dem Leiter der Krim „muss der Präsident Russlands mehr Rechte haben“, bis hin zur „Diktatur“. Außerdem ist er der Ansicht, Wladimir Putin sollte lebenslang den Posten des russischen Präsidenten innehaben: „Ehrlichgesagt sehe ich keinen anderen.“

Nun ja – der Hang von Beamten, ihren Vorgesetzten etwas Angenehmes zu sagen, ist nicht nur eine russische Tradition, obwohl sie in unserem Land natürlich tiefe historische Wurzeln hat.

Lebenslange Präsidentschaft wurde seinerzeit auch für Gorbatschow und für Jelzin gefordert – und das übrigens des Öfteren von Leuten, die, als diese Präsidenten ihre Macht zu verlieren begangen, gnadenlos deren Politik kritisierten. Wäre Axjonows Äußerung aber eine Einzelerscheinung, sollte man sie nicht beachten und sich mit dem Kommentar des Presse-Sekretärs des Präsidenten begnügen, der lautete: „Putin steht solchen Ideen ohne Optimismus gegenüber.“

„Im Laufe der letzten fünf Jahre (…) war er in dem einen oder anderen Kontext gezwungen, auf solche Fragen zu antworten. Er steht solchen Diskussionen äußerst reserviert gegenüber, das ist sehr wohl bekannt“, erklärte Dmitri Peskow und fügte hinzu, dass „es keine Monarchie in einer einzelnen Region der Russischen Föderation geben kann“.

Die Resonanz, die Axjonows Worte auslösten, ist wohl damit zu erklären, dass in letzter Zeit immer öfter davon geredet wird, in Russland die eine oder andere Form der Monarchie einzuführen – und diese Äußerungen kommen nicht nur von der Halbinsel Krim, wo mal Zarenbüsten „Myrrhe weinen“ und dann wieder irgendeine „Matilda“ den Leuten den Schlaf raubt. Vor kurzem rief Wladimir Schirinowski zu demselben auf (obwohl er vorschlug, eine Monarchie mit repräsentativen Funktionen einzuführen, die nicht an der Lenkung des Staates beteiligt wäre), und die Russisch-orthodoxe Kirche wird nicht müde, die Vorzüge einer monarchischen Regierungsform zu rühmen. Was finden die heutigen Menschen an der Macht denn nun so verlockend an dieser objektiv veralteten Regierungsform?

Die einfältigsten und zynischsten Beamten stellen sich die Monarchie wohl einfach als Garantie dafür da, ihre Machtfunktionen auf lange Jahre hinaus beibehalten zu können. Und wenn man sie auch noch weitervererben könnte, wäre das noch besser.

Dann müsste man nicht die unangenehmen Fragen von Journalisten beantworten, warum die Kinder von hochgestellten russischen Beamten in jungen Jahren und ohne Arbeitserfahrung oft hohe Posten im Staatsdienst bekleiden. Man müsste dem Volk keine Rechenschaft darüber ablegen, woher die Familie eines Beamten, der nichts als sein Gehalt verdient, Schlösser und Yachten hat. Man bräuchte sich bei Wahlen keine Sorgen zu machen, wo selbst in unserer politischen Situation immer verschiedene Überraschungen möglich sind. Die komplette Stabilität auf Jahre hinaus!

Bei der heutigen Beamtenschaft in Russland gibt es eine ernsthafte Schieflage im Unterbewusstsein, eine eigentümliche soziale Neurose. Einerseits dienen sie irgendwie dem Volk und sind verpflichtet, vor ihm Rechenschaft abzulegen (so steht es in der Verfassung der Russischen Föderation), andererseits werden praktisch alle Entscheidungen von oben sanktioniert.

Für viele Staatsbeamte ist dieses System kompliziert und unverständlich und ruft Stress hervor. Moralisch wäre es viel einfacher, nur einem Zaren zu dienen. Unter dieser Monarchie, wie sie sich die Beamten erträumen, wäre immer klar, wer zu respektieren ist, wem man Rechenschaft ablegen und wen man um etwas bitten muss.

In diesem Sinne kam es in der Staatsduma zu einem sehr interessanten Dialog, bei dem Wjatscheslaw Wolodin gezwungen war, Alexander Tkatschow daran zu erinnern, wer bei uns im Land die Quelle der Macht ist. Auf die Replik des Landwirtschaftsministers, er vermittle „der Staatsmacht, den Staatsstrukturen“ das Mandat der Abgeordneten, merkte der Parlamentssprecher an, dass eigentlich die Abgeordneten die Vertreter der Staatsmacht seien, „deren Quelle das Volk ist“. Tkatschow entgegnete, er habe die Exekutive gemeint, aber diese Schieflage gibt es natürlich nicht nur im Kopf des Landschaftsministers. Und die Binsenwahrheit, dass die Macht im Land dem Volk gehört, nimmt bei uns keiner ernsthaft wahr, das Volk eingeschlossen.

Die Russisch-orthodoxe Kirche beteuert ihrerseits, das Volk würde unter einer Monarchie besser leben – wenn nicht in materieller Hinsicht, so ganz sicher in moralischer. Irgendwie ist das Volk heute verantwortlich für die Staatsmacht, die es hat, in Wirklichkeit gestehen sich die Bürger aber immer öfter resigniert ein, dass „von uns hier nichts abhängt“. So betrachtet, würde die Zeile aus einem Brief des Apostels Paulus, die besagt, „jede Macht kommt von Gott“, durchaus die Qualen von Wahlen ohne Wahlen ersetzen, und der Ratschlag „findet euch ab und duldet“ wäre Ersatz für eine aktive Position im Leben, die vielen Menschen in Russland schwerfällt.

Die Sehnsucht nach dem verlorenen Kaiserreich hat die Etappe der haltlosen Sowjetnostalgie durchschritten und am 100. Jahrestag der Revolution von 1917 unvermeidlich zu den Gedanken geführt, unser Land sei unter der Monarchie am besten und größten gewesen.

Also ist vielleicht die Monarchie jener Ausgangspunkt, bei dem die Wiedergeburt des Landes beginnt? Das Problem ist, dass nicht die Regierungsformen und auch nicht konkrete Personen ein Land großmachen, sondern bahnbrechende Ideen und die Fähigkeit, diese umzusetzen. Die Idee: „Holen wir die Monarchie zurück, dann herrscht überall Ordnung und Wohlstand“, sieht gelinde gesagt nicht sehr bahnbrechend aus. Eher ist das eine soziale Diagnose für ein Land, das nicht in der Lage ist, in der Gegenwart oder in der Zukunft einen würdigen Platz zu finden. Und so weicht es zurück – nicht ins gestrige, sondern ins vorgestrige Jahrhundert.

 

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