Russische Großunternehmen hätten in der Ukraine einiges zu verlieren

[Von Ullrich Umann Moskau/gtai] Die wirtschaftliche Verflechtung Russlands und der Ukraine ist erheblich. Russische Konzerne besitzen bedeutende Aktiva im Nachbarland. Doch behinderten Finanzierungsschwächen in den letzten Jahren einen Ausbau der Handelsbeziehungen. Infolgedessen schrumpfte der Außenhandel. Russland liefert zum größtenteils Energieträger, die Ukraine im Gegenzug Maschinen, Anlagen und Transportmittel. Von Enteignungen oder Behinderungen gehen russische Unternehmen in der Ukraine derzeit nicht aus.

Russlands Unternehmer haben sich während der Privatisierung in den 1990er Jahren vorrangig im Osten der Ukraine eingekauft. Dort sind die ukrainische Schwerindustrie und der Maschinenbau sowie Betriebe der Petrochemie beheimatet. Dabei handelt es sich genau um den geographischen Teil der Ukraine, wo nach der Krim der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung am höchsten und die Skepsis gegenüber den politischen Ereignissen in der Hauptstadt Kiew am stärksten ausgeprägt ist.

Der Stahlkonzern Evraz von Roman Abramovich ist gleich an mehreren ukrainischen Betrieben zur Aufbereitung von Eisenerz, darunter in Kriwoj Rog, beteiligt. Hierzu gehört auch das Bergwerksunternehmen für Eisenerz „Sucha Balka“. In Dnepropetrowsk kontrolliert Evraz das Stahlwerk Petrowsk und in Dneprodzerzinsk Batterien von Koksöfen. Wie die Pressestelle von Evraz mitteilte, liefen die Geschäfte in der Ukraine bislang störungsfrei, selbst nach dem Machtwechsel in Kiew.

Oleg Deripaska, Generaldirektor des Alukonzerns UC Rusal, verfügt über zwei Werke in der Ukraine: in Nikolaev und Zaporozhye. Aber auch hier ist „Busines as usual“ angesagt, wie UC Rusal beteuerte. Igor Zjuzin, Inhaber des Konzerns Mechel, ist Eigentümer eines Stahlwerkes in Donezk, doch war er damit nicht gerade erfolgreich. Die Produktion wurde aus Rentabilitätsgründen zunächst gedrosselt und im Januar 2013 komplett eingestellt. Seither sucht Zjuzin erfolglos einen Käufer.

Der Präsident des Ölkonzerns Lukoil, Wagit Alekperow, besitzt 76% der Anteile an Karpatneftechim, einem Hersteller von Polyvinylchlorid und Polyethylen. Im Januar 2014 wurde die Arbeit in dem petrochemischen Werk vorübergehend eingestellt. Die für die Produktion notwendigen Rohstoffe stammen komplett aus Russland, doch ist seit September nichts mehr angeliefert worden. Zu Jahresbeginn gingen die letzten Vorräte aus. Dabei handelt es sich schon um die zweiten erzwungenen Betriebsferien. Das erste Mal wurden im September 2012 für ein ganzes Jahr die Produktion aus genau dem gleichen Grund eingestellt. Erst nachdem die ukrainische Regierung Lukoil eine Mehrwertsteuer-Rückerstattung in Höhe von 125 Mio. US$, die Senkung der Eisenbahntarife und Stromgebühren sowie eine Zollerhöhung auf Konkurrenzprodukte zugesagt hatte, lieferte der russische Ölkonzern kurzzeitig im September 2013 neue Rohstoffe. Dabei blieb es. Die damalige ukrainische Regierung hielt ihre Zusagen nicht ein.

Russisches Kapital ist auch in der Telekommunikation zu finden. Das Mobilfunkunternehmen Kievstar befindet sich im Besitz der russischen Telefongesellschaft Vympelkom von Michail Fridman. Kievstar hält einen Marktanteil von 47%. Ärgster Wettbewerber ist mit 37,5% Marktanteil der russische Mobilfunkriese MTS, der Vladimir Jevtuchenko gehört. Das Ukraine-Geschäft macht bei Vympelkom 7% vom Gesamtumsatz aus und bei MTS 11%.

Zusätzlich ist Fridman an Life beteiligt, dem mit 12,5% drittgrößten Mobilfunkanbieter in der Ukraine. Bei den anderen beiden Anteilseignern an Life handelt es sich um SCM, der Holding von Rinat Achmedov und Turkcell, die ihrerseits stark bei Fridman verschuldet ist. Eine Enteignung der Mobilfunkfirmen, wie in Usbekistan im Fall von MTS tatsächlich schon geschehen, fürchten ihre russischen Inhaber dem Vernehmen nach aber nicht.

Besorgnis äußern dagegen die ukrainischen Niederlassungen der aus Russland stammenden Banken, darunter Sberbank, VTB und Alfa-Bank. Sie befürchten mögliche Behinderungen des internationalen Zahlungsverkehrs auf Dollar- und Euro-Basis. Aus dem gleichem Grund beobachten die ukrainischen Niederlassungen von Gazprom, Rosneft und Lukoil genau die neuesten Entwicklungen. Dagegen schließen Rosneft und Lukoil technische oder rechtliche Probleme beim weiteren Betreiben ihrer ukrainischen Raffinerien und Tankstellennetze aus.

Selbst die russische Regierung geht nicht von Übergriffen auf russische Aktiva in der Ukraine aus. So teilte der Minister für Industrie und Handel, Denis Manturow, am 17.3.2014 der Presse mit, dass eine Konfiszierung russischer Unternehmen in der Ukraine im Widerspruch zu geltenden Abkommen und zum Völkerrecht stünde. Anderslautende Wortmeldungen ordnete er Leuten zu, die auf emotionale Art Druck auf Vertreter der russischen Geschäftswelt und Politik ausüben wollten.

Der Außenhandel zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine ist in den letzten drei Jahren zurückgegangen. Bei den russischen Ausfuhren überwogen nach Angaben aus dem Jahr 2012 Erdöl und Gas mit 67,2%, gefolgt von Maschinen, Anlagen und Transportmitteln mit 11,3%, chemischen Produkten mit 8,5% sowie Metallen und Erzeugnissen daraus mit 6,9%. Die Ukraine lieferte im Gegenzug Maschinen, Anlagen und Transportmittel – 39,2%, Metalle und Erzeugnisse daraus – 21,3%, Agrarprodukte und Lebensmittel – 11,4%, chemische Waren – 10,8% sowie nichtmetallische, mineralische Erzeugnisse (Baustoffe) – 7,6%.

Russland: Außenhandel mit der Ukraine (in Mio. US$)

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Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat, Moskau, 2014

Die gegenseitige Bedeutung für die Außenwirtschaft kann für beide Staaten als hoch bezeichnet werden, mit Abstrichen im Fall Russlands. So lag die Ukraine 2013 unter den wichtigsten Handelspartnern der Russischen Föderation nach der VR China (Handelsvolumen von 88,8 Mrd. US$, +1,7%), den Niederlanden (76,0 Mrd. $, -8,3%), Deutschland (75,0 Mrd. $, +2,2%) und Italien (53,9 Mrd. $. +17,8%) auf dem fünften Platz (39,6 Mrd. $, -12,3%).

Dagegen belegt Russland im Außenhandelsranking der Ukraine den ersten Platz mit 38,2 Mrd. $ (abweichender Wert von russischen Statistiken). Es folgen mit großem Abstand die VR China mit 10,6 Mrd. $ und Deutschland mit 8,4 Mrd. $ (2013). Die größten Abnehmer ukrainischer Waren waren Russland mit 15,1 Mrd. $, die Türkei mit 3,8 Mrd. $) und die VR China mit 2,7 Mrd. $. Die größten Handelsdefizite traten laut gleicher Quelle mit Russland (8,2 Mrd. $), der VR China (7,9 Mrd. $) und Deutschland (6,8 Mrd. $) auf.

 

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