Raketenschild in Europa ebnet Weg für Wettrüsten

Der US-Raketenschild in Europa kann bereits jetzt für Russland gefährlich sein. Diese Meinung äußerte Wladimir Jewsejew, Chef der russischen Denkfabrik Public Political Studies, im Exklusiv-Interview mit der STIMME RUSSLANDS. Ende Oktober hatte eine neue Phase des Raketenabwehr-Projekts begonnen: Abfangraketen sollen zunächst in Rumänien und später in Polen aufgestellt werden.

In Rumänien sollen Aegis-Kampfsysteme stationiert werden. Zwar sind sie vorerst nicht dafür geeignet, Gefechtsköpfe strategischer Raketen abzufangen. Jewsejew sagt allerdings, Russlands strategisches Potenzial sei trotzdem gefährdet, und zwar durch Aegis-Schiffe in der Nordsee oder dem Europäischen Nordmeer:

„Die Gefahr ist wie folgt: Falls sich Aegis-Kriegsschiffe im Norden einem Gebiet nähern, wo russische Atom-U-Boote der Borej-Klasse Patrouillen absolvieren, können die in westlicher Richtung abgefeuerten Raketen abgefangen werden – darunter auch bereits jetzt.“

Auch die Präsenz von Aegis-Schiffen in der Ostsee und dem Schwarzen Meer sei Besorgnis erregend, so Jewsejew weiter. Washingtons Argument, wonach sich der Raketenschirm in Europa gegen den Iran richte, hält der Experte für wenig überzeugend. Denn der Iran verfüge über keine Interkontinental-Raketen:

„Die Reichweite der iranischen Raketen „Shahab 3“ und „Shahab 3M“ beträgt nur 1.100 Kilometer. Es gibt auch Raketen mit einer Reichweite von 1.600 Kilometer. Dabei will der Iran sie nicht an seiner westlichen Grenze stationieren, um keinen ausländischen Angriff zu provozieren. Deshalb stellen iranische Raketen mit dieser Reichweite keine Gefahr für Europa dar. Hypothetisch gefährlich wären nur Feststoffraketen des Typs Sajil 2. Sie wurden aber nicht in Dienst gestellt und seit Herbst 2011 nicht mehr getestet. Deshalb geht vom Iran keine Raketen-Gefahr aus. Das ist ein Mythos“.

Russische Raketen sind laut Jewsejew in der Lage, die gegnerische Raketenabwehr zu überwinden – und die US-Konstrukteure machen sich darauf gefasst: Der modernisierte Raketenschirm soll falsche Ziele ignorieren, Abfangraketen mit mehreren Gefechtsköpfen abfeuern und so weiter.

Jewsejew betont, Russland dürfe vor diesem Hintergrund über die Gefahr der US-Raketenabwehr nicht hinweg schauen. Diese Gefahr bestehe bereits und werde weiter zunehmen. Deswegen sei Russland gezwungen, neue Optionen für die Überwindung des Raketenschirms zu entwickeln. Dies laufe wiederum auf ein Wettrüsten hinaus, hieß es.

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