Proteststurm wegen berühmter Ballett-Akademie in Petersburg

Ende Oktober ging die Meldung durch die Weltpresse, der vormalige und skandalumwitterte Bolschoi-Startänzer Nikolai Ziskaridse wechsele als Rektor in die Leitung der Waganowa-Ballettakadamie. Diese ist die wohl bekannteste Ballettschule weltweit, an der heute führende Unterrichtsmethoden entwickelt wurden. Nun regt sich heftiger Protest nicht nur in der russischen Ballettwelt gegen diese Neubesetzung.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen wird Zikaridses persönliche Eignung für diesen Vorzeigeposten in Frage gestellt. Am Bolschoi hatte er nach heftigen Konflikten mit der dortigen Leitung mehrere Abmahnungen erhalten und man hat den Eindruck, er wäre mit dem neuen Posten mehr oder weniger „weg gelobt“ worden. Die pädagogische und administrative Fähigkeit zur Leitung des wichtigen Instituts spricht ihm die Petersburger Ballettwelt ab. Auch im Zusammenhang mit dem Säureanschlag auf den künstlerischen Direktor des Bolschoi fällt immer wieder Zikaridses Namen. Doch der Konflikt geht tiefer. Denn mit der Petersburger und der Moskauer Ballettszene prallen zwei Welten aufeinander, die miteinander in langjähriger Konkurrenz stehen. Und nun wird ein Hauptakteur der einen Seite der wichtigsten Nachwuchsschmiede der anderen vor die Nase gesetzt.

Das noch dazu, wo die Entlassung der vorherigen Spitze der Waganowa-Akademie, Wera Dorofejewa (Rektorin) und  Altynaj Asylmuratowa (künstlerische Leiterin), die für ihr Institut auch engagiert zu kämpfen wussten, auf großes Unverständnis stieß. Sie setzten sich in ihrer Amtszeit auch gegen den mächtigen Petersburger Intendanten Gergijew zur Wehr, der sich ihre Schule unterstellen wollte, obwohl er nicht als Freund oder Kenner des Balletts gilt. Er besitzt aber bekanntermaßen exzellente Kontakte in die hohe russische Politik bis hin zu Kulturminister Medinsky und Putin selbst und gilt als gefährlicher Gegner. Dass Dorofejewa und Asylmuratowa im Oktober ohne nachvollziehbare Begründung gehen mussten, nährte natürlich Verschwörungstheorien – dass Ziskaridse Nachfolger wurde, brachte das Fass zum Überlaufen. Auch seine geplante künstlerische Leiterin, die Star-Ballerina Lopatkina, fand wegen ihrer anderweitigen Verpflichtungen nicht die Zustimmung der Petersburger Insider.

Der Protest fand zunächst, wie so oft in Russland, vor allem online statt. Dann kam es zu einem mächtigen Protestbrief von 100 Professoren und Absolventen der Akademie, darunter vielen bekannten Tänzern und Tanzpädagogen. Sie warnten darin eindringlich vor einem drohenden Niedergang des bekanntesten russischen Ballett-Instituts, die Arbeit sei bei Bekanntgabe der Entscheidung „paralysiert“ worden. Inzwischen gibt es auch ein halbstündiges Protestvideo auf Russisch und Englisch, das wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen, da es viele ausführliche Hintergrundinfos enthält.

Der Protest schwappte wegen der Bekanntheit der Akademie auch ins Ausland und bewegt inzwischen die gesamte internationale Ballettwelt. So zitiert die Londoner Dancing Times den Choreographen des American Ballet Theater, Alexej Ratmansky, mit der Aussage, die Sache sei „eine Schande für den russischen Kulturminister“. Auch die New York Times berichtete über den Disput. Bisher waren die Leiter der Waganowa-Akademie zudem immer aus den Reihen der besten ehemaligen eigenen Schüler gekommen. Mit dieser Tradition wird nun gerade in dieser Situation gebrochen.

Die Waganowa-Akademie steht für eine weltweit führende ballettpädagogische Unterrichtsmethode. Die Namensgeberin Agrippina Waganowa, vormals Tänzerin am Mariinsky, hatte die besten Elemente früherer Unterrichtsstile in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Ballettschule des Kirow-Balletts ideal kombiniert. Ihr dadurch entwickeltes System breitete sich in den folgenden Jahrzehnten auch in den Westen aus und wird heute in den Ballettschulen als allgemeine Grundlage von Kindesbeinen an angewandt. Es war schlussendlich nur konsequent, die Schule nach ihr zu benennen. Sie brachte denn auch seitdem eine ganze Reihe von Ballett-Legenden hervor, die sich nun zum Teil gleich in die Reihen der Protestierenden einreihten.

Zwischen dem Mariinski und der Waganowa-Schule knirschte es schon im Vorfeld. Viele talentierte Waganowa-Absolventen wechselten in den letzten Jahren an andere große Theater, obwohl die Akademie als wichtige Nachwuchsschmiede vor allem des Mariinski gilt. Gerüchte um Korruption und künstlerische Fehlentscheidungen am Mariinski machten die Runde. Nun ist die Situation merklich eskaliert und das Protestvideo scheut nicht davor zurück, den Petersburger „Kulturpapst“ Gergiew, den man als Drahtzieher im Hintergrund vermutet, mit Hitler zu vergleichen. Zikaridse versuchte, die Wogen zu glätten, indem er der geschassten Aslymuratowa einen Posten als seine Ko-Rektorin anbot und von Lopatkina als künstlerische Leiterin abrückte. Beruhigung brachte das in der aufgewühlten Stimmung nicht. Der Streit ist mit Sicherheit noch lange nicht vorbei und es ist zu hoffen, dass die traditionsreiche Petersburger Ballettausbildung an ihn keinen ernsthaften Schaden nimmt.

Roland Bathon – russland.TV; Video aus der Waganowa-Schule in Petersburg:

https://www.youtube.com/watch?v=sENXkmor_P8

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