Porträt: Michail Chodorkowskij

Michail Borisowitsch Chodorkowskij (*26.6.1963) studierte am Moskauer Mendelejew-Institut und machte 1986 seinen Abschluss als Ingenieur-Technologe. Während des Studiums arbeitete er als Zimmermann in einem Baukombinat. 1986–1987 war er Stellvertretender Komsomolsekretär des Mendelejew-Instituts.

1987 übernahm er die Leitung des „Zentrums für wissenschaftlich-technisches Schöpfertum der Jugend – Stiftung für Jugend-Initiative“ (NTTM), eines quasi-privatwirtschaftlichen Komsomol-Unternehmens. Die Gründung von NTTM war 1987 durch ein Gesetz möglich geworden, das privatwirtschaftliche Tätigkeit in Form von Genossenschaften zuließ. In Verbindung mit der Arbeit bei NTTM nahm Chodorkowskij ein Studium am Plechanov-Institut für Volkswirtschaft auf, das er 1988 abschloss. 1989–1990 übernahm er den Vorsitz der „Kommerziellen Innovationsbank für wissenschaftlich-technischen Fortschritt“, die mit dem Ziel gegründet wurde, Geldmittel für NTTM zu beschaffen.

1990 kaufte die „Kommerziellen Innovationsbank“ dem Exekutivkomitee des Moskauer Sowjets die Firma NTTM ab und benannte sich in MENATEP-Invest um. Chodorkowskij war nun Generaldirektor von MENATEP und 1991 ihr Vorstandsvorsitzender. Im Jahr 1992 erhielt er neben zu seinen privatwirtschaftlichen Aktivitäten einen quasi-amtlichen Posten: er wurde Vorsitzender des Investitionsfonds zur Förderung der Brennstoff – und Energieindustrie mit den Rechten eines Stellvertretenden Energieministers. Im März 1993 wurde er kurzzeitig zum Stellvertretenden Energieminister ernannt. 1993–1994 war er auch Mitglied des Rats für Industriepolitik bei der russischen Regierung. Am 30.3.1995 nahm er an der Kabinettssitzung teil, auf erstmals der das „loans for shares“-Programm vorgeschlagen wurde. Im Rahmen dieses Programms wurden in der Folge einige große Erdölunternehmen privatisiert. MENATEP konnte bei den „loans for shares“-Auktionen 1995/1996 45% der Aktien des Mineralölunternehmens Jukos in seinen Besitz bringen.

Im September 1995 fasst MENATEP ihre Industriebeteiligungen in der Holding „Rosprom“ zusammen, deren Führung Chodorkowskij übernahm. Im April 1996 gab er den Vorstandsvorsitz der Bank MENATEP ab und wechselte in die Führung von „Jukos“. Bei den Präsidentenwahlen 1996 setzte sich Chodorkowskij gemeinsam mit anderen Großunternehmern massiv für Jelzins Wiederwahl ein und wurde von diesem später für seine Unterstützung o. ziell belobigt. Im Oktober 1996 wurde Chodorkowskij Mitglied des Konsultativrats für Bankwesen bei der russischen Regierung. Als sich Rosprom und Jukos 1997 zu einer Holding vereinigten, übernahm Chodorkowskij deren Führung. Eine Fusion mit dem Mineralölunternehmen Sibneft, die er bereits Anfang Januar 1998 anstrebte, kam damals nicht zustande. Im November 1998 wurde er zum Mitglied des Kollegiums der Energieministeriums berufen.

Im Oktober 1999 – inzwischen war Putin Ministerpräsident geworden – geriet Chodorkowskij mit dem Energieministerium, das die Verteilung der Erdölexportquote neu regelte, in Konflikt. Nachdem Chodorkowskij in der Zeitung „Vedomosti“ erklärt hatte, die Bildung eines Reservefonds für die Erdölexportquote fördere „Diebstahl“ und erlaube es, Exportrechte nach Gutdünken zu verteilen, verklagte ihn das Ministerium wegen Beleidigung. In Wirtschaftskreisen hingegen genoss er wachsendes Ansehen. Die „Assoziation zum Schutz der Investorenrechte“ ernannte ihn im Dezember 2001 zum besten Manager des Jahres. Die Forbes-Liste der reichsten Leute der Welt führte ihn Anfang 2003 für Russland auf Platz 1 und weltweit auf Platz 26.

Die Steigerung der Förderungsleistungen von Jukos, die Fusion mit Sibneft und die Verhandlungen mit den US-amerikanischen Ölkonzernen Exxon Mobile und Chevron Texas über eine Beteiligung an Jukos, illustrieren den großen unternehmerischen Erfolg Chodorkowskijs. Indes eröffneten die Finanz- und Justizbehörden im Laufe des Jahres eine Reihe von Untersuchungsverfahren gegen den Mineralölkonzern. Am 25. Oktober 2003 wurde auch Chodorkowskij verhaftet unter der Anklage des schweren Betrugs, der Steuerhinterziehung, der Urkundenfälschung und der Zufügung von Eigentumsschäden durch Irreführung und Vertrauensmissbrauch. Am 3. November gab er aus der Haft heraus bekannt, daß er seine Posten bei Jukos niederlege und sich aus dem Konzern zurückziehe.

Chodorkowskijs Karriere ist in vieler Hinsicht typisch für die Finanz- und Industriemagnaten der Jelzin-Ära. Auf bestem Weg zu einer klassischen sowjetischen Karriere im Komsomol-, später im Parteiapparat, erkennt der 24jährige die Chancen, die die Gorbatschowsche Liberalisierung bietet, und übernimmt die Leitung eines Komsomolbetriebes, dessen Finanzierung er durch die Gründung einer Bank sichert und den er später privatisiert. In der Gründerphase nach dem Zerfall der UdSSR gewinnt seine Bank rasch an Boden, nicht zuletzt infolge der engen Beziehungen zu Regierungskreisen und zum Umfeld Jelzins, die Chodorkowskij pflegt. Die Nähe zur Politik verschafft ihm Vorteile bei der Privatisierung der ehemals sowjetischen Staatsbetriebe und so baut er in kurzer Zeit aus dem Nachlas der UdSSR ein regelrechtes Finanz- und Industrieimperium auf. Mit dem Rücktritt Jelzins verliert er aber seinen wichtigsten politischen Beschützer.

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Mit freundlicher Genehmigung des Publikationsreferates der Forschungsstelle Osteuropa
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