Poroschenko: Der Bürgerkriegs-Präsident

Die westlichen Medien wie ARD und ZDF geben sich viel Mühe, den neu gewählten ukrainischen Oligarchen-Präsidenten Poroschenko (dort genannt „der gute Oligarch„) in einem möglichst positiven Licht darzustellen. Vor Ort ist die Begeisterung nicht ganz so groß, wie sie suggerieren wollen.

Zweifelhafter Friedenswille

Das fängt bei Poroschenkos Friedenswillen an. Bis vor einigen Tagen beschränkten sich seine „Friedensaufrufe“ auf Apelle an die Gegenseite, doch bitte aufzugeben und eine Weigerung, die eigene Offensive zugunsten von Gesprächen einzustellen oder solche mit den Separatisten überhaupt aufzunehmen. Diese Art von „Friedenspolik“ verdient dieses Namen kaum – denn unter der Bedingung, dass der Gegner aufgibt, hätte wohl auch jeder diktatorische Feldherr der Weltgeschichte seine Kampfhandlungen eingestellt. Nun hat er – unter Zugzwang aufgrund eines russischen Vorstoßes – tatsächlich eine Einstellung der Kampfhandlungen in Aussicht gestellt.

Die Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens wird nicht nur wegen paralleler militärischer Angriffe in Frage gestellt. Auch ist Poroschenko ein direkter Profiteur jeder militärischen Auseinandersetzung – denn zu seinem großen Firmenimperium zählt nicht nur die viel zitierte Schokoladenfabrik – sondern mit Leninska Kuznya auch ein Rüstungskonzern. Weiter fragt sich, was nach der Einstellung der Kämpfe – sollte es je zu einer solchen kommen – geschehen soll – gilt doch gerade Poroschenko als erbitterter Gegner aller Kompromissvorschläge mit dem unzufriedenen Donbass, wie einer Förderalisierung des Landes. Gleiches gilt für die radikalen Separatisten, die sich mit einer solchen nicht mehr zufrieden geben wollen und so fragt sich, wie hier eine Einigung erzielt werden soll. Einiges an den Meldungen über das Friedensangebot ist auch widersprüchlich, wie die Meldung der Tagesschau, Poroschenko wolle jetzt in den Donbass reisen. Dem dort von ihm eingesetzten Gouverneur ist laut örtlichen Medien von einer solchen Reise nichts bekannt. Vor Ort ist jedoch sein Militär und seine Nationalgarde und zur Stunde greifen diese auch weiterhin offensiv an.

Zweifelhafter „überwältigender“ Wahlsieg

Für Poroschenkos Legitimation wird von seinen Unterstützern in der westlichen Presse gerne sein Wahlergebnis angeführt – immerhin hat er die ukrainischen Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewonnen. Dass dieser Sieg nicht so überragend war, wie er dargestellt wird, liest man weniger in westlichen, dafür aber in ostukrainischen Medien. So hat die Onlinezeitung Tajmer aus Odessa das Wahlergebnis genauer unter die Lupe genommen. So lagen die offiziell verkündeten Wahlbeteiligungen in den umkämpften Regionen Lugansk und Donezk bei 15 bzw. 39 % – was gar nicht so wenig klingt in einer Bürgerkriegsregion. Tatsächliche Wähler gab es in der Region Donezk jedoch nur 112.000, während bei der letzten Präsidentenwahl hier 2,7 Millionen abstimmten. Ein Rechenfehler? Mitnichten. Denn die Wahlbeteiligung bezieht sich nur auf die Wähler, die im Wahlregister eingetragen sind und das waren 2014 nur 745.000. In anderen Worten: Von den Wählern, die in der Region Donezk 2010 an der Wahl teilnahmen, blieben 95 % im Jahr 2014 zu Hause.

Noch deutlicher ist der Unterschied bei den offiziell 39 % in Lugansk –  hier waren es dieses Mal 85.000 Wähler nach 2010 zuletzt 1,4 Millionen (damals angegeben Wahbeteiligung 74 %) – oder, anders ausgedrückt blieben hier 94 % der Wähler vom letzten Mal zu Hause. Um es anders auszudrücken – eine Legitimation Poroschenkos im umkämpften Donbass existiert praktisch nicht. Doch auch gesamtukrainische ist die Mehrheit nicht so überwältigend, wie es suggeriert wird. Insgesamt stimmten 9,9 Millionen Ukrainer für Poroschenko – für Janukowitsch waren es 12,5 Millionen gewesen. Dass Poroschenkos Unterstützung eigentlich gar nicht so groß ist, liegt auch nicht an „Wahlverhinderung“ im Donbass. Denn auch in den Regionen der russischsprachigen Ostukraine, in denen die Wahlen stattfanden, erreichte Poroschenko durchgängig keine absolute Mehrheit und die Wahlbeteiligung lag wesentlich niedriger als in der Westukraine, in den Regionen Odessa und Charkow unter 50 %. Dass Poroschenko dennoch nominell so hohe Ergebnisse erzielen konnte, lag an seiner großen Unterstützung alleine in der Westukraine und dass die einstmals größte gegnerische Bastion – die Krim – an dieser Wahl nicht mehr teil nahm. Real haben ihn 22 % der ukrainischen Bevölkerung gewählt und setzen Hoffnungen in ihn.

Zweifelhafte Tagesschau-Biographie

Auch wenn man Poroschenko-Biographien der „Tagesschau“ und unabhängiger ukrainischer Medien liest, fallen einem eklatante Unterschiede auf. So schreiben die führenden deutschen Nachrichten „Poroschenko gilt als ´guter Oligarch´, der beteuert, er habe sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht billig Staatseigentum unter den Nagel gerissen, sondern seinen Reichtum selbst erarbeitet„. Seine politische Karriere habe er 1998 begonnen. Bei der Schilderung seines Firmenimperiums wird der Rüstungsbereich höflich verschwiegen. Politisch wäre Poroschenko jahrelang aktiv in Janukowitsch´s „Partei der Regionen“ gewesen, so laut Artikel 2004. Über die lesen wir zu dieser Zeit („Orangene Revolution“) im Tagesschau-Portrait erstaunliches: „Später wendete sich die Partei der Regionen jedoch gegen Janukowitsch und war schließlich 2004 maßgeblich an dessen Sturz beteiligt„.

Vergleichen wir diesen interessanten Text, der den deutschen TV-Zuschauern vorgesetzt wird, einmal mit innerukrainischen Quellen. Die bestätigen schon einmal leider nicht die völlig legale Herkunft des Vermögens Poroschenkos in den 90er Jahren, denn es ist etwa in einer Biographie der Kiewer Onlineizeitung Politnavigator von simpler Geldwäsche die Rede. Das wollen wir nicht überdramatisieren, denn es gibt wahrscheinlich in Osteuropa keinen einzigen Oligarchen, der sein Geld völlig legal gemacht hätte. 1998 ging er tatsächlich in die Politik und nach einem kurzen „Gastspiel“ bei der damaligen Präsidentenpartei SDPU schloss er sich jedoch 2001 bereits Juschtschenkos prowestlicher Partei „Unsere Ukraine“ an, also nicht Janukowitsch. Auch hat sich Janukowitschs „Partei der Regionen“ nie für die „Orangene Revolution“ ausgesprochen, sondern ging in deren Folge 2004 in die Opposition. Mit Janukowitsch paktierte Poroschenko erst wesentlich später 2012 – auf dessen scheinbarem Gipfel der Macht. Oder, um es anders auszudrücken: Die Poroschenko-Biographie ist die entweder die am schlechtesten recherchierte Geschichte der Tagesschau „ever“, oder aber man hat sie mit irgend einer Absicht „zurecht“ geschrieben, die jedoch nichts mit dem realen Leben des „Schokoladen-“ (und Waffen-)königs zu tun hat.

Hoffnung trotz Zweifel?

Wir wollen hier nicht bestreiten, dass Poroschenko die Mehrheit der Wähler beim Präsidentschaft-Urnengang hinter sich gebracht hat. In der Westukraine dürfte er in der Tat auch die überwiegende Bevölkerung hinter sich haben. Was er dadurch jedoch nicht wird, ist eine Lichtgestalt oder eine Integrationsfigur für die Ostukraine – außer man erwirbt sich diesen Status bereits alleine durch Einrichtung eines prowestlichen, wirtschaftsliberalen Regierungskurses. Es ist zu hoffen, dass sein Friedensvorstoß ernst gemeint ist. Sollten seine Truppen in einigen Tagen immer noch offensiv im Donbass angreifen, dürfte das nicht der Fall sein und er war offenbar ein taktisches Manöver in Richtung zu den Friedensliebenden Europäern, während die wahren Partner die aktuell sehr spendablen USA und ihr wesentlich offensiverer Ukraine-Kurs sind.

Den Titel als „guter“ oder gar „Friedenoligarch“ muss Poroschenko sich auf jeden Fall erst einmal durch einen realen Befehl zur Einstellung der Offensive seiner eigenen Truppen beweisen. Für „Vorschuss-Vertrauen“ à la Tagesschau besteht  kein Grund. Deren Berichterstattung erinnert von ihrer Einseitigkeit fatal an frühere Ereignisse der Ukraine-Krise und ist bei der schlechten Qualität der Recherche ein weiterer Tiefpunkt der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung. Und gerade Qualität und Ausgewogenheit werden doch immer als Rechtfertigung für die steuerähnlichen Beitragsfinanzierung von ARD und ZDF auf Kosten der Allgemeinheit herangenommen? Es ist kein Wunder, dass die Berechtigung dieses Modells von wachsenden Teilen der Bevölkerung immer stärker in Frage gestellt wird.

Roland Bathon, russland.RU – Foto: Magnus Manske, Wikimedia Commons

 

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