Offener Brief: Militärs sollen Artenschutzbestimmungen beachten!

Vor nicht allzulanger Zeit berichteten wir in einem unserer Artikel über die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und China. Kurze Zeit später erreichte unsere Redaktion ein offener Brief der internationalen Meeresschutzorganisation OceanCare, der sich auf die anberaumten Seemanöver im Mittelmeer bezieht. Wir haben uns dazu entschlossen, unseren Lesern diesen Brief nicht vorzuenthalten und veröffentlichen ihn nun an dieser Stelle:

OFFENER BRIEF

an: Russische Föderation, China, NATO

in Kopie an: Sekretariat der Bonner Konvention, ACCOBAMS, Europäische Kommission, EU-Präsidentschaft, sowie zur öffentlichen Verbreitung über Medien und unsere Social-Media-Kanäle

Mit diesem Schreiben wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf die Folgen lenken, die anthropogener Unterwasserlärm aus militärischen Aktivitäten, darunter der Einsatz von aktivem Tief- oder Mittelfrequenzsonar und Detonationen, im Mittelmeer nach sich ziehen kann.

Das Mittelmeer ist Lebensraum für verschiedene Wal- und Delfinarten, von denen viele als gefährdet oder stark gefährdet in den Anhängen der Bonner Konvention geführt sind. Dazu zählen tieftauchende Arten wie der Cuvier-Schnabelwal (Ziphius cavirostris), der in Anhang I der Bonner Konvention gelistet ist, u.a. weil er sehr anfällig für starken, impulsiven Unterwasserlärm ist.

Es ist außerhalb des Mandats von OceanCare, geopolitische Entscheidungen zu kommentieren, die solche militärische Aktivitäten vorantreiben. Gleichwohl sind wir besorgt, dass diese im Widerspruch zu bestehenden zwischenstaatlichen Abkommen sowie zu Schutzmaßnahmen für bedrohte Arten und/oder den marinen Lebensraum im Mittelmeer insgesamt stehen.

In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von atypischen Massenstrandungen von Schnabelwalen, die räumlich und zeitlich mit ähnlichen militärischen Aktivitäten zusammenfielen. Die beiliegende Karte bietet Ihnen dazu einen Überblick. Wissenschaftler wie Meeresschützer haben angesichts dieser atypischen Strandungen die Entscheidungsträger im Rahmen verschiedener internationaler Prozesse aufgefordert, in essentiellen Gebieten besonders gefährdeter Arten keine derartigen Aktivitäten zuzulassen. Die Regierungen haben zugestimmt, dass lärmverursachende militärische Aktivitäten einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen, um unnötige Schäden durch Ortswahl und Timing der Aktivitäten zu vermeiden.

Das beiliegende Dokument „Intergovernmental Decisions and Academic Bibliography Relating to Marine Species and Anthropogenic Underwater Noise” beschreibt die wichtigsten zwischenstaatlichen Entscheidungen, in welchen sich die entwickelten Standards für wirksame Eingriffsbeurteilung und Folgenminderung ausdrücken. Jüngst wurde dieses Thema im Rahmen der Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) diskutiert. Die Regierungen haben sich geeinigt, dass es Standard sein soll, Umweltverträglichkeitsprüfungen für Aktivitäten durchzuführen, die erhebliche negative Auswirkungen auf lärmempfindliche Arten haben können. Die Folgen von anthropogenem Unterwasserlärm sollen durch räumlich-zeitliches Management der Aktivitäten vermindert werden, basierend auf hinreichend detailliertem Wissen über die räumlichen und zeitlichen Verbreitungsmuster von Arten und Populationen, um die Lärmerzeugung zu den kritischen Zeiten zu vermeiden.

Chronologie der internationalen Entscheidungen:

CBD Decision XII/23 – Marine and coastal biodiversity: Impacts on marine and coastal biodiversity of anthropogenic underwater noise

CBD Decision XI/18 – Marine and coastal biodiversity: Impacts of anthropogenic underwater noise on marine and coastal biodiversity

CMS Resolution 10.24 – Further steps to abate underwater noise pollution for the protection of cetaceans and other migratory species

CMS Resolution 9.19 – Adverse Anthropogenic Marine/Ocean Noise Impacts on Cetaceans and Other Biota

ACCOBAMS Resolution 5.15 – Addressing the Impact of Anthropogenic Noise

ACCOBAMS Resolution 5.13 – Conservation of Cuvier’s beaked whales in the Mediterranean

ACCOBAMS Resolution 4.17 – Guidelines to address the impact of anthropogenic noise on cetaceans in the ACCOBAMS area

ASCOBANS Resolution 5.4 – Adverse Effects of Sound, Vessels and other Forms of Disturbance on Small Cetaceans

Besonders hervorzuheben ist, dass auch das Centre for Maritime Research and Experimentation (CMRE) der NATO im Jahr 2009 die NATO Undersea Research Centre (NURC) Marine Mammal Risk Mitigation Rules and Procedures (NURC-Mammal Rules) entwickelte, um die Gefahr von Massenstrandungen und anderen negativen Folgen für Cuvier-Schnabelwale infolge von CMRE-Aktivitäten im Mittelmeer zu begrenzen. Die NURC-Mammal Rules halten u.a. fest, dass „CMRE’s precautionary policy is therefore to reduce the temporal and spatial interactions of sounds and beaked whales” und dass „the risk mitigation of CMRE focuses on avoiding the habitat of beaked whales”.

Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass das internationale Übereinkommen zum Schutz der Wale des Schwarzen Meeres, des Mittelmeeres und der angrenzenden Atlantischen Zonen (ACCOBAMS), das auch das Gebiet der geplanten militärischen Aktivitäten betrifft, mit der Resolution 4.17 im Jahr 2010 umfassende Richtlinien (Guidelines to Address the Impact of Anthropogenic Noise on Cetaceans in the ACCOBAMS Area – ACCOBAMS Noise Guidelines) verabschiedet hat, in denen gefordert wird:

  • modelling the generated sound field in relation with oceanographic features (depth/temperature profile, sound channels, water depth, seafloor characteristics) to assess the area possibly affected by relevant impacts;
  • determination of safe/harmful exposure levels for various species, age classes, contexts, etc.; and
  • mitigation that includes monitoring and reporting protocols to provide information on the implemented procedures, on their effectiveness, and to provide datasets to be used for improving existing cetacean databases.

In Bezug auf militärisches Sonar fordern die ACCOBAMS-Lärmrichtlinien außerdem:

  • sonar surveys to be planned and designed to avoid key cetacean habitat and areas of cetacean density and limit impacts;
  • continuous visual and passive acoustic monitoring (PAM) with a specialized team of cetaceans observers and bio-acousticians to ensure that cetaceans are not in the ‘exclusion zone’ before turning on the acoustic sources and while sources are active;
  • extra mitigation measures should be applied in deep water areas if beaked whales have been seen diving on the vessel trackline or if habitats suitable for beaked whales are approached: in such cases, the watch should be prolonged to 120 minutes to increase the probability that deep-diving species are detected (e.g. Cuvier’s beaked whales); and that
  • ideally, sonar exercises should not be done in areas that beaked whales are known to inhabit.

Detaillierte Forderungen enthält die Resolution 5.13, die 2013 verabschiedet wurde:

  • the production of intense underwater noise [including military sonar] in areas identified as Cuvier’s beaked whale habitat carries environmental implications and responsibilities;
  • the locations of mass strandings (≥2) of Cuvier’s beaked whales in the Mediterranean are important additional indicators of areas of enhanced risk for such species; and
  • beaked whales should not be exposed to noise where received levels exceed a certain level and that a precautionary buffer around the preferred habitats mentioned should be applied to ensure that the noise threshold is not exceeded.

Die Resolution 5.13 fordert die ACCOBAMS-Vertragsparteien daher auf:

  1. a) fully comply with Resolution 4.17 and report on its application to the Secretariat;
  2. b) inform the Secretariat and Scientific Committee of any atypical stranding events and to which degree the measures included in Resolution 4.17 were adhered to;
  3. c) include in mitigation requirements dedicated surveys and monitoring efforts of all potential beaked whale habitats with buffer zones around planned noise activities; and
  4. d) consider effective mitigation requirements in national regulations (as outlined in paragraphs 5 and 6 of Resolution 5.15);

Diese Fülle an politischen Diskussionen und Entscheidungen über mehr als ein Jahrzehnt zielte darauf ab, weitere Massenstrandungen zu vermeiden.

Dementsprechend sind wir äußerst besorgt über die Durchführung militärischer Aktivitäten im Mittelmeer. Wir fordern mit Nachdruck, dass vor jeglichen militärischen Aktivitäten angemessene Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden, und dass sämtliche in den ACCOBAMS-Lärmrichtlinien für militärisches Sonar enthaltenen Maßnahmen (monitoring and mitigation) umgesetzt werden.

Wir fordern Sie auf, die angemessenen Schritte zu setzen, um in multilateralen Verhandlungen ein Maßnahmenpaket zu erarbeiten, dem alle an militärischen Manövern beteiligten Seiten zustimmen können. Und wir fordern Sie auf, Gebiete von besonderer Bedeutung für Tierarten des Mittelmeers auszusparen.

In Erwartung Ihrer Antwort,

mit freundlichen Grüßen

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