„Noch ist etwas in den Kühlschränken“

Die Ukraine als Thema einer Filmveranstaltung in Potsdam. Ein Polit-Emigrant aus Odessa schildert, warum es keine großen Proteste gegen die Regierung gibt.

[Ulrich Heyden, Berlin] Im Saal des Thalia-Kino geht das Licht an. Die Tür öffnet sich und die Programmplanerin Christiane Niewald persönlich fährt einen Teewagen mit leckeren russischen Salaten, Pelmeni-Teigtaschen, Saft und Wodka herein.

Es ist Sonntag und wieder einmal „Russischer Salon“ http://www.thalia-potsdam.de/russischersalon.php. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe werden seit November 2014 anspruchsvolle Filme aus Russland gezeigt. „Es gibt kein festes Stamm-Publikum“, berichtet Schenja, eine der Mit-Organisatorinnen. „Aber es kommen immer genug Besucher.“

An diesem Sonntag Anfang März wird in dem Programmkino der Film“ Lauffeuer“ https://www.youtube.com/watch?v=LXRIuVNGmds gezeigt. Der über Crowdfunding finanzierte Low-Budget-Film schildert die Hintergründe der Brandangriffe auf das Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai 2014, bei dem 46 Menschen starben. Die Premiere des Films fand im Februar 2015 im Kreuzberger Kino Moviemento statt. Seitdem war der Film auf zahlreichen selbstorganisierten Veranstaltungen und in Programmkinos zu sehen. Im Internet gibt es den Film in vier verschiedenen Sprachen (Deutsch, Russisch, Englisch und Griechisch). Er wurde rund 150.000mal „geklickt“.

Ukraine verschwindet von den Bildschirmen und aus den Köpfen

Viele waren nicht in das Thalia-Kino gekommen. Das hängt wohl damit zusammen, dass das Interesse der deutschen Medien an der Ukraine stark nachgelassen hat. Nach der großen Erwartung, dass die Ukraine sich Europa annähert, folgt nun eine große Stille und erneut fällt das Land am Dnjepr in ein schwarzes Informations-Loch, aus dem es während der Maidan-Demonstrationen im Winter 2013/14 kurz auftauchte.

Doch das Interesse an den Hintergründen in der Ukraine ist immer noch groß. Das zeigte die Diskussion im Anschluss an die Filmvorführung, die sich über eineinhalb Stunden hinzog.  Viele Diskussionsteilnehmer erklärten, sie seien verzweifelt über das, was in der Ukraine passiere. Doch Niemand wusste, einen Rat, was zu tun sei. Ein älterer Herr, der früher geschäftlich in Odessa zu tun hatte, meinte, in der Ukraine seien „beiden Seiten“ schuld. „Die Ukrainer schlagen sich. Die wollen wir nicht in Europa.“

Es wurde auch gefragt, was eigentlich die Institutionen der EU gegen die politische Repression in der Ukraine tun. Erwähnt wurde der Fall des ukrainischen Journalisten Ruslan Kotsaba, der seit Februar 2015 in Haft sitzt, weil er in einem YouTube-Video dazu aufgerufen hatte, sich nicht am Krieg gegen die Aufständischen in der Ost-Ukraine zu beteiligen.

„300 Bewaffnete halten Odessa in Schach“

Auf die Fragen der Zuschauer konnte Oleg Musyka, ein Augenzeuge aus Odessa, antworten. Musyka hat die Brandkatastrophe im Gewerkschaftshaus von Odessa überlebt und organisiert seitdem in ganz Europa Foto-Ausstellungen und ein Dokumentar-Film-Festival in Berlin zu der Tragödie.

Das Resümee des 48jährigen, der seit eineinhalb Jahren in Berlin lebt und politisches Asyl beantragt hat: „In Odessa  halten 300 bewaffnete Nationalisten die ganze Stadt in Schach.“ Die 300 bewaffneten ukrainischen Nationalisten würde „vom Innenministerium und vom SBU (ukrainischer Geheimdienst) gedeckt“. Solange „noch etwas in den Kühlschränken ist“, werde es in der Ukraine keine großen Proteste geben.

Musyka rief die Zuschauer dazu auf, Druck auf die Kiewer Regierung auszuüben. Wenn die Deutschen die Kiewer Regierung nicht kritisierten und sich die politischen Verhältnisse in der Ukraine nicht änderten, werde die Ukraine Deutschland noch Jahre um finanzielle Hilfe bitten, „anstatt deutsche Mercedes zu kaufen“.

Gerüchte und Verdächtigungen

Über Musyka kursieren im Internet wilde Gerüchte. Weil er im November 2014 auf einer Veranstaltung in Berlin mit Aktivisten der Organisation Staatenlos zu sehen war, wurde er verdächtigt ein „Querfrontler“ zu sein. Der Berliner „Tagesspiegel“ war nicht so gehässig. In einer Reportage wurde Musyka als  „typischer ´Russe´, ohne einen russischen Pass zu“ vorgestellt.  Russland sei kein Land mit geographischen Grenzen, „sondern eine Geisteshaltung“, zitiert das Blatt den Aktivisten.

Als ich Oleg auf die umstrittene Veranstaltung im November 2014 anspreche, erklärt er, das sei ein „zufälliges Zusammentreffen“ unter freiem Himmel gewesen. Bei einer Kundgebung zum Brand in Odessa sei das Mikrophon herumgereicht worden an Leute, die etwas sagen wollten und da hätte auch Jemand von „Staatenlos“ die Gelegenheit ergriffen. Damals habe er sich noch nicht ausgekannt mit den politischen Strömungen in Deutschland. Mit Faschisten wolle er nichts zu tun haben, erklärt Musyka. Im Übrigen sei er links orientiert.

Musyka spricht kein Deutsch. Er ist auf die Übersetzungshilfe von Freunden angewiesen. Besonders enge Kontakte unterhält er mit der Berliner Organisation „Mütter gegen den Krieg“ mit der er jede Woche Mahnwachen vor der ukrainischen Botschaft in Berlin gegen den Krieg in der Ost-Ukraine durchführt.

„Rodina war eine ukrainische Partei“

Dass er Mitglied einer nationalistischen Partei war, bestreitet Oleg. Die Partei Rodina (Heimat) in Odessa, sei eine ukrainische Partei gewesen. Mit der gleichnamigen Partei in Russland habe die nichts zu tun.

Auf der Website der ukrainischen Rodina findet man über Musyka nichts Verwerfliches http://rodina.od.ua/tag/oleg-muzyka.html . Man sieht ihn beim Überreichen von Blumen und Geschenken an Weltkriegs-Veteranen, bei einem Sport-Wettkampf und einer Kunst-Ausstellung. Dass sich Rodina in Odessa für russische Kultur, die russische Sprache und das Andenken an den 9. Mai als Tag der Befreiung einsetzt, kann man schwerlich als „Nationalismus“ bezeichnen. Im Gegenteil, der Sieg gegen die Hitler-Wehrmacht, war ein Sieg verschiedener Völker der Sowjetunion, Russen, Ukrainer und vieler anderer.

Wie die zahlreichen Foto-Ausstellungen zu Odessa finanziert werden, frage ich Musyka? Das Geld käme von Unternehmern, die in der Ukraine ansässig waren und gegen den Staatsstreich in Kiew sind, erklärt der Aktivist.

Ja, er sei bei einer Demonstration zum Fall Lisa gewesen, sagt Musyka. Er ist nach wie vor der Meinung, dass mit Lisa etwas Schlimmes passiert ist.  Auf seiner Facebook-Seite betont Musyka, dass sich die Proteste im Fall Lisa nicht gegen alle Flüchtlinge richten dürften. Die russischsprachigen Demonstranten seien ja „selbst Umsiedler und Flüchtlinge“, schreibt er am 18. Januar. Und in einem Post vom 29. Februar freut sich der Aktivist, dass sich Flüchtlinge aus Syrien und Palästina in die von ihm mitorganisierte Berliner Mahnwache gegen den Krieg in der Ost-Ukraine eingereiht haben.

Ulrich Heyden

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