Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Einiges über die Russen

Aus: Münchner Mittwochs- und Sonntagsblatt für den gebildeten und bildungsfähigen Bürger und Landmann

Autor: Redaktion – Münchner Mittwochs- und Sontagsblatt,

Erscheinungsjahr: 1807

Die Einwohner von Russland, besonders die Menschen der mittleren und niederen Klassen besitzen ein Maß von Kraft, von Gesundheit, Abhärtung und Dauerhaftigkeit, wovon man täglich mit Erstaunen die Äußerungen sieht. Die Epoche der schwersten Arbeit des Landsmanns, die Heu- und Getreideernte, fällt gerade in eine Fastenzeit, wo er nichts als Brot, Heidegrütze. Gurken, Rüben, Zwiebeln und Schwämme zu seiner Nahrung hat: lauter Speisen, die eben nicht sehr geeignet sind, den Abgang der Kräfte zu ersetzen. Und doch wird diese Arbeit mir eben der Schnelligkeit und mit eben so wenig Nachteil für die Gesundheit des Landmanns getan, wie z. B. im Mecklenburgischen, wo der Bauer zur Erntezeit wohl doppelt so viel als gewöhnlich, und gerade die nahrhafteste Kost zu sich nimmt.

Eben so werden die meisten und weitesten Reisen in Russland im Winter gemacht. Nicht selten fällt in den mittleren und nördlichen Gegenden des Reichs eine Kälte von 20, bis 35 Graden ein, und die Fuhrleute machen dessen ungeachtet einen Weg von 70 bis 100 Wersten — 10 bis 14 deutschen Meilen — des Tages! Sie erfrieren unterwegs, oft Gesicht, Ohren, Hände und Füße: allein sie wissen sich auf der Stelle zu helfen, indem sie die abgestorbenen Teile so lange mit Schnee reiben bis sie wieder belebt sind. Von der außerordentlichen Körperkraft der gemeinen Russen mag ein Beispiel genug sein, das der berühmten Tat des Herkules beim, Augias wohl an die, Seite gesetzt zu werden verdiente.

Ein Salzpächter in Kolymna musste zu einer bestimmten Zeit 600 Pud Salz im Magazin haben, welches in kurzem untersucht werden sollte. Die damit beladenen, Fahrzeuge waren auf dem Fluss, dem Magazin gegen über, nur eben am Abend vor der bevorstehenden Besichtigung angelangt. Jetzt war die Frage, wie man, ohne Aufsehen zu erregen, diese große Last in der einen Nacht in das Magazin bringen sollte. Zwanzig Lastträgern würde das wohl keine zu schwere Ausgabe gewesen sein: aber eben dadurch wäre das Geheimnis des Pächter, dass — durch oder ohne seine Schuld — dass Magazin bis auf den Boden ausgeleert stand, verraten gewesen. In dieser Verlegenheit erbot sich ein Tagelöhner desselben, ein Bauer aus dem Archangelschen, von mittlerer Statur, aber untersetzt und nervig, allein das Abenteuer zu bestehen.

Der Tag war noch nicht angebrochen, so standen die 600 Pud Salz — ein Pud hält 40 Pfund — im Magazin: er hatte sie auf seinen Schultern dahin getragen! Wahr ist es, dass man, um den nachteiligen Folgen einer so übermäßigen Anstrengung vorzubeugen, diesem Simson eine Ader zu schlagen für nötig fand. Aber welch ein Maß von Kraft gehörte dazu, dieser Anstrengung nicht zu unterliegen! Beispiele von Greisen, die im siebzigsten Jahre noch heiraten und mehrere lebendige Zeugen ihrer noch nicht geschwundenen Manneskraft aufstellen, sind hier zu Lande gar nicht selten. Die Zeitungen haben zuweilen dergleichen gemeldet; aber weit mehrere werden, als eben nicht sehr wunderbare Vorfälle, dem Ausland nicht mitgeteilt.

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Einiges-ueber-die-Russen

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