Neue Wortgefechte im Informationskrieg um NawalnyFoto Nawalny Instagram

Neue Wortgefechte im Informationskrieg um Nawalny

Vorab, der Genesende meldete sich per Instagram zurück und der Kreml freut sich über seine Genesung. Alexei Nawalny veröffentlichte ein Foto, auf dem er im Krankenhausbett sitzend umringt von seiner Familie zu sehen ist. Ein Sprecher des Präsidialamtes in Moskau sagte am Dienstag, jeder wäre glücklich, wenn sich Nawalny wieder erholen würde.

Ansonsten liefern sich die Kontrahenten auf dem Kriegsschauplatz der Informationen weitere Gefechte. Dass Russland an sich nichts zu untersuchen habe, machte Sergei Narischkin, Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, deutlich: Zum Zeitpunkt der Abreise nach Deutschland befanden sich in Nawalnys Körper keine Gifte. Zudem gebe es auf russischem Territorium kein Nowitschok-Gift, mit dem der Politiker hätte vergiftet werden können. Das sei „Desinformation“, so der SWR-Chef. Die Testergebnisse sind dokumentiert und die Ärzte haben Proben des Biomaterials. „Tatsache ist, dass unsere russischen Ärzte, die Ärzte des Omsker Krankenhauses, Alexei Nawalny das Leben gerettet haben.“   

Die Europäische Union betrachtet den Vorfall mit dem russischen Oppositionsführer, den es Narischkin zufolge nicht gegeben haben kann, als „Mordversuch“, wie der EU-Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell sagte. „Wir verurteilen diesen Mordversuch ohne Zweideutigkeit. Dies sind die Worte, die wir verwenden müssen: versuchter Mord“, sagte Borrell auf einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments. Deutsche Experten hätten den chemischen Kampfstoff bei Nawalny gefunden, was von Laboratorien in Frankreich und Schweden bestätigt wurde. „Jetzt gibt es unwiderlegbare Beweise dafür, dass ein Neurotoxin der Nowitschok-Gruppe verwendet wurde, ähnlich dem, das zur Vergiftung von Julia und Sergei Skripal verwendet wurde“, so Borrell.

Die Nachrichtenagentur Reuters präsentierte mehreren Quellen, die mit den Geschehnissen rund um die Erstversorgung von Nawalny am Flughafen Omsk vertraut sind, bevor er ins Notfallkrankenhaus gebracht wurde. Sie widerlegen die offizielle russische Version, Nawalny sei aufgrund einer Stoffwechselstörung ins Koma gefallen und habe einen viermal höheren Blutzuckerspiegel als normal gehabt, in vielen Punkten.

Was die fünf medizinischen Quellen, die sich zum ersten Mal äußerten und deren Aussagen Reuters nicht unabhängig überprüfte, berichteten, liest sich zusammengefasst so:

  • In den ersten 12 Minuten nach der Landung schlossen die Sanitäter ein mögliches diabetisches Koma oder einen Schlaganfall aus und sahen keine Anzeichen einer Stoffwechselstörung. Ein am Flughafen durchgeführter Glukosetest zeigte Zucker im normalen Bereich (3 bis 5 mmol pro Liter).
  • Vier Quellen sagten, dass die Ärzte, die am Flughafen zu Nawalny kamen, ein klinisches Bild von Vergiftungen wie Starrezustand des ganzen Körpers bei wachem Bewusstsein beobachteten.  „Er konnte nichts erklären“, sagte einer von ihnen. Vier der fünf Quellen sagten, die Sanitäter, die Nawalny sahen, beobachteten das klinische Bild einer Vergiftung. „Es war unbeschreiblich. Nawalny befand sich in einem Stupor, einem Zustand der Verwirrung“, so eine der Quellen laut Reuters.
  • Am Flughafen injizierten die Ärzte Nawalny kein Atropin. Im Omsker Notfallkrankenhauses hatten ein Dutzend Ärzte, die den Patienten behandelten, keine Zweifel daran, dass er vergiftet war.

Reuters bat Alexander Sabajew, Chef-Toxikologe des Omsker Notfallkrankenhauses Nr. 1, um eine Stellungnahme zu den Berichten über die Aussagen der Sanitäter, die er bestritt.

„Nein, das ist nicht wahr, das Krankenwagenteam sah einen Zuckerwert von 13 mmol/l“, sagte er. Ein Zuckergehalt von 13 mmol pro Liter liegt weit über dem Normalwert.

Letzte Woche hatte Sabajew berichtet, er habe im Krankenhaus aufgrund dessen, was die Sanitäter und die Verwandten von Nawalny ihm gesagt hätten, zunächst eine Vergiftung vermutet und ihm eine kleine Dosis Atropin gegeben, um ein Problem mit seinen Lungen zu behandeln. Einige Mediziner vermuten, dass dies Nawalny wahrscheinlich das Leben gerettet hat.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kommentierte die Berichte über die Beobachtungen der Sanitäter und den ersten Testergebnissen gegenüber Reuters, er habe keine Informationen darüber, „welche Art von Tests Ärzte mit dem Patienten im Flugzeug gemacht hätten, oder ob sie überhaupt irgendwelche Tests gemacht haben und wer diese Ärzte sind.“

Das Krankenhaus in Omsk reagierte bisher nicht auf Fragen. Das regionale Gesundheitsministerium wiederholte, dass Nawalny einen hohen Blutzuckerspiegel gehabt habe und nach Abschluss der Tests im Krankenhaus eine Stoffwechselstörung diagnostiziert worden sei.

Der Informationskampf um das, was mit Nawalny passiert ist, hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel steht unter Druck, die fast fertiggestellte Nord Stream 2-Pipeline zu stoppen, die Gas von Russland nach Deutschland bringen soll.

Alexei Nawalny selbst beabsichtigt, nach Russland zurückzukehren und „seine Arbeit fortzusetzen“, sobald er sich erholt hat. Der Oppositionspolitiker erzählte dem ihn besuchenden deutschen Staatsanwalt von seinen Plänen, schreibt die New York Times unter Berufung auf einen hochrangigen deutschen Beamten. Nawalny weigerte sich auch, mit der russischen Seite zusammenzuarbeiten, die Deutschland einen Antrag auf gemeinsame Untersuchung schickte.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft soll nach Presseberichten ein zweites Rechtshilfeersuchen an die deutsche Regierung gestellt haben. Das Dokument ging am Montagabend beim zuständigen Bundesamt für Justiz in Bonn ein. Darin bittet die russische Seite darum, an einer etwaigen Befragung Nawalnys durch deutsche Ermittler teilnehmen zu dürfen.

Nawalny war am 20. August auf einem innerrussischen Flug kollabiert. Nach einer Notlandung wurde der 44-Jährige zunächst in einer Klinik im sibirischen Omsk behandelt, bevor er am 22. August nach Deutschland ausgeflogen wurde, wo er seitdem in der Berliner Charité behandelt wird.

[hrsg/russland.NEWS]

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