Nach Silvester kommt das Alte Neue Jahr

„Wenn schon lieben, dann von Herzen, wenn schon drohn, dann nicht zum Scherzen, (…)

wenn schon strafen, dann gerecht, wenn schon feiern, dann bezecht!“, schrieb der russische Dichter Alexei Tolstoi über seine Landsleute und brachte so ihr Entweder-Oder –Lebensgefühl zum Ausdruck. Wenn die Russen etwas richtig können, dann feiern. Oder ist es doch nur ein uraltes Klischee wie Wodka und Kasatschok?

Wenn man sich den russischen Kalender anschaut, dann muss man schon feststellen, dass es genügend Gründe gibt, dies oder jenes zu feiern. Es gibt z.B. den Tag der russischen Wissenschaft oder den Tag der Metromitarbeiter. Wie der alte russische Witz besagt, man findet immer einen Anlass, um sich ein Gläschen Wodka zu genehmigen. Vor allem hat der russische Staat eine sehr schöne Tradition: fällt ein Feiertrag auf Samstag oder Sonntag, wird ein Freitag davor bzw. ein Montag danach zum freien Tag. Die Russen verzichten eben nicht gern aufs Feiern.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind zu alten Festen neue aus dem Westen dazu gekommen, wie Valentinstag oder Halloween. Alte sowjetische Festtage sind dabei zu patriotisch-russischen mutiert. Wie z.B. der Tag der sowjetischen Armee am 23. Februar. Heute heißt er „Tag des Heimatverteidigers“ und ist eigentlich ein Männertag. Wie der 08. März ein Tag der obligatorischen Geschenke an alle Frauen ist und wenig an den „internationalen Frauentag“ erinnert.

Das beliebteste Fest ist und bleibt aber Silvester. Und weil die Russen es so lieben, feiern sie es eben zweimal. Und zwar am 13. Januar. Diese Möglichkeit haben sie der Kalenderreform zu verdanken. Erst 1918, ein Jahr nach der Oktoberrevolution, haben die Bolschewiken den Gregorianischen Kalender in Russland eingeführt. Die Russisch Orthodoxe Kirche behielt jedoch den Julianischen Kalender. Damals war das ein Akt der geistlichen Opposition zur kommunistischen Macht, die sich zum Ziel setzte, das alte Regime und damit auch die Kirche zu zerstören. Dadurch entstand die Differenz von 13 Tagen, und so feiern die russischen Gläubigen ihr Weihnachtsfest am 07. Januar. Vor allem für sie bietet das Alte Neue Jahr eine Möglichkeit, Silvester richtig „nachzufeiern“, denn Weinachten gehen 40 Tage der Fastenzeit voran. Am Heiligabend wird am strengsten gefastet: Man darf bis zum Erscheinen des ersten Sterns nichts essen. Dabei feiert die ganze Welt eine Woche davor das Neujahrfest. Und lecker essen und feiern ist für die meisten Russen ein Synonym. Eine große Versuchung für orthodoxe Gläubige also.

Allerdings nicht nur für strenge Gläubige hat das Alte Neue Jahr eine Anziehungskraft. Denn dieses Fest war schon zu Sowjetzeiten sehr beliebt. Warum, kann man gar nicht erklären. Vielleicht, weil es endgültig die winterlichen Feierlichkeiten und die Schulferien abschließt. Denn am 31. Dezember beginnen in Russland die Neujahres-Feiertage an. Offiziell sind die Tage vom 1. bis zum 10 Januar 2016 arbeitsfrei.

Vielleicht, ist es auch eine Art Silvester für Erwachsene, denn zum „normalen“ Neujahr am 31. Dezember dreht sich alles mehr oder weniger um die Kinder und ihre Bescherung. Allerdings, beschenken sich auch die Erwachsenen zu Silvester. Und so ist das Alte Neue Jahr ein Fest ohne Geschenke und auch ohne Feuerwerk. Es wird nicht mit einer Wucht dafür aber gemütlich und viel Liebe gefeiert. Eigentlich hat man keine Kraft mehr zum Feiern. Man ist immer noch nach Silvesterfeierlichkeiten mehr oder weniger verkatert. Und dennoch werden wieder Sektflaschen entkorkt. Schon wieder sitzt man an einer obligatorischen Festtafel, aber an einer nicht so üppigen. Auch der Weihnachtsbaum bleibt bis zum 14. Januar traditionell geschmückt.

Laut verschiedenen Umfragen bekennt sich die Mehrheit der russischen Bevölkerung zu diesem alten Fest. Denn die Liebe der Russen zu ihren Traditionen scheint stärker zu sein als ihr Überdruss an Feierlichkeiten.

Daria Boll-Palievskaya – russland.RU

 

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