Nach G7-Gipfel: Wie kann Moskau neue Sanktionen vermeiden?

Die oppositionelle Internet-Zeitung „Republic“ sieht in den Ergebnissen des G7-Gipfels in Italien eine neue Bedrohung für die russische Wirtschaft und fragt sich, was Moskau tun muss, um dies zu vermeiden.

Die Ergebnisse des G7-Gipfels in Taormina zum „ukrainischen Dossier“ und den Sanktionen des Westens gegen Russland sehen, so will es scheinen, für Moskau nicht negativ aus. Obwohl in der Schlussdeklaration die Verantwortung für den Konflikt in der Ukraine direkt Russland auferlegt wird, das de facto als Konfliktseite anerkannt wird, die Verpflichtungen laut den Minsker Vereinbarungen hat (was Moskau immer verneint hat), gibt es hier nicht viel Neues. Der Text der Deklaration von Taormina zur Ukraine wiederholt wortwörtlich die Abschlusserklärung des letztjährigen Gipfels der „großen Sieben“ in Japan, die Absicht eingeschlossen, „die Sanktionen, wenn nötig, zu verschärfen“.

(…) Etwas Positives ist für Moskau die Formulierung, die Kiews Verantwortung betont, nämlich dass „eine stabile Regelung der Krise in der Ukraine nur mit der vollständigen Erfüllung der in den Minsker Vereinbarungen übernommenen Verpflichtungen durch alle Seiten erreicht werden kann“. Aber die G7 hat der Ukraine keine konkreten Forderungen außer der „fortgesetzten Treue zur Unterstützung ihres ambitiösen und notwendigen Reformprogramms“ gestellt.

Wer möchte, kann darin einen Fortschritt sehen, dass das russische Thema im Tandem mit der ukrainischen Krise in diesem Jahr in den Hintergrund gerückt ist – es ist einer der letzten Punkte im außenpolitischen Abschnitt der Deklaration; bei den bilateralen Gesprächen der Staatschefs wurde Russland laut General McMaster, dem Berater des US-Präsidenten für die nationale Sicherheit, nicht erörtert. Aber das ist eher ein Zeichen dafür, dass es in der Bewertung der Situation und des weiteren Kurses einen Konsens gibt – es wird in der Regel das nicht erörtert, worüber es keine Meinungsverschiedenheiten gibt.

Sanktionen für zehn Jahre

Für bestimmte Verwirrung sorgte Gary Cohn, der Wirtschaftsberater von Trump, im Vorfeld des Gipfels, als er erklärte, die US-Administration „untersucht die Frage der Sanktionen gegen Russland und hat noch keine Position ausgearbeitet“. Das schien mit den Signalen des Weißes Hauses im Januar dieses Jahres zu korrespondieren. Aber bereits am folgenden Tag ließ Gary Cohn eine präzisierende Erklärung folgen: „Wir heben die Sanktionen gegen Russland nicht auf. Möglicherweise betrachten wir sogar Varianten ihrer Verschärfung. Ich denke, der Präsident hat genau umrissen, wie die Russen die Aufhebung der Sanktionen erreichen können.“

Zugleich erklärte das Weiße Haus, es werde die Sanktionen gegen Russland nicht aufheben, die im Dezember 2016 von der Оbama-Administration als Antwort auf die angebliche russische Einmischung in die Präsidentschaftswahl in den USA erlassen worden waren. Zuvor hatte Trump erklärt, dass Obamas Sanktionen wegen der Einmischung in die amerikanischen Wahlen – im Unterschied zum „Ukraine-Paket“ – revidiert werden könnten.

Sie beinhalten das Verbot der Zusammenarbeit mit FSB und GRU und die Untersagung der Nutzung der Russland gehörenden Botschafts-Landhäuser in Washington und der ständigen Vertretung in New York. Moskau bemüht sich im Rahmen der bilateralen Gruppe „zur Beseitigung von Hindernissen“ unter Leitung von Rjabkow und Shannon, diese Verbote aufzuheben, und droht sogar mit Gegenmaßnahmen.

Moskau sollte über die erneut entflammte Diskussion in Washington besorgt sein, bei der es um die Notwendigkeit der Verschärfung des Sanktionsdrucks auf Russland in der Ukraine-Frage und Syrien und die Einmischung in die amerikanischen Wahlen geht. Anfang 2017 schien es noch, dass die Sanktionen ihre letzten Tage erleben und sich bis Jahresende ganz in Luft auflösen könnten, ohne das Russland Eingeständnisse gemacht hätte.

Die Administration Trump deutete die Möglichkeit der vollen oder teilweisen Aufhebung der Sanktionen an – im Tausch gegen die Zusammenarbeit mit Russland beim Kampf gegen den IS und die Regelung in Syrien; das hätte zur „Abkoppelung der Sanktionen“ von der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen und de facto zum Scheitern des Sanktionssystems geführt, obwohl die Europäer versprachen, diese Anbindung unabhängig von der Position der USA aufrechtzuerhalten.

Es standen die Wahlen in Frankreich bevor, wo die Hauptkandidaten (Marine Le Pen, François Fillon Jean-Luc Mélenchon) faktisch vorschlugen, die Sanktionen aufzuheben. Aber in Frankreich siegte Macron, der beim Gipfel in Taormina die russischen Handlungen in der Ukraine als „Invasion“ bezeichnete. Bei den Wahlen im September dieses Jahres in Deutschland sind laut Meinungsumfragen ein Sieg der Merkel-Partei und die Fortsetzung ihrer Kanzlerschaft fast garantiert.

Die Republikaner im US-Senat haben das Weiße Haus davon überzeugt, die Bindung der Sanktionen an die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen durch Moskau aufrechtzuerhalten, unter anderem mit der Drohung der Annahme eines Sondergesetzes, das die Sanktionen analog zum Jackson-Vanik-Admentment in einem föderalen US-Gesetz verankern und die Ausmaße und Tiefe der Restriktionen wesentlich erweitern könnte.

Die in dieser Novelle vorgesehenen Maßnahmen wären zerstörerisch für die russische Wirtschaft: Zum Beispiel wären dies Verbote für jedwede Investitionen (auch aus Drittländern) in den russischen Öl- und Gassektor, die sich auf mehr als 200 Millionen US-Dollar belaufen würden; Sanktionen bei der Beteiligung am Bau russischer Gasleitungen; Sanktionen für die Teilnahme an gemeinsamen Projekten mit der Russischen Föderation im Bereich der Kernenergie; Sanktionen bei Investitionen in die Privatisierung der Staatsaktiva Russlands und in souveräne russische Schuldenverpflichtungen, auch für Drittländer.

Es ist natürlich kein Fakt, dass dies alles im Endeffekt Gesetz wird, aber die Richtung des Gedankens ist klar. Parallel wurde von Senator Graham eine Novelle eingebracht, die für jede Entscheidung des Präsidenten zur Aufhebung der antirussischen Sanktionen eine Sonderbilligung durch den Senat verlangt. Sollten diese Beschränkungen angenommen werden, ist es nicht schwer, sich Moskaus Reaktion vorzustellen.

Zunächst gelang es der Trump-Administration, die Senatoren zu überreden, die Abstimmung zu diesem monströsen Paket auf unbestimmte Zeit zu vertagen – dies unter der persönlichen Garantie von Außenminister Tillerson, dass das Weiße Haus die Möglichkeit der Aufhebung der „ukrainischen Sanktionen“ im Tausch gegen einen „billigen Deal zu Syrien“ nicht in Betracht ziehen wird und eine Pause braucht, um Moskau die Möglichkeit zu geben, seine Positionen zur Ukraine und zu Syrien zu revidieren, was eine positive Bewegung in den russisch-amerikanischen Beziehungen im Tausch gegen die Aufhebung der Sanktionen nach sich ziehen würde. Damit kamen Tillerson nach Moskau und Lawrow zu Trump, und zu Syrien deuten sich vielleicht irgendwelche Fortschritte an. Aber nicht zur Ukraine.

Dessen ungeachtet erklärte Senator Bob Corker, der Vorsitzende des Senats-Außenausschusses, bereits am 25. Mai, die Novelle über neue antirussische Sanktionen werde auf den Weg gebracht , sollte Außenminister Tillerson im Laufe der nächsten Sitzungsperiode, die am 2. Juni beginnt, keine überzeugenden Argumente dafür vorweisen können, dass die USA beim Zusammenwirken mit Russland zu Syrien einen Fortschritt erzielt haben (soll heißen: Beweise für Veränderungen in der Linie Moskaus). Am 25. Mai billigte der Ausschuss bereits die Novelle von Senator James Cordon, in der es um Maßnahmen gegen den russischen Einfluss in Europa und Eurasien geht. Dabei unterstrich Corker, er erwarte nicht, dass die Administration solch eine positive Dynamik vorweisen kann. „Wie ich in den Informationen der Aufklärung gesehen habe, hat es keine Veränderungen bei den Handlungen der Russen gegeben. Sie fahren fort, gegen unsere Interessen zu handeln.“

Wie die Situation korrigiert werden kann

Der Schlüsselfaktor, der die Senatoren dazu bewegt, die Sanktions-Thematik zu aktivieren, ist offensichtlich die an Fahrt gewinnende Untersuchung der vermutlichen russischen Einmischung in die amerikanischen Wahlen und der möglichen Zusammenarbeit von Trumps Wahlkampfstab mit den russischen Geheimdiensten.

Nach der Ernennung von Robert Mueller zum Sonderstaatsanwalt und dem Auftauchen von Geheiminformationen, dass das FBI Kontakte des Schwiegersohns des Präsidenten und seines Sonderberaters Jared Kushner zu russischen Vertretern untersucht – unter anderem die seltsame Bitte an den russischen Botschafter Kissljak, in der russischen diplomatischen Vertretung einen vor den amerikanischen Geheimdiensten geheim gehaltenen Verbindungskanal mit Moskau zu organisieren –, hat sich der Korridor der Möglichkeiten für die Trump-Administration in russischer Richtung faktisch geschlossen.

Die nicht sonderlich durchdachten Improvisationen des Kremls, als Verteidiger Trumps aufzutreten, der unter den Bedingungen der „politischen Schizophrenie“ in den USA angeblich am Arbeiten gehindert wird, verstärken die unguten Verdächtigungen nur.

Moskaus Position, die da lautet: „Die Sanktionen sind nicht unsere Frage, wir erörtern sie nicht“, sieht in dieser schwierigen Situation seltsam aus, da die Bedrohung durch eine gesetzgeberische Ausweitung der amerikanischen Sanktionen gegen Russland auf einen unbestimmten Zeitraum (die Novelle Corker-Cordin sieht Sanktionen für zehn Jahre vor) mehr als real ist und die Unfähigkeit der Trump-Administration, dem Druck des Kongresses standzuhalten, immer deutlicher wird.

Die Sanktionen stellen für Russland eine ernsthafte Bedrohung dar, und es ist einfach unprofessionell, diese Bedrohung und annehmbare Wege zu ihrer Aufhebung nicht zu diskutieren. Man kann die Gründe erörtern, warum sie verhängt wurden, und nach Möglichkeiten zu einer Korrektur im Rahmen der russischen Interessen suchen, wenn man diese ohne soldatisches Gebaren interpretiert.

Wenn man die Krim beiseitelässt, wo das System der Sanktionen nicht so gefährlich ist, müssten vor allem die Sanktionen zum Donbass erörtert werden, die an die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gebunden sind. Sieht man sich die Erklärung der „Sieben“ von Taormina an, in der Russland alle Verantwortung für den Konflikt auferlegt und von ihm die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen verlangt wird, wird klar, dass der Westen den von Moskauer bevorzugten Narrativ vom „innerukrainischen Konflikt“ und der Notwendigkeit einer Regelung allein zwischen Kiew und den „Donezker Republiken“ zurückweist und Russland als Konfliktseite ansieht.

Das bedeutet, dass die Verantwortung für die Umsetzung der Minsker Abkommen nicht nur Kiew auferlegt wird, das die Realisierung ihres politischen Teils blockiert, sondern auch Moskau, das in den Augen des Westens die Verantwortung für Sicherheitsfragen trägt. Wenn seitens Moskau keine sichtbaren Anstrengungen zur Gewährleistung der Feuereinstellung und des Abzugs der schweren Waffen unter OSZE-Kontrolle unternommen werden, wird der Westen auf Kiew keinen Druck bei der Erfüllung des politischen Teils von „Minsk 2“ ausüben.

Eine Verschärfung des Sanktionsdrucks auf Russland wäre dann äußerst wahrscheinlich, wenn sich in Washington, Berlin und Paris die Meinung festigt, dass Moskau nicht vorhat, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen, weil die fortdauernde Destabilisierung der Ukraine für Russland von Vorteil wäre. Klar ist, dass auch Petro Poroschenko nicht vorhat, die Minsker Abkommen zu erfüllen. Der kann die Stimmen der ihm nicht wohlgesonnenen Bewohner des Donbass überhaupt nicht gebrauchen – weder bei den Präsidenten- noch bei den Parlamentswahlen 2019. Aber Kiew drohen – im Unterschied zum Kreml – keine amerikanischen Sanktionen.

Moskau hat noch einen Ausweg, um die Situation zu beeinflussen und einem neuen Restriktionsschlag zu entgehen. Aber Wladimir Putin muss beim Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem wohl bereits im Juni stattfindenden nächsten Gipfel des „Normandie-Quartetts“ und dem ersten Gespräch mit Trump beim „Zwanziger-Gipfel“ im Juli irgendwelche neuen Ideen vorlegen.

Nicht nur zum zehnten Mal davon sprechen, dass die Minsker Abkommen im Wortlaut erfüllt werden müssen und Kiew dies tun muss, sondern eigene Lösungen vorschlagen, vielleicht auch bezüglich der Veränderung der Reihenfolge bei der Umsetzung der Vereinbarungen, die aufs Neue in eine Kompromissvariante der „Road Map“ eingehen könnte; er könnte eine Garantie für die völlige Einstellung der Kampfhandlungen und den Abzug der schweren Technik der „Republiken“ abgeben, die Kontrolle der OSZE an einem Abschnitt der russischen-ukrainischen Grenze erweitern, usw.

Das nimmt zumindest Kiew die Argumente vor dem Westen bezüglich der Unmöglichkeit der Umsetzung der politischen Punkte über den Sonderstatus, die Verfassungsänderung und die Durchführung von Lokalwahlen. Und zeitweilig wird der Sanktionsdruck seitens des US-Kongresses gemindert. Aber für neue Herangehensweisen und Lösungen zur Ukraine braucht der Kreml viel politischen Willen und ein adäquates Verständnis für die Drohungen und Folgen der Handlungslosigkeit. Das diese vorhanden sind, ist heute nicht offensichtlich.

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