Moskauer Wirtschaftsforum: Die Rebellion der Intellektuellen

Der neoliberale Kurs der Regierung ist Schuld am Niedergang der russischen Wirtschaft und an der gegenwärtigen Krise – aber es gibt Alternativen. Das war die allgemeine Erkenntnis nach den zwei Tagen der Diskussion auf dem 3. Moskauer Wirtschaftsforum, das mit über 1500 Teilnehmern aus 25 Ländern deutlich mehr Interesse bei Politikern,Wirtschaftsfachleuten und Wissenschaftlern ausgelöst hatte, als von den Veranstaltern erwartet. First-Line Verantwortungsträger des Staates waren allerdings der Veranstaltung ferngeblieben, wohl, so die Meinung vieler Teilnehmer, um sich keine unangenehmen Wahrheiten anhören zu müssen.

„Früher oder später muss sich die Führung des Landes trotzdem mit unseren Schlussfolgerungen befassen, weil sie Konsequenzen aus der Realität sind“, zeigte sich Konstantin Babkin, Co-Organisator des Forums und Generaldirektor eines Landmaschinenbau-Betriebes, überzeugt. „Aber genau das ist das Problem: Wir haben keine Zeit mehr, denn wir stehen heute am Rande des Abgrunds. Morgen sind wir vielleicht schon einen Schritt weiter…“ In den thematischen Konferenzen und den Rundtischgesprächen seien sich die Teilnehmer darin einig gewesen, dass Russland nach wie vor über ein großes Potenzial verfüge. Für eine Re-Industrialisierung seien allerdings kardinale Veränderungen in der Investitionspolitik, der Arbeit der Zentralbank und in der Steuergesetzgebung notwendig.

Die stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses der Staats-DUMA, Oxana Dimitriewa, ging noch weiter: „Das Handeln des gesamten Finanzblockes in der Regierung und der Führung der Zentralbank sind nur an den Interessen des Finanzkapitals orientiert. Die von Präsident und Regierung unter anderem für die Ablösung von Importen geforderten Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen sind bei Zinsen von über 20 Prozent einfach nicht möglich. Wenn die Verantwortlichen das nicht einsehen und ihre Politik korrigieren, müssen sie durch Fachleute mit mehr Verständnis für die Zusammenhänge abgelöst werden.“

Als Alternative zur Politik der „Finanzialisierung und Deindustrialisierung“, die augenscheinlich in eine Sackgasse geführt habe, schlug Professor Ruslan Grinberg, Direktor des Wirtschaftsinstituts bei der Russischen Akademie der Wissenschaften und ebenfalls Mitorganisator des MEF forderte er, dass mindestens die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts nach sozialen, und nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien erarbeitet und verteilt werden sollte und dass die Zivilgesellschaft zum Hauptakteur bei der sozialen Regulierung der Gesellschaft werden und allmählich immer mehr Funktionen des Staates übernehmen solle. Der Anteil der Ausgaben für soziale Belange müsse spürbar erhöht werden, gegenwärtig sei er um vieles niedriger als in den USA und erst recht in Europa.

Die Gefahr einer Manipulierung der Bevölkerung sieht der linke Ökonom und Direktor des Institutes für Sozioökonomie an der Universität für Finanzen und Recht, Moskau, Alexander Busgalin: „Man will uns einreden, die Marktwirtschaft sei die beste Daseinsform für eine effektive Gesellschaft, aber gerade in der Krise zeigt sich offen der Widerspruch zwischen den Interessen der Bevölkerung und des Kapitals. Ich werde immer wieder gefragt, wann der Präsident versteht, dass die Regierung nicht das tut, was das Land braucht. Ich bin überzeugt, dass er es nicht versteht.“

Der gerade in der Zeit der Sanktionen für Russland wichtigen Frage der seit diesem Jahr bestehenden Euroasiatischen Wirtschaftsunion (EEU) wandte sich der Wirtschaftsberater von Präsident Putin, Sergej Glasjew, zu. Sicher sei dies ein Projekt mit einer großen Perspektive, gab er sich zuversichtlich, gleichzeitig warnte er vor übertriebenen Hoffnungen auf die kurzfristige Schafdfung eines Gegengewichts zur EUZ oder den Vereinigten Staaten. Aus seiner Sicht gebe es noch viele Kräfte, die an solch einem Vorhaben nicht interessiert seien. Insofern seien auch Bestrebungen zur Schaffung einer einheitlichen Währung mit Vorsicht zu genießen. Welche Risiken dies berge, zeige nicht zuletzt der heftige Rubel-Einbruch am Ende des vergangenen Jahres.

Thesen zum Aufbau von „Neu-Russsland“ trug der Chef der gesellschaftlichen Organisation „Volkslandwehr Donbass“, Pjotr Gubarjow, vor. Der ukrainische Nationalismus, Unitarismus und Oligarchismus seien die Ursachen für den Drang der Bevölkerung der Ostukraine nach Selbststständigkeit. Die neuen gesellschaftlichen Strukturen im Donbass sehen die Schaffung einer Volksmacht, die Ablehnung von Oligarchie und die aktive Einbeziehung der Bevölkerung in die Gestaltung der Gesellschaft vor.

Ein spezielles Seminar war den Erfahrungen deutscher Unternehmen bei der Tätigkeit in Russland gewidmet. Dort sprachen unter anderem der Leiter der russischen Niederlassung von DB Schenker, Uwe Leuschner, der Generaldirektor der Bosch-Niederlassungen in Russland, der GUS und Georgien, Gerhard Pfeifer, der Rechtsanwalt der Kanzlei Beiten Burkhard Moskau, Falk Tischendorf, und der Gründer des Unternehmens Bautex in Russland, Achim Lutter, über Erfolge und Probleme ihrer Arbeit in Russland. Über diese Veranstaltung wird Russland.RU gesondert berichten.

Zum Abschluss der Konferenz stellte Ruslan Grinberg fest, dass das Moskauer Wirtschaftsforum zu einer ernst zu nehmenden Einrichtung geworden ist, deren Ergebnisse auch die Führung des landes zur Kenntnis nehmen müsse. „Die gegenwärtige Situation in Russland beunruhigt jeden klar denkenden Menschen und unsere hier geäßerten Meinungen und Vorschläge sind deshalb nicht nur eine Rebellion der Intellektuellen, sondern auch ein Angebot an die Spitzen unseres Staates, unsere Kompetenz in die zu treffenden grundlegenden entscheidungen einzubeziehen“, sagte er abschließend.

Hartmut Hübner aktuell vom Wirtschaftsforum für russland.RU

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