Mit Russland auf Augenhöhe im Dialog bleibenSchwesig, Manuela Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern

Mit Russland auf Augenhöhe im Dialog bleiben

Interview mit der Ministerpräsidentin des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig

Frau Ministerpräsidentin, Sie sind seit wenigen Monaten Vorsitzende der deutsch-russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates. Es gibt zurzeit sicher attraktivere Posten…

Das mag so scheinen. Aber ich habe die Aufgabe gern übernommen, und zwar aus mehreren Gründen.

Zum einen und vor allem meine ich, dass Deutschland und Russland in dieser sehr schwierigen Phase der Beziehungen im Gespräch bleiben sollten, denn es ist immer nützlicher, miteinander als übereinander zu reden. Nach mehreren Jahren der Sprachlosigkeit zwischen den Freundschaftsgruppen im Bundesrat und im Föderationsrat des russischen Parlamentes sind wir im Juli in Schwerin zusammengekommen. Das Interesse an dieser Begegnung war auf beiden Seiten sehr groß und wir haben vereinbart, uns wieder regelmäßig zu treffen und konkrete Projekte zu besprechen. So soll der Jugendaustausch neu belebt werden, auch eine Reise für Nachwuchspolitiker von Kommunen, Ländern und Bund nach Russland ist geplant.

Zum zweiten bin ich Ministerpräsidentin eines Bundeslandes, das traditionell enge Beziehungen nach Russland hat. Die Russische Föderation ist mit rund zehn Prozent und einer Milliarde Euro Handelsvolumen der drittgrößte Wirtschaftspartner Mecklenburg-Vorpommerns. Im Seeverkehr entfallen ebenfalls rund zehn Prozent des Güterumschlags auf Russland. Das trotz aller Schwierigkeiten große Interesse aneinander zeigte sich auch kürzlich beim 3. „Russlandtag“ in Rostock, an dem über 850 Vertreter aus Wirtschaft und Politik aus beiden Ländern teilgenommen haben.

Und schließlich bin ich in Seelow, im heutigen Land Brandenburg, aufgewachsen, wo die letzte große Schlacht des 2. Weltkrieges vor Berlin stattgefunden hat, bei der über 100 000 Menschen umgekommen sind. Schon als Kinder haben wir den Soldatenfriedhof besucht und von den Schrecken des Krieges erfahren. Seitdem sehe ich es als das Wichtigste an, für immer den Frieden zu bewahren.

Heißt das, Sie sind bereit, um des lieben Friedens willen, über das hinwegzusehen, was Russland heute in den Augen Vieler zu einem undemokratischen und aggressiven Staat macht?

Überhaupt nicht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen bei der Umsetzung der Menschenrechte und bei der Ukraine-Problematik. Aber das darf uns nicht hindern, im Dialog zu bleiben, und zwar auf Augenhöhe. Russland ist Teil des europäischen Kontinents, unser Nachbar und Partner. Es ist wie in jeder guten Partnerschaft – wenn man das in den Vordergrund stellt, was verbindet, kann man auch einfacher über das reden, was trennt. Das offene Gespräch ist die Grundlage, um Vertrauen zu einender aufzubauen. Ohne Vertrauen wird es nicht gelingen, die Konflikte zu lösen.

 Auf Beschluss Ihrer Regierung wurde Michail Gorbatschow mit der Verdienstmedaille des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet. Welche Verdienste sind das?

Die Medaille wird für „Besondere Verdienste um das Land Mecklenburg-Vorpommern im vereinten Europa und der Welt“ verliehen und es ist unbestritten, dass Michail Gorbatschow einen entscheidenden Beitrag zum Zustandekommen der deutschen Einheit geleistet hat. Ich weiß, dass es gerade in Russland auch andere Meinungen dazu gibt, aber für mich, wie für viele andere ehemalige DDR-Bürger, war er damals ein großer Hoffnungsträger. Wir alle waren von ihm begeistert, als er 1991 mit seiner Frau Mecklenburg-Vorpommern besuchte. Noch heute werde ich bei vielen Gelegenheiten von Bürgern darauf angesprochen, verbunden mit dem Wunsch, dass ich mich für die Verbesserung der Beziehungen zu Russland einsetze.

Sie haben die engen wirtschaftlichen Beziehungen von Mecklenburg-Vorpommern zu Russland hervorgehoben. Wie haben sich in diesem Zusammenhang die Sanktionen und Gegensanktionen ausgewirkt?

Die Sanktionen haben vor allem unsere landwirtschaftlichen Betriebe sehr getroffen. Aber ich erlebe, dass sich viele Unternehmen bemühen, die Kontakte nicht abreißen zu lassen, auch in der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Sanktionen. Ich setze mich dafür ein, dass es gelingt, die Sanktionen Schritt für Schritt wieder abzubauen, natürlich im Einklang mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Denn die Sanktionen sind schließlich kein Selbstzweck, sondern an Fortschritte im Friedensprozess in der Ost-Ukraine geknüpft, wozu alle Beteiligten ihren Beitrag leisten müssen.

Unabhängig von allen Beschränkungen gibt es aber auch gemeinsame Wirtschaftsprojekte, gerade mit unserer russischen Partnerregion, dem Leningrader Gebiet, etwa in den Bereichen Luftfahrt, Digitalisierung und Windenergie.

Nicht zu unterschätzen ist für unser Bundesland in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht der Bau der Erdgasleitung Nord Stream 2 durch die Ostsee, die bei uns an Land kommt. Angesichts ihrer Bedeutung für die stabile Energieversorgung in Deutschland und Europa bin ich davon überzeugt, dass die Trasse planmäßig fertiggestellt wird.

Ich will aber auch deutlich machen, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern unsere Beziehungen nach Russland, vor allem mit unserer Partnerregion, immer mehr erweitern, in der Wissenschaft ebenso, wie in der Kultur, im kommunalen Bereich. Hervorheben möchte ich die Städtepartnerschaften von Sassnitz mit Kingissepp im Leningrader Gebiet und seit kurzem von Greifswald mit Wyborg an der russisch finnischen Grenze.

Sie sind in der DDR zur Schule gegangen, das heißt, Sie hatten auch Russischunterricht. Hilft Ihnen das in Ihrer neuen Funktion?

Es stimmt, ich habe einige Jahre lang Russisch gelernt, aber mit den Jahren ist es doch etwas eingestaubt. In meiner neuen Aufgabe nutze ich jede Gelegenheit, meine Kenntnisse wieder aufzupolieren. Ich bin übrigens auch dafür, dass in den Schulen verstärkt Russischunterricht angeboten wird.

(Das Gespräch führte Hartmut Hübner/russland.NEWS)

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