Lawrow: US-Politik lässt die Welt fiebernLawrow 190926 bild © mid.ru

Lawrow: US-Politik lässt die Welt fiebern

[Hartmut Hübner] Zwei Tage, nachdem sein oberster Dienstherr die Nation und die Welt über die Lage im Land informiert hatte, gab der russische Außenminister Sergej Lawrow vor der internationalen Presse einen Überblick, mit welchen Themen sich sein Amt im vergangenen Jahr beschäftigt hat.

Gleich zu Beginn stellte er fest, dass die Welt – ähnlich wie im „Blauen Planet“ der Gruppe Karat – „mit sich selbst im Fieber“ tanzt. Als entscheidenden destabilisierende Faktor machte er die aggressive Linie einer Reihe westlicher Länder, vor allem die Versuche „unserer amerikanischen Kollegen“ aus, die internationale Rechtssicherheits-Architektur zu zerstören und das Völkerrecht durch eine „Weltordnung nach eigenen Regeln“ zu ersetzen. Belege dafür seien der Ausstieg aus dem Vertrag über den Verzicht auf landgestützte Raketen mittlerer und geringer Reichweite (INF) durch Washington, die in Aussicht gestellte Nichtverlängerung des Vertrages über die Reduzierung strategischer Waffen (START-3), die künstliche Eskalation der Spannungen im Persischen Golf oder die verstärkte militärische Aktivität der NATO in der Nähe der russischen Grenzen.

Das Vertrauensdefizit in Weltpolitik und Wirtschaft werde durch den weit verbreiteten Einsatz von Methoden des unlauteren Wettbewerbs wie einseitige Sanktionen, Protektionismus und Handelskriege noch verstärkt. Jüngstes Beispiel seien die amerikanischen Sanktionen gegen das Nord Stream-2-Projekt.

Dem stellte Lawrow das Grundprinzip der russischen Diplomatie entgegen, die einen unabhängigen und mehrseitig ausgerichteten Kurs verfolge und alle Anstrengungen unternehme, um die internationalen Spannungen zu verringern. „Wir versuchen, die globale und regionale Sicherheit in allen Dimensionen zu gewährleisten“, bekräftigte er.

Zu den Prioritäten zählt er dabei die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, darunter in Syrien, die Förderung des politischen Prozesses in diesem Land und die Lösung dringender humanitärer Probleme des syrischen Volkes. Als Erfolg nannte er in diesem Zusammenhang den Beginn der Arbeit des gesamtsyrischen Verfassungsausschusses dank der koordinierten Bemühungen der bürgenden Länder des Astana-Formats. Im Vordergrund stünden nun der Wiederaufbau des Landes und seine Wiedereingliederung in die „arabische Familie“.

Der russische Außenminister bezeichnete es als Russlands traditionelle Priorität, die Zusammenarbeit mit Partnern im eurasischen Raum zu verstärken, über die Mitwirkung in internationalen Organisationen, wie der vor allem im Rahmen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS), der GUS und der Euroasiatischen Wirtschaftsunion (EAEU) ebenso wie durch Freihandelsabkommen, etwa mit Vietnam, Singapur und Serbien. Im vergangenen Jahr seien Abkommen über die handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EAEU und China und ein Interimsabkommen mit dem Iran, in Kraft getreten. Aktive Verhandlungen mit Israel und Ägypten werden fortgesetzt. Es wurde beschlossen, Verhandlungen mit Indien aufzunehmen. Ziel sei es, eine „Große Eurasische Partnerschaft“ zu schaffen, die allen Ländern Eurasiens offenstehe.

Beim gespannten Verhältnis zur Ukraine begnügte sich der Chefdiplomat mit der Hoffnung, dass die nach dem Poroschenko-Regime sichtbaren Zeichen, wonach Kiew endlich bereit sei, den „Komplex der Minsker Maßnahmen“ umzusetzen, auch ihre praktische Fortsetzung finden. Das erste Spitzentreffen der „Normandie-Vier“ – Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine – habe dazu wesentlich beigetragen.

Höhepunkte der Arbeit seiner Behörde in diesem Jahr seien der 75. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg und im Großen Vaterländischen Krieg sowie der 75. Jahrestag der Gründung der UNO.

Fortschritte in Syrien – trotz der Blockade des Westens

Von einem chinesischen Journalisten auf die gemeinsamen Bemühungen der beiden Länder um eine Stabilisierung des Friedens angesprochen, nannte Lawrow u.a. die gemeinsame Haltung bei der jüngsten Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die humanitäre Hilfe für Syrien. „So bestanden unsere westlichen Partner darauf, dass der Kontrollpunkt Yaarubiyya für die Lieferung von humanitärer Hilfe über die irakische Grenze nach Syrien erhalten bleibt. Sie behaupteten, dass ohne diesen Kontrollpunkt die Syrer, die im Nordosten leben, in Not gerieten, es würde eine humanitäre Katastrophe geben. Wir wussten, dass das nicht so war. Unsere westlichen Kollegen wollten diesen Yaarubiyya-Übergang nur erhalten, um die illegale Präsenz der US-Streitkräfte und ihrer Koalition am Ostufer des Euphrat zu legitimieren. Was die humanitäre Hilfe für das östliche Euphratufer betrifft, so wurden in nur zwei Monaten – Oktober und November letzten Jahres – durch die UN-Mission mit Unterstützung der syrischen Regierung mehr als 420 Lastwagen, darunter 162 Tonnen medizinischer Güter, Ausrüstung und Medikamente, in den Nordosten geschickt. Aber nur etwas mehr als einhundert Lkw passierten in einem Zeitraum von 20 Monaten den Übergang Yaarubiyya. Das war um Größenordnungen weniger als das, was durch die syrische Regierung und den syrischen arabischen Roten Halbmond getan wird.“

Nach einer Bewertung der allgemeinen Situation in Syrien gefragt, antwortete Lawrow, dass sich die Syrienkrise in einem fortgeschrittenen Stadium der Beilegung befindet. In fast allen Bereichen – militärpolitisch, diplomatisch und humanitär – seien Fortschritte zu verzeichnen. Die wirtschaftliche Erholung sei allerdings leicht rückläufig, da die westlichen Partner und einige Länder der Region realitätsfremde Vorbedingungen stellten. Zunächst hätten sie zugesagt, sobald der politische Prozess beginnt, würden sie die Beschränkungen für die Bereitstellung von Hilfe in Syrien für die Rückkehr der Flüchtlinge und den wirtschaftlichen Aufschwung aufheben. Nachdem der politische Prozess begonnen hatte, teilten sie mit, warten zu wollen, bis er Ergebnisse bringt. So werde die Hürde immer weiter erhöht.

Zur Lage in Idlib und an der syrischen Ostküste sagte Lawrow, dass dort rund 20.000 Islamisten der dem IS angeschlossenen und von der UNO geächteten Terrororganisation Dschabhat Fath asch-Scham, der früheren Al-Nusra-Front die Situation destabilisieren und vereinbarte Feuerpausen immer wieder brächen. Zudem seien etwa 10.000 dieser Terroristen in Lagern interniert, die von der Syrischen Demokratischen Armee (SDS) kontrolliert werden. Jetzt gebe es beunruhigende Informationen, denen zufolge die SDS gegen Zahlung eines „Lösegeldes“ die Terroristen freilässt, die sich dann in anderen Teilen des syrischen Territoriums niederließen.

USA kümmern sich nicht um die Interessen der internationalen Gemeinschaft

Auf die Bitte, näher zu erläutern inwiefern die USA schuld sind am „Fieber der Welt“, verwies der Außenminister u.a. darauf, dass die Vereinigten Staaten seit über einem Jahr mit ihrem Veto die Arbeit der Welthandelsorganisation (WTO) blockieren, weil sie Handelsprobleme nicht innerhalb einer Gemeinschaft, sondern lieber „Mann gegen Mann“ mit ihren Konkurrenten klären wollen.

Im Bereich bakteriologischer und toxischer Massenvernichtungsmittel blockieren die USA die Annahme einer Konvention über deren Entwicklung, Produktion, Bevorratung und Vernichtung, weil darin ein transparenter Kontrollmechanismus vorgesehen ist. Die Amerikaner aber wollten die Einrichtung und den Betrieb geheimer Labors, auch im postsowjetischen Raum, weiter vorantreiben, so Lawrow.

Mit ihrem Ausstieg aus dem von der UNO gebilligten Iran-Vertrag haben die USA die Situation in der Region weiter verschärft und bedrohten diejenigen westlichen Länder mit Sanktionen, die sich an das Abkommen, vor allem hinsichtlich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, halten wollten. Im Ergebnis rücke auch Teheran immer mehr von der Vereinbarung ab. Russland bemühe sich auch hier, Iran im Vertrag und beim Verzicht auf den Bau von Kernwaffen zu halten.

Auch die Bestrafung von Unternehmen, die sich am Bau der Erdgasleitung Nord Stream -2 beteiligen, durch die USA bezeichnete der russische Außenminister als Verletzung internationalen Rechts. Kanzlerin Angela Merkel habe bei ihrem jüngsten Moskau-Besuch allerdings bestätigt, dass die Bundesregierung an dem Projekt festhält.

Auf eine Nachfrage zu den Chancen für eine Verlängerung des START 3-Vertrages, der im Februar 2021 ausläuft, bedauerte Lawrow, dass die US-Führung sich nach wie vor nicht eindeutig äußert. Trump und Außenminister Pompeo hätten erklärt, dass der Vertrag ohne die Einbeziehung Chinas für sie sinnlos sei. „Und aus irgendeinem Grund wollen sie, dass wir die Chinesen überzeugen einzuwilligen. Dabei haben sie selbst beste Kontakte nach Peking.“ Zudem hätten führende Vertreter der Volksrepublik China immer wieder deutlich gemacht, dass sie sich an solch einem Vertrag nicht beteiligen werden, da ihre Atom-Streitkräfte eine andere Struktur als die der USA und Russlands hätten. „Wir akzeptieren diese Position und haben der amerikanischen Führung vorgeschlagen, den laufenden Vertrag ohne Vorbedingungen zu verlängern um zumindest ein „Sicherheitsnetz“ zu spannen“, erläuterte Lawrow die russische Position.

Weitere Fragen, die auf der Pressekonferenz gestellt wurden, betrafen die Entwicklung der Beziehungen zu Indien und zu Japan die Behinderung der Arbeit russischer Journalisten in Estland, die Tätigkeit Russlands im Arktischen Rat oder auch  zum Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine durch den Iran.

[hh/russland.NEWS]

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