„Keine abrupten Bewegungen“. Der russische Arbeitsmarkt reagiert auf die Krise

Der negative Höhepunkt sei vorbei, die russische Wirtshaft habe sich den neuen wirtschaftlichen Bedingungen angepasst. Der Rubel sei stabil. Das sagte der Finanzminister Anton Siluanow in seiner Rede vor dem Russischen Verband der Industriellen und Unternehmer.

Auch die aktuellen Arbeitslosenzahlen wirken nicht allarmierend. Die Arbeitslosenquote betrug im März 5,5% . Nur 0,9 Millionen Menschen haben sich als arbeitslos registriert.

„Wir spüren keine dicke Krise. Im Moment gibt es keine radikalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt“, meint auch Rustam Barnochodschajew, Key Account Manager der russischen Personalagentur Unity. Haben also russische Arbeitnehmer nichts zu befürchten? „ Was wir feststellen ist, dass die Menschen viel vorsichtiger geworden sind und sich mehr mit ihren Arbeitgebern verbunden fühlen“. Obwohl die Gehälter dieses Jahr der Inflation gar nicht angepasst wurden (woran man sich in Russland in den letzten Jahren schon gewöhnt hat) und viele Führungskräfte auch keine Boni erhielten, bleiben die meisten Menschen in ihrem Job. „Das läuft nach dem Motto, man wurde nicht entlassen und das ist auch gut so“.

In der Krisensituation ist es aber nicht peinlich, seinen Job zu verlieren. „Man sollte sich nicht schämen und alle Kontakte und Beziehungen ankurbeln“, weiß Inhaberin der Personalagentur „PRUFFI“ Aljona Wladimirskaja. Denn in der Krise gibt es viele freie Stellen. Allerdings werden nicht alle von den Personalagenturen veröffentlicht, denn die Mitarbeiter sind mit der Anzahl der Bewerbungen überfordert. Wenn bei „PRUFFI“, die auf IT und Media spezialisiert ist, früher etwa 300 Anschreiben pro eine Stelle eingingen, sind das heute bis zu 7000.

Laut einer aktuellen Statistik, sind mehr als 60% der Arbeitnehmer allerdings gar nicht bereit, konkrete Schritte zu unternehmen, um die Kürzungen zu vermeiden. Dafür ist aber jeder Dritte bereit, länger zu arbeiten. 10% würden sogar die Gehaltskürzungen akzeptieren. Dabei erlaubt das russische Recht gar nicht, geltenden Arbeitsverträge zu ändern und die darin fixierten Summen nach unten zu korrigieren. Nur die Boni können gekürzt werden.

„Die Arbeitssuche ist eine Arbeit, genau so muss man sie auch angehen. Für diejenigen, die ihre erste Arbeitsstelle suchen, wird es in der Krise besonders schwierig sein. Denn man kann nicht auf eine Berufserfahrung zurückblicken“, betont Aljona Wladimirskaja . Man muss auch bereit sein, eine interessante Stelle mit niedrigem Gehalt anzunehmen. Junge Leute ohne Berufserfahrung müssen bereit sein, ein kostenloses Praktikum zu machen. Auch die Bereitschaft zum Downshifting muss vorhanden sein.

Wenn die Arbeitssuchenden sich einiges einfallen lassen müssen, um einen Job zu finden, z.B. die Branche zu wechseln, sind die Menschen mit Arbeit viel weniger sprunghaft geworden. „Wir als Recruiter haben also Schwierigkeiten die Leute abzuwerben. 15 Tausend Rubel ist kein Grund mehr zu wechseln. Vor zwei Jahren war das Geld die starke Motivation, heute ist das die Stabilität“, erklärt Rustam Barnochodschajew. Und Stabilität versprechen z.B. Firmen, die staatliche Aufträge haben oder trotz der Krise wachsen. Die Marktanalyse zeigt, dass sich einige Branchen durchaus sicher fühlen. Das sind vor allem Schwerindustrie, Pharmazie, Discounter und IT. Auch die Unterhaltungsindustrie gehört dazu. In der Krisenzeit möchten die Menschen auch Freude empfinden und gehen öfters ins Kino oder Schlittschuhe laufen.

Im Unterschied zu den vorherigen Krisen war die heutige vorhersehbar. Bei Unity stellt man auch fest, dass viele Arbeitnehmer die Chance nutzten, sich darauf vorzubereiten. „Früher neigte man zu panischen Reaktionen und entließ das Personal, um nach drei – sechs Monaten zu sehen, dass es falsch war und die Leute wieder einzustellen“, sagt Rustam Barnochodschajew. „Jetzt ist man krisenerfahren. Die Unternehmen vermeiden sozusagen abrupte Bewegungen. Denn sie haben eins gelernt: wenn sie jetzt entlassen, dann werden sie nach der Krise keine Ressourcen dafür haben, den Aufschwung mitzumachen“. Denn er ist davon überzeugt, dass der heutige Zustand vorübergehend ist und der Sanktionenkrieg nicht ewig dauern wird. Als Mitglied des Sachverständigenrates im russischen Personalberaterverband weiß Barnochodschajew allerdings auch, dass die Nachfrage nach Recruitng im Vergleich zum Vorjahr etwa um 15% zurückgegangen ist.

Daria Boll-Palievskaya/russland.RU

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