In Russland ist keine Energiewende in Sicht

Moskau (gtai) – Russlands Energieplaner rechnen bis 2019 mit einem jährlichen Anstieg des Stromverbrauchs um 2,2%. Daran werden jedoch Zweifel geäußert. So fiel 2013 der Stromverbrauch um 0,6%, vor allem aufgrund der Stilllegung von Metallurgiewerken. In einem Land mit riesigen Reserven an Kohlenwasserstoffen stößt der Ausbau alternativer Energien auf Widerstand aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien sind nicht einheitlich geregelt.

1 Langfristige Ausbaupläne, Investitionen und Förderprogramme für regenerative Energieträger

Russlands Markt für Technologien zur Elektrizitätserzeugung aus regenerierbaren Quellen ist theoretisch ausbaufähig. Experten gehen davon aus, dass die Kapazitäten zur Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen bis 2020 um 6 GW steigen. Doch unterliegen in vielen Wirtschaftszweigen die Planungen 2014 einer Revision, so auch in der Energiewirtschaft. Die Sanktionsdrohungen der EU und der USA werden in Russland ernst genommen. Deshalb haben Autarkiebestrebungen und die Hinwendung zu asiatischen Partnern ab sofort einen hohen Stellenwert. Es gilt abzuwarten, ob sich auf dem Energiemarkt nicht ein Paradigmenwechsel bei den Bezugsländern für Investitionsgüter einstellt. Versorgungssicherheit hat künftig einen höheren Stellenwert als der Erwerb ressourcensparender Technologie.

Zudem stößt in einem Staat mit riesigen Reserven von Erdöl und Gas der Ausbau der alternativen Energiegewinnung auf ernsthaften Widerstand aus Politik, Wirtschaft und sogar Wissenschaft. Nur in einem Punkt sind sich Fachleute und Politik einig: Alternative Formen der Energieerzeugung machen in den abgelegenen und strukturschwachen Regionen Sibiriens und des Fernen Ostens absolut Sinn. Allerdings vorbehaltlich von Finanzierungsmöglichkeiten und Wirtschaftlichkeit. In weiten Teilen Sibiriens und des Fernen Ostens, insbesondere im Norden, bestehen keine Übertragungsnetze. Die Stromversorgung erfolgt dort autonom. Der Bedarf ist riesig, denn in diesen Gebieten leben und arbeiten 20 Mio. Menschen. Es handelt es sich um zwei Drittel des Territoriums, wohlgemerkt im größten Flächenland der Welt.

Derzeit liegt der Anteil der regenerierbaren Energien an der gesamten Strom- und Wärmeerzeugung in Russland nach Angaben des Energieministeriums bei 0,9%. Laut dem Ministerium für Industrie und Handel entfallen 0,3% an der gesamten Stromproduktion auf Windkraft, Photovoltaik, Biogas und Biomasse. Aus beiden Quoten wurden zusätzlich alle großen Wasserkraftwerke mit einer Leistung von mehr als 25 MW ausgenommen, was eine Besonderheit der russischen Statistik darstellt.

Wird die Wasserkraft vollständig eingerechnet, sieht die grüne Energiebilanz des Riesenreichs plötzlich viel besser aus. Bereits heute generieren ganze Kaskaden von Wasserkraftwerken in Sibirien und im Fernen Osten 17,1% der Elektroenergie. Werden noch alle kleinen Wasserkraftwerke hinzu gerechnet, steigt die Quote sogar auf 21%.

Energiedaten Russische Föderation

graf1

1) Soll-Wert; 2) Zu den erneuerbaren Energiequellen werden in Russland gezählt: Wind, Wasserkraftwerke bis 25 MW, Solar, Bioenergie, Geothermie; 3) gemäß zweier Entwicklungsszenarien Quellen: Ministerium für Energie der Russischen Föderation, Föderaler Statistikdienst Rosstat, SO EES, http://www.cerina.org

Wind

Windkraftanlagen haben wegen fehlender Einspeisevergütung und mangelhafter technischer Möglichkeiten zum Netzanschluss bislang keinen breiten Einzug in Russland gehalten. Aktuell arbeiten zwei Windparks. Dabei handelt es sich um den Park Tjupgildy in Baschkortostan mit 2,2 MW der Betreibergesellschaft OAO Baschkirenergo und um den Park Kulikowski im Kaliningrader Gebiet mit 5,1 MW der OAO Jantarenergo.

Zwar ist das noch Zukunftsmusik, aber Windkraftanlagen gekoppelt mit Dieselgeneratoren machen in den entlegenen Regionen Sibiriens und des Fernen Ostens Sinn, meinen Experten. Mit entsprechenden Planungen hat das Tochterunternehmen der RAO ES Wostoka, OAO Peredwischnaja Energetika, an zehn Standorten in Jakutien und auf der Halbinsel Kamtschatka begonnen.

Auf der Halbinsel Kamtschatka werden Wind-Diesel-Anlagen mit einer Leistung von 14,6 MW errichtet, auf Sachalin von 0,825 MW. Laut Energieministerium sollen bis 2020 im ganzen Land Windparks mit einer Leistung von 1,52 GW entstehen.

Wasser

RusHydro als Betreiberunternehmen für Wasserkraftwerke kündigte Ende August 2013 den Bau von sechs Großanlagen zur Stromerzeugung und zum Aufstauen von Wasser im fernöstlichen Amur-Becken an. Als Standorte wurden das Gebiet Schilinsk mit 730 MW (Fluss Schilka), die Gebiete Selemdschinsk und Rusinowsk mit zusammen 770 MW (Selemdsch als Nebenfluss der Zeja), Nischnemansk mit 600 MW (Fluss Niman), Dalneretschensk mit 400 MW (Fluss Bolschaja Ussurka) und Nischnezejsk mit 400 MW (Fluss Zeja) genannt, vorbehaltlich der Lösung noch bestehender Finanzierungsfragen.

Langfristig sollen rund 60% aller Turbinen und Generatoren in den Wasserkraftwerken von RusHydro erneuert werden. Dafür wird mit einem Aufwand von 361 Mrd. Rubel (etwa 7,5 Mrd. Euro) gerechnet. Im Dezember 2013 schloss RusHydro mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung eigens einen Kreditvertrag über 4,4 Mrd. Rubel ab. Die Laufzeit beträgt 12 Jahre. Der 2010 angestoßene Bau des Wasserkraftwerks in Nischne-Burejsk läuft entsprechend den Planungen. Im April 2014 wurde die erste Staumauer am rechten Ufer des Flusses Burejmit einer Länge von 76 m und einer Höhe von 20 m fertiggestellt.

Als neue Vorhaben sind zudem mehrere kleine Kraftwerke mit jeweils unter 35 MW Leistung im Nordkaukasus geplant. Dafür sollen 12 Mrd. Rubel fließen. Im Gespräch sind Saramag (342 MW), Selentschuk (140 MW), Gozatlin (100 MW), Saragish (28,8 MW) sowie mehrere Kleinkraftwerke in Stawropol und der Republik Karatschaewo-Tscherkessien. Das hydroenergetische Potenzial der nordkaukasischen Flüsse Terek, Kuban, Sulak und Samur wird auf 22,4 TWh geschätzt. Produziert werden derzeit nur 9,66 TWh.

RusHydro unterhält Wasserkraftwerke unterschiedlicher Leistung in 40 von 83 Regionen der Russischen Föderation. Gemäß der installierten Leistung führt die Region Krasnojarsk mit 10.046 MW, gefolgt von der Region Irkutsk mit 9.088 MW und der Region Chakassien mit 6.721 MW. Entsprechend der Anzahl der Wasserkraftwerke, einschließlich der kleinen Einheiten unter 25 MW, wird das Regionalranking von Karelien mit 19 Kraftwerken angeführt. Auf den Plätzen folgen Murmansk mit 17 und Dagestan mit 16 Einheiten. Von den 227,5 GW installierter Gesamtkapazität zur Erzeugung von Elektrizität entfallen auf alle großen und kleinen Wasserkraftwerke 47,8 GW. Das entspricht einem Anteil von 21%.

Solar

Eine wirtschaftliche Nutzung von Solarenergie macht vorerst, genau wie bei Windkraft, nur in den strukturschwachen Gebieten Sibiriens und des Fernen Ostens Sinn. Vorstöße, auch im europäischen Teil Russlands die Erzeugung von Solarstrom zu beginnen, rechneten sich bislang nicht. Zumindest in Jakutien, im hohen Norden, sollen bis 2020 Diesel-Solaranlagen mit einer Leistung von 3,6 MW ans Netz gehen.

Dafür hat RAO ES Wostoka am 27.3.2013 ein Kooperationsabkommen mit der International Finance Corporation (IFC, Weltbank-Gruppe) geschlossen. IFC wird demnach technische Hilfe bei der Projektplanung leisten.

Die Nutzung der Solarthermie findet auf föderaler beziehungsweise regionaler Ebene überhaupt noch keine Beachtung. Punktuell wird sie aber im individuellen Hausbau beziehungsweise beim Bau gewerblicher Einrichtungen auf Wunsch des Investors angewendet.

Biogas/Biomasse

Hohe Anfangsinvestitionen und überdurchschnittliche Stromerzeugungspreise erklären, dass es im größten Flächenland der Welt erst vier Biogasanlagen gibt. Die installierten Kapazitäten erreichen damit nicht einmal 10 MW. Eine fünfte Anlage entsteht gerade in Mordowien. Bauherr ist die Biogasenergostroi, ein Joint Venture der Unternehmen GasEnergoStroi und Biopotok. Die geplante Kapazität wird mit 4,4 MW angegeben.

Im September 2013 wurde eine Biogasanlage mit einer Kapazität von 2,4 MW durch den Betreiber Altenergo in Belgorod in Betrieb genommen. Im Februar 2014 tagte die russische Regierung eigens an diesem Ort, um über das Thema der erneuerbaren Energien zu beraten.

Auf dieser Tagung wurde neben Kompetenzstreitigkeiten bei der Investitionsförderung durch unterschiedliche Ministerien das Dilemma der überdurchschnittlichen Gestehungskosten bei Ökostrom offengelegt. Wie Energieminister Nowak ausführte, fallen bei der Erzeugung von 1 kWh elektrischem Strom aus Biogas in Belgorod Kosten von 9 Rubel (knapp 0,20 Euro) an. Der durchschnittliche Einkaufspreis auf dem Strommarkt liegt aber zwischen 1,7 und 1,9 Rubel je Kilowattstunde (0,037 und 0,041 Euro).

Die Mehrkosten müssten de facto auf den Verbraucher umgelegt werden. Dementsprechend, so Nowak, fällt das Interesse der Netzbetreiber am Entstehen unabhängiger grüner Erzeugerkapazitäten derzeit nur gering aus. Der Ruf nach staatlichen Zuschüssen wird laut.

2 Langfristige Ausbaupläne, Investitionen und Förderprogramme für konventionelle Energieträger

Kohle

Russlands Regierung hat 2012 eine verstärkte Kohleverstromung beschlossen, ohne allerdings nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Im Jahr 2012 ging der Kohleverbrauch im Inland um 7% zurück; 2013 stagnierte der Absatz. Im Jahr 2014 dürfte der Strom- und Kohleverbrauch aufgrund der schwachen Konjunktur auch nicht steigen. Entsprechend mau sehen die Ausbaupläne der Erzeuger aus.

Lediglich im Kaliningrader Gebiet entstehen Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von 800 MW. Damit wird auf veränderte Spielregeln im baltischen Stromverbund mit Litauen reagiert. Im Fernen Osten sind bis 2025 Investitionen von 400 Mrd. Rubel für den Bau von Kohlekraftwerken nebst Netzerweiterung geplant. Werden diese realisiert, entstehen Kapazitäten von 3,6 GW. Dies scheint auch wahrscheinlich, müssen doch dort 3 GW an physisch verschlissenen Erzeugereinheiten vom Netz genommen werden.

Erdöl/-gas

Aus Rationalisierungsgründen investieren Versorgungsunternehmen in Gaskraftwerke und schließen dazu günstige Lieferverträge mit den Gasversorgern ab. So geht zum Beispiel die russische Niederlassung von E.ON vor, die mit dem privaten Gasversorgungsunternehmen Novatek einen kostensparenden Deal unter Dach und Fach brachte.

Auch die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Gas wird betrieben, so im Kraftwerk Wostotschnaja (139,5 MW) im Fernen Osten. Möglich wurde diese Umrüstung durch die verbesserte Erdgasversorgung in der Region im Vorfeld zum APEC-Gipfel 2012. Weitere Kraftwerksprojekte sollen nach Angaben von Energieminister Nowak in der Region folgen.

Atomkraft

Russland hält an der Kernenergie fest und entwickelte sich sogar zu einem Hauptexporteur von Nukleartechnik. Da das zuständige Staatsunternehmen Rosatom in den zurück liegenden Jahrzehnten ohne zeitliche Unterbrechung Kernkraftwerke im In- und Ausland baute, wurde die Nukleartechnik nach eigenen Angaben kontinuierlich verbessert. Aktuell baut Rosatom im eigenen Land neun Blöcke und weitere 19 im Ausland.

3 Langfristige Ausbaupläne fürÜbertragungsnetzeund Energiespeicherung

Verteilnetze

Monopolbetreiber aller Übertragungs- und Verteilernetze ist die Holding OAO Rossiskije Seti (Rosseti). Rosseti hat bis 2018 einen Investitionsbedarf von 1,6 Billionen Rubel zum Netzausbau festgestellt. In diesem Rahmen sollen Transformatorenkapazitäten von 121.000 MVA (Mega-Volt Ampere) hinzukommen und 100.600 km Übertragungsleitungen mit unterschiedlicher Spannung gebaut werden. Mit der Fusion der Holding MRSK (überregionaler Stromverteilungsnetze) und FSK EES (Stromfernübertragung) unter dem Dach von Rosseti wurde die Branche 2013 konsolidiert.

Da die russische Regierung keine Erhöhung der Stromtarife bis 2030 wünscht, um Unternehmen und Bürger nicht stärker zu belasten, kann Rosseti die Übertragungsgebühren nicht erhöhen. Deren Anteil an den Abgabepreisen für Strom beträgt im Durchschnitt 40%. Ohne Einnahmesteigerungen drohen aber die hoch gesteckten Investitionspläne zu platzen.

Ein Ausweg wird in einer Teilprivatisierung gesehen, etwa durch den Verkauf von Aktiva. Damit würde zusätzliches Geld in die Kassen gespült. Außerdem soll die Anzahl der Kunden erhöht werden. Zu diesem Zweck sollen gewerbliche Abnehmer schneller und unbürokratischer einen Netzanschluss erhalten, so die Idee.

Intelligente Stromnetze (Smart Grids / Smart Metering)

Nach Angaben des Energieministeriums sollen bis 2020 alle Betreiberfirmen für Regionalnetze (MKRS), die Rosseti unterstehen, über „smart grids“ verfügen. Der Staat will dafür Pilotprojekte finanzieren. Die beste Lösung soll anschließend mit Hilfe privater Beteiligungen auf alle Betreiberfirmen ausgeweitet werden, so der planerische Ansatz. Für die technische Ausarbeitung von Lösungen haben 140 Firmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten ihr Interesse angemeldet.

An konkreten Lösungen arbeitet unter anderem der Regionalverteiler MRSK Ural. Implementierbare Ergebnisse liegen aber nicht vor 2016 vor. Das Netzunternehmen für die Stadt Ufa, Baschkirskaja Elektrosetewaja Kompanija, hat mit Siemens einen Vertrag unterzeichnet.

Demnach will der deutsche Elektrotechnikkonzern eine Bestandsaufnahme durchführen und einen angepassten Lösungsvorschlag für ein intelligentes Stromnetz unterbreiten.

Energiespeicher-Infrastruktur

Energie wird unter anderem in Pumpspeicherwerken akkumuliert, von denen zwei existieren: im Kuban und in Sagorsk. In Sagorsk entsteht derzeit eine ältere Anlage. Sieben zusätzlichePumpspeicherwerke befinden sich in der Planung: in Zelentschuk, im Leningrader Gebiet, in Wladimir, Kursk, Wolokolamsk und in Labinsk. Ohne Ortsangabe bleibt die Planung eines zentralen Pumpspeicherwerks.

Des Weiteren sind in Sotschi Lithium-Ionen-Großakkumulatoren mit 220 kW installiert worden. Diese sind in Betrieb, dienen aber auch zu Forschungszwecken. Ein ähnliches Projekt ist in Sankt Petersburg vorgesehen. In einem Neubaugebiet in Jekaterinburg wurde ein Großakku mit 150 kW durch das Unternehmen Renova installiert.

 

COMMENTS