Ich glaubte, ich wär‘ im falschen Film

[Kommentar von Hanns-Martin Wietek] Verwundert rieb ich mir die Augen und traute meinen Ohren nicht. Noch fehlte Jubel und Hörnerklang – aber von der Bühne schallten tatsächlich bewegte Worte über die historisch gewachsene Freundschaft der Russen und Deutschen. Eine gemeinsame Zukunft wird beschworen, ohne sie könnten beide Völker nicht leben. Merkel und Putin seien die Garanten  dieser Freundschaft, denn sie spricht gut Russisch und er spricht gut Deutsch.

Bewegt, fast mit Tränen in den Augen und vor Rührung gebrochener Stimme wird verkündet, die Tochter habe jetzt Russisch gelernt. Ein anderer ist glücklich, nach mehreren Jahren im Ausland, wieder in Moskau sein zu können – wohlgemerkt: es sind alles deutsche Worte.
Auch begeisterte russische Worte beschwören die gemeinsame Vergangenheit und erinnern an die großen deutschen Dichter, die gemeinsames Gut seien.

Putin sendet Grüße. Der Conferencier – nein das heißt heute … irgend etwas amerikanisches, ich hab’s vergessen – überschlägt sich.
Die Zuschauer sitzen im Gras und klatschen begeistert Beifall. Ich warte auf die Fanfaren – gleich werden sich alle in den Amen liegen.
Aber da stimmt doch irgendwas nicht. Träum‘ ich oder wach‘ ich? Bin ich in die goldenen russisch-deutschen 90er verrutscht? War’s das jetzt mit meinen kleinen grauen Zellen?

Las ich nicht soeben noch: Merkel setzt sich gegen andere europäische Länder und die EU-Spitze in Brüssel durch und verhängt gegen Russland verschärfte Sanktionen sofort? Hat nicht ein jugendlicher „Experte“ verlangt, „die Russen“ müssten endlich in der Realität ankommen (gemeint war natürlich das, was der Westen für Realität hält)?

Klingen mir nicht die widerwärtig geifernden Worte in den Medien über Putin im Ohr? Gibt es da nicht einen ehemaligen Pfarrer, der verlangt die Deutschen sollten die in Pflugschare umgeschmiedeten Schwerter wieder zu Schwertern machen (oh wäre er doch nur irgendein Pfarrer geblieben!)? Wird da nicht offen von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland gesprochen und begreift inzwischen nicht der Dümmste, dass die Vorwürfe Lügen sind und zu nichts dienen, als diesen Krieg zu nähren?

Nein, meine kleinen grauen Zellen sind intakt – die anderer offensichtlich schon lange nicht mehr.

Ort des Geschehens ist der Eremitage-Garten in Moskau und Anlass ist die Eröffnung des „Jahres der Deutschen Sprache und Literatur 2014/15“. Das Goethe-Institut Moskau hat in diesem, einem der ältesten Gärten Moskaus eine zweitägige Feier zum Beginn des Jahres ausgerichtet. Klug ausgedacht und bestens ausgeführt sind die einzelnen Lehrstationen – es macht Freude.

Auf meine Frage, ob es da nicht eine Diskrepanz gäbe, ob da nicht zwei parallele Züge führen, die nichts voneinander wüssten, wird mir bedeutet, dass man sehr wohl voneinander wisse – beide Züge führen nämlich um die Wette: Wenn es nach den transatlantischen Falken oder auch Amerikanophilen (zu denen fast die gesamten Medien und ein Großteil der Politiker gehören) gegangen wäre, hätte die Veranstaltung nicht stattgefunden. Die der Kultur Verschriebenen haben sich durchgesetzt, indem sie einen kleinen Programmpunkt verschoben haben.

Ein kleiner Lichtblick in dieser verrückten Welt.

Teilnehmer an dieser bewegten Eröffnungsfeier waren MdB Peter Gauweiler, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Rüdiger Freiherr von Fritsch, der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für kulturelle Zusammenarbeit Michail Schwydkoi, der Leiter des Goethe-Instituts Moskau Dr. Rüdiger Bolz, Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, Andreas Görgen, Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, sowie prominente Gäste aus Deutschland und Russland

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