Video: Herr Fischer hält eine Vorlesung

[ Kommentar von Gunnar Jütte ] Schon die Einladung des Deutschen Historischen Institutes Moskau löste die erste Verwunderung aus. Nachdem der langjährige Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT Dr. Theo Sommer, Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder auf der Bucerius Lecture in Moskau gesprochen hatten, sollte bei der 5. und letzten ‚Bucerius Lecture‘ ausgerechnet der ehemalige Außenminister Joschka Fischer über die „Die Zukunft der europäisch-russischen Beziehungen“ referieren.

Denn schon während seiner Amtszeit fremdelte Herr Fischer mit dem Riesenland Russland. Blick und Drang waren eher über den Atlantik in die USA gerichtet, wo ihn eine persönliche Freundschaft mit der US-Außenministerin unter Präsident Bill Clinton, Madeleine Korbel Albright, verband. Um Russland kümmerte sich damals eher der Bundeskanzler Gerhard Schröder, der persönliche Beziehungen mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegte. Warum ausgerechnet Joschka Fischer über „Die Zukunft der europäisch-russischen Beziehungen“ referieren sollte, wird wohl ein Rätsel bleiben.

Als Publikumsmagnet konnte Herr Fischer jedenfalls glänzen, der Saal war mehr als voll und selbst der Vorraum, in dem der Vortrag auf einer Leinwand zu sehen war, war gut gefüllt.

Nichts mehr erinnerte an den Turnschuh-Joschka der 80er Jahre. Hier stand der Herr Fischer als ‚Elder Statesman‘ am Podest – im Saal wurde es schnell still.

Leider bestand sein Auftritt hauptsächlich aus Habitus und Rhetorik. Fischers Vortrag hatte etwas von einem Gastvortrag über Deutschland und Europa in der Princeton University, wo ihm manch ein Student gegenübersitzt, dem man die exakte Ausdehnung Europas noch auf der Weltkarte zeigen muss.

Fischer begann seinen Vortrag alias, wie er selber treffend sagte, seine Vorlesung mit einem Schwenk auf die neue multipolare Weltordnung, dem Aufkommen von China, Indien und Brasilien als Global Players – nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch. Eindringlich forderte er das Publikum auf, diese Aussage im Gedächtnis zu behalten, denn sonst könne man seine Analyse nicht verstehen.

Leider folgte dann keine komplexe Analyse, auf die man mental eingestellt war. Hier wäre eine Analyse, denn es ging ja um das Thema „Die Zukunft der europäisch-russischen Beziehungen“, wichtig gewesen, wie denn der Platz Russlands, als Bindeglied, als Vermittler, als Land zwischen den neuen Großmächten und dem „Alten Europa“ seinen Platz finden kann, wie Russland moderieren kann, als Land, welches mit einem Fuß im „Alten Europa“ steht und mit dem anderen Fuß im Schmelztiegel der neuen Mächte.

Fischer gab sicher eher Plattitüden hin, die allgemein bekannt sind und in jedem gut sortierten Zeitungsstapel zu finden sind. Aber von einer Analyse oder Vision waren seine mit wichtiger Miene vorgetragenen Gedanken weit entfernt.

Auch seine Ausführungen zur Nabucco-Pipeline, für die er als Lobbyist Werbung betreibt, waren äußerst unqualifiziert. Man sollte meinen, wenn er sich schon so exponiert für die Pipeline einsetzt, dass er präzise benennen kann, was später hinten rein soll. Auf eine entsprechende Frage in der anschließenden Diskussion antwortete er nur, dass sei kein Problem – das werde schon reichen.

Andere schätzen das anders ein. Nachdem Aserbaidschan im Juni 2009 einen Teil seiner Gasreserven an Russland verkauft hat, sind die Chancen, die Nabucco-Pipeline füllen zu können, weiter gesunken. Nach Meinung von Experten kann Aserbaidschan nur noch vier Milliarden der zirka 30 Milliarden Kubikmeter Gas beisteuern, die benötigt werden.

Auch die Aussage, dass Europa immer noch von dem Stopp der Gaslieferungen im Januar 2009 geschockt ist und deswegen eine Diversifizierung anstrebt, kann man so nicht stehen lassen. Mitten im kalten Winter 2009 hatte die Ukraine die Transitleitungen blockiert, um damit Russland bei Preisverhandlungen die Pistole auf die Brust zu setzen. Da wäre eher eine Argumentation angebracht, die darauf abzielt, dass man die Transitwege durch Fremdländer reduzieren muss – wie mit der Nord-Stream-Pipeline geschehen. Aber eine Pipeline wie Nabucco, bei der nicht nur die Versorgung ungeklärt ist, sondern die auch durch politisch instabile Länder führt, dürfte für das Problem wohl keine Lösung sein.

Einzig positiv zu bewerten war bei seiner „Vorlesung“, dass sich Fischer, obwohl er bei dem Thema ein „gebranntes Kind“ ist, für eine Aufhebung der Visumpflicht aussprach.

Alles in allem enthielt seine knapp einstündige Vorlesung wenig Substanz und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Text nicht eigens für einen Vortrag in Russland geschrieben war, sondern dass es sich eher um den Aufguss einer Princeton-Vorlesung handelte, in den Fischer noch etwas Russland hineingemischt hatte. Symptomatisch für die schludrige Abwicklung des krönenden Abschlusses der Brucerius Lectures sei zu erwähnen, dass Fischer während der nachfolgenden Diskussion bereits nach 30 Minuten deutliche Ermüdungserscheinungen zeigte, Fragen vergaß und nachhaken musste.

Kein Vergleich zu den Vorträgen von Weizsäcker oder dem Altkanzler Helmut Schmidt, der vor vier Jahren, damals immerhin fast 90 Jahre alt, mit einer über zwei Stunden dauernden äußerst faktenreichen Analyse der Weltwirtschaft den Zuhörern auch das letzte an intellektueller Aufmerksamkeit abverlangte.

p.s. In der nachfolgenden Diskussion erklärte Joschka Fischer noch einmal eindeutig, dass er mit Sicherheit den Grünen nicht als Kanzlerkandidat zur Verfügung steht.

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