Hausmüllentsorgung ist in Russland ein Zukunftsmarkt

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Russland wäre ein idealer Markt für deutsche Technik zur Hausmüllverarbeitung. Der Bedarf ist riesig. Nur 10% der Feststoffabfälle werden umweltgerecht entsorgt. Etatdefizite, fehlende Konzepte oder abweichende Prioritäten der Kommunalpolitik führen zu Missständen im Abfallsektor. Beim Import von Umwelttechnik setzt die russische Regierung auf Ursprungsländer, die sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen haben. Deutsche Firmen sind dennoch nicht chancenlos.

Müllberge wachsen

Jährlich fallen in Russland 90 Mrd. Tonnen Industrie- und Haushaltsabfälle an. Sie werden landesweit auf Deponien mit einer Fläche von 4 Mio. Hektar abgelagert. Diese Fläche entspricht in etwa der Größe der Schweiz. Den Behörden sind 1.000 legale Großdeponien und 15.000 genehmigte Müllkippen bekannt. Hinzu kommen geschätzte 17.000 wilde Müllkippen und 13.000 illegale Ablageplätze in freier Natur. Von den Industrieabfällen werden weniger als 40% und vom Haushaltsmüll nur 10% umweltgerecht entsorgt. Es existieren 40 Müllverbrennungsanlagen und 243 Einrichtungen zur Müllverarbeitung. Zur Mülltrennung und -sortierung gibt es 53 Großanlagen. Für den größten Flächenstaat der Welt mit 143 Mio. Einwohnern, in dem das Müllaufkommen perspektivisch um etwa 5 Mrd. Tonnen pro Jahr wächst, kann damit nicht von einem zufriedenstellenden Zustand gesprochen werden.

Intransparenz bei kommunalen Projekten nicht auszuschließen

Träger von Projekten zur Hausmüllentsorgung sind in der Regel die Kommunen. Ein gewisser Grad an Intransparenz ist auf dieser Ebene nicht auszuschließen. Enge Kontakte zu den Entscheidungsträgern und leitenden Kommunalpolitikern sind deshalb wichtig für eine Zuschlagserteilung und für den Projekterfolg. Deutsche Unternehmen sollten auf Fachmessen ausstellen und dort erste Verbindungen knüpfen. Bei der Kontaktaufnahme zu Kommunalverwaltungen können auch die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer und Städtepartnerschaften wertvolle Unterstützung leisten.

Generell lassen sich keine regionalen Schwerpunkte für Vorhaben der kommunalen Abfallverwertung erkennen. Darüber hinaus gehen Kommunen und Gemeinden bei der Müllentsorgung äußerst unterschiedlich vor.

Unterschiedliche Ansätze im Fernen Osten Russlands

Im Fernen Osten Russlands ist in den beiden Großstädten Wladiwostok und Chabarowsk ein voneinander abweichendes Vorgehen zu bemerken. Das einzig Verbindende ist das plakative Bekenntnis beider Stadtverwaltungen, etwas auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft tun zu müssen. In Wladiwostok sind mit kommunaler Unterstützung 263 Sammelpunkte für die Müllabgabe und trennung eingerichtet worden. Selbst gefährliche Abfälle lassen sich hier sortieren und zwischenlagern, so offizielle Angaben. Außerdem laufen Gespräche zwischen der Stadt und der Mitsubishi Heavy Industries Environmental & Chemical Engineering Co. Ltd. zur Planung einer Müllverbrennungsanlage. Das japanische Unternehmen geht dabei gemeinsam mit einem russischen Engineering-Partner, ZAO NPP Maschprom, vor. Ähnliche Projekte soll das Konsortium in Jekaterinburg und Nischni Tagil (Gebiet Swerdlowsk) angestoßen haben. In Chabarowsk ist man längst noch nicht soweit. Hier setzen die Stadtväter vorerst auf die Eigeninitiative der Bevölkerung.

Allerdings engagiert sich das Brauereiunternehmen Baltika beim Aufbau eines Systems zur Flaschenrückführung. Dabei kann die Brauerei auf erste eigene Erfahrungen aus der Stadt Blagoweschensk zurück greifen, wo Flaschen an 30 Stellen gesammelt werden. Wenn die Pilotphase in Blagoweschensk erfolgreich verläuft, soll die Zahl der Sammelstellen vergrößert werden. Dann sei die Stadtverwaltung Blagoweschensk auch gewillt, eine Anlage zur Trennung und umweltgerechten Verarbeitung von Kommunalmüll bauen zu lassen.

Die Stadtverwaltung Chabarowsk begründet ihre bislang passive Haltung mit den ungenügend ausgebauten Kapazitäten zur Müllentsorgung. Erst wenn der Abfall umweltgerecht entsorgt werden kann, mache der Aufbau eines Systems zum Einsammeln und Trennen Sinn, so die Argumentation. Organisationen wie Greenpeace halten dagegen. Sie meinen, dass die Stadtverwaltung sofort anfangen sollte, Müllberge abzubauen. Dazu könnte Müll vorerst in benachbarte Gebiete zur Entsorgung verbracht werden. Der politische Druck auf die Stadtverwaltung, etwas in dieser Hinsicht zu tun, wächst somit. Gesetzesnovelle angenommen, aber nicht in Kraft

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Abfallwirtschaft in Russland müssen noch modernisiert werden. Dazu sind seit 2011 Novellen des Gesetzes „Über den Schutz der Umwelt“ aus dem Jahr 2007 sowie des Gesetzes „Über Produktions- und Haushaltsabfälle“ aus dem Jahr 1998 in Vorbereitung. Vor allem die Finanzierungsmöglichkeiten sollen sich verbessern. Unter Leitung des Ministeriums für Naturressourcen und Umweltschutz wurde eigens eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen.

Ersten Vorschlägen zufolge sollte ein Dosenpfand eingeführt werden. Umweltabgaben kämen auch für Akkumulatoren, Batterien und Leuchtstoffröhren in Betracht. Die Mehrbelastung hätten zwar die russischen Verbraucher zu tragen. Doch würden dem Fiskus zusätzliche Mittel zufließen, die zur Finanzierung von Abfallprojekten zur Verfügung gestellt werden können. Darauf wies der stellvertretende Minister für Naturressourcen und Umweltschutz, Rinat Gizatulin, hin.

Die Annahme der Novelle des Umweltgesetzes aus dem Jahr 2007 ist zwar Ende 2014 dann doch erfolgt. In diesem Zusammenhang sollten Importeure und Hersteller von Konsumartikeln eine Umweltabgabe in Höhe von 1,5 bis 4,5% vom Warenwert entrichten oder alternativ ein eigenes System der Rückführung und Entsorgung implementieren beziehungsweise eine spezialisierte Firma damit beauftragen.

Doch angesichts der schlechten Wirtschaftskonjunktur wurde die Anwendung dieser Regelung vom 1.1.2015 auf den 1.1.2017 verschoben. Aktuell stehen Rezessions- und Inflationsbekämpfung sowie sinkende Realeinkommen der Bevölkerung im Fokus der Regierungspolitik. An Umweltabgaben und eine dadurch provozierte zusätzliche Preiserhöhung ist vor diesem Hintergrund nicht zu denken.

Flächendeckende Müllverarbeitung in weiter Ferne

Vizeminister Gizatulin unterstrich, dass es derzeit weder der öffentlichen Hand noch privaten Investoren möglich oder sinnvoll erscheint, moderne Müllverarbeitungswerke im Projektwert von 240 Mio. bis 300 Mio. Euro in Russland zu bauen. In solchen Anlagen könnte Müll getrennt und wiederverwendbare Rohstoffe könnten granuliert oder zur Weiterarbeitung in andere Formen gebracht werden. Lediglich in Sankt Petersburg (Standort Lewaschowo) werden entsprechende Planungen angestellt, gleichzeitig aber immer wieder zeitlich in die Länge gezogen.

Jeder Investor möchte die Garantie haben, dass seine Anlage nach Inbetriebnahme auch ausgelastet sein wird. Dafür wäre die Einrichtung eines Systems zur Abfallsammlung die Voraussetzung, wofür wiederum die Kommune in Vorleistung gehen müsste. Nach den jüngsten Untersuchungen der Moskauer Hochschule für Ökonomie sind aber 20 Regionen de facto zahlungsunfähig (überschuldet).

Weitere neun Regionen können ohne Transferzahlungen aus dem föderalen Haushalt nicht überleben, in 33 Regionen ist das Budget stark defizitär. Der Teufelskreis aus notwendigem Umweltschutz und Finanzierungsengpass schließt sich damit, ohne durchbrochen zu werden. Lediglich 21 Regionen wären finanziell in der Lage, eigenes Geld für die umweltgerechte Abfallverwertung in die Hand zu nehmen.

Unter den finanzstarken Regionen befindet sich Moskau. Dort hat die deutsche Fisia Babcock Environment GmbH 2010 einen Auftrag zur Errichtung einer Müllverbrennungsanlage mit der Bezeichnung MPZ1 erhalten. Mit einer Kapazität von 0,75 Mio. Tonnen pro Jahr soll es eine der größten Anlagen in Russland werden. Mit der Inbetriebnahme wird für Mitte 2015 gerechnet. Erste Gespräche für weitere Projekte hatte das Unternehmen 2014 in der Republik Tatarstan geführt.

Geschäftschancen für deutsche Anbieter von Umwelttechnik

Deutsche Anbieter von Technologie zur umweltgerechten Hausmüllentsorgung müssen in Russland gleich zwei Hürden überspringen, wenn sie zu Geschäftsabschlüssen kommen wollen: erstens die aktuellen Zahlungsschwierigkeiten der öffentlichen Hand, zweitens die Politik der Importsubstitution. Diese geht einher mit einer Umorientierung des Außenhandels auf Hersteller aus Ländern, die sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen haben.

Deutsche Technik ist beim Ausbau der Abfallwirtschaft in Russland dennoch nicht chancenlos. Der gute Ruf Deutschlands auf dem Gebiet der Umwelttechnik und Abfallwirtschaft ist russlandweit ungetrübt. Zudem können deutsche Hersteller auf zahlreiche Alleinstellungsmerkmale ihrer Lösungen hinweisen. Weitere Verkaufsargumente für deutsche Technik sind der After-SalesService, die rasche Verfügbarkeit von Ersatzteilen sowie die Möglichkeit, Bedienungspersonal nach europäischen Standards auszubilden.

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