Gorbatschow greift für New York Times zur Feder und findet kaum Beachtung in Russland

Der letzte sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow wird als einziger Präsident der Sowjetunion in die Geschichte eintreten, der als Kolumnist für mehrere ausländische Zeitungen schreibt.

Vorige Woche ließ das Presseamt der Gorbatschow-Stiftung wissen, dass der 75-jährige Patriarch der Weltpolitik monatlich Beiträge für die „New York Times“ schreiben werde. Dem Pressesprecher Pawel Palaschtschenko zufolge soll der erste Artikel bereits Mitte Januar erscheinen.

Ehemalige Staatschefs steigen selten in den Journalismus ein. Nicht nur weil die meisten von ihnen kein Interesse daran haben (Gorbatschow ist hier eine Ausnahme), sondern auch, weil nicht alle Ex-Spitzenpolitiker beim Publikum Interesse hervorrufen.

Im Fall Gorbatschow und „New York Times“ scheinen die Interessen des ehemaligen Staatschefs und des Medienkonzerns zu passen. In einem seiner jüngsten Artikel schreibt Gorbatschow über die Versuche, Medien zu nutzen, um Russland unter Druck zu setzen. Dass der Artikel gleichzeitig in mehreren angesehenen Zeitungen erschien, lässt darauf schließen, dass Gorbatschow in die Situation eingreifen will. Wahrscheinlich zu diesem Zweck kaufte er im Juni 2006 gemeinsam mit dem Duma-Abgeordneten Alexander Lebedew 49 Prozent der Aktien der Zeitung „Nowaja Gaseta“.

Das Interesse der „New York Times“ an Gorbatschow zeugt davon, dass der sowjetische Ex-Präsident selbst 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ein Politiker von Weltrang ist. Nun wird der letzte sowjetische Führer für „New York Times“ das Zeitgeschehen kommentieren. Das Thema seines ersten Beitrags lautet „die Ergebnisse des Jahres 2006“. Der US-Medienkonzern rechnet damit, dass Gorbatschows Kommentare bei den Lesern in vielen weiteren Staaten Interesse erwecken werden.

Das russische Nachrichtenmagazin Lenta.ru findet es merkwürdig, dass „New York Times“ Gorbatschows Artikel nicht nach Russlands verkaufen will. Zuvor hatten die Amerikaner mehrmals versucht, in den russischen Medienmarkt einzusteigen: Man denke allein an die im Herbst zurückgenommene Beilage von „New York Times“ in der Zeitung Iswestija oder an die russische Ausgabe von International Herald Tribune.

Dennoch lässt sich die Entscheidung von „New York Times“ leicht erklären. Gorbatschow, der bei den Präsidentenwahlen 1996 auf knapp ein Prozent der Stimmen gekommen ist, ist immer noch unpopulär in Russland.

Die Reaktion auf seine bisherigen Artikel, die in Russland erschienen, zeugt davon, dass weder die Volksmassen noch die Eliten Wert auf die Meinung des ehemaligen Generalsekretärs legen.

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