Gesetz: Vorrats-Datenspeicherung ohne Gerichtsbeschluss

Der russische Geheimdienst FSB plant, den gesamten Internet-Verkehr in Russland zu dechiffrieren, berichten russische Medien. Das soll es ermöglichen, alle Informationen bis zum Verhaltensprofil der User zu analysieren.

Der FSB, das Kommunikations-Ministerium und das Ministerium für Industrie und Handel erörtern derzeit technische Lösungen, die es erlauben, die Festlegungen des Anti-Terrorismus-Paketes, das in Russland unter dem Namen seiner Einbringerin als „Jarowaja-Gesetz“ bekannt geworden ist. Wie der „Kommersant“ schreibt, schließen die Pläne die Entschlüsselung sowie den Zugang zum gesamten Internet-Verkehr der Einwohner Russlands ein.

Derzeit verpflichtet das Gesetz die Betreiber von Internetplattformen, wie soziale  Netzwerke, Messenger usw. zur Weitergabe der Chiffrier-Schlüssel an den FSB. Allerdings nutzen viele Seiten  die geschützte https-Verbindung. Ohne Entschlüsselung ist es unmöglich nachzuvollziehen, wohin und wozu der User auf diese Seite gegangen ist, erläutert ein Experte gegenüber der Zeitung.

Dechiffriert werden soll der Internet-Verkehr mit Hilfe einer MITM (Man in the Middle)-Attacke. Der Begriff kennzeichnet eine Angriffsform in Computernetzen. Der Angreifer steht dabei logisch zwischen den beiden Kommunikationspartnern, hat dabei mit seinem System vollständige Kontrolle über den Datenverkehr zwischen zwei oder mehreren Netzwerkteilnehmern und kann die Informationen nach Belieben einsehen und sogar manipulieren. Dabei täuscht er den Kommunikationspartnern vor, das jeweilige Gegenüber zu sein. Der vom Server abgefangene Traffic wird vor der Zustellung an den eigentlichen Empfänger wieder mit einem offiziellen SSL-Zertifikat versehen.

Das Durchsuchen des Internetverkehrs nach „gefährlichen“ Wörtern soll mit Hilfe von DPI-Systemen (Deep Packet Inspection) geschehen. Diese Systeme werden bereits von Anbietern für das Herausfiltern verbotener Seiten genutzt. Dabei schaut DPI nicht nur auf die Überschriften der Datenpakete, sondern auch unmittelbar in ihre Inhalte. Theoretisch erlaubt das sogar, ein komplettes Verhaltensprofil des Users zu erstellen, einschließlich seines psychischen Zustandes, seiner Vorlieben und Neigungen, so der Experte.

Die Ministerien wollten aber, im Gegensatz zum Geheimdienst, nur eine Dechiffrierung des Traffics jener  Abonnenten, die sich im Visier der Sicherheitsbehörden befinden, sagte er der Zeitung.

Wirtschaft fürchtet  Überlastung und Missbrauch

Das „Jarowaja-Gesetz“, das von der Duma bereits vor der Sommerpause in zweiter und dritter Lesung verabschiedet wurde, sieht zudem eine Speicherung aller Daten, Telefongespräche, SMS, Bilder, Videos und Internet-Daten für sechs Monate durch die Mobilfunk- und Internet-Anbieter vor. Bis zu drei Jahren müssen sie die Meta-Daten speichern, das heißt die Angaben zum Zeitpunkt des Telefongesprächs oder SMS, des Facebook-Posts usw. Für die Nichterfüllung der Forderungen des FSB drohen den Anbietern Strafen bis zu einer Million Rubel. Die Anbieter müssen die Daten den Sicherheitsbehörden ohne vorherige richterliche Genehmigung zur Verfügung stellen.

Der Unternehmer-Ombudsmann Boris Titow schrieb an Präsident Putin, er möge das Jarowaja-Gesetz in dieser Form nicht unterzeichnen. Die Forderungen würden die Anbieter über Gebühr finanziell belasten, zudem wäre die massenhafte Sammlung von Daten höchst ineffektiv. Nach Titows Meinung stellte zudem die vorgesehene Öffnung der Schlüssel zur Dechiffrierung eine Cybergefahr für die nationale Sicherheit, aber auch für die Wirtschaft und Bürger dar.

Das „Anti-Terrorismus-Gesetz“ sieht zudem Freiheitstrafen bis zu einem Jahr für die Nichtmeldung von Straftaten und etwa einem Dutzend weiterer Delikte vor, was nach der Ansicht von Kritikern der Denunziation Tür und Tor öffnet. Auch die religiöse Tätigkeit wird stark reglementiert und soll sich im Wesentlichen auf die entsprechenden Stätten beschränken. Erweitert wird die Liste der Straftaten, für welche in Russland die Höchststrafe von 14 Jahren droht. Darunter sind internationaler Terrorismus, Beteiligung an einer terroristischen Gruppierung und an Massenunruhen. Die Postunternehmen werden durch das Gesetz verpflichtet, Paketsendungen auf verbotene Inhalte, wie Waffen, Narkotika oder Geld zu untersuchen.

Vom Parlament abgewiesen wurde die im Gesetzentwurf vorgesehene Aberkennung der Staatsbürgerschaft für das Verüben von Terroranschlägen oder extremistischen Straftaten, aber auch für die Zusammenarbeit mit ausländischen Organisationen.

Ebenfalls nicht genehmigt haben die Abgeordneten ein Ausreiseverbot für Bürger, die einer Straftat verdächtigt werden oder deren Bewährungszeit noch nicht abgelaufen ist. Inzwischen hat auch das Oberhaus der Duma, der Föderationsrat, dem Gesetzentwurf zugestimmt. Es steht nur noch die Unterschrift des Präsidenten aus. Aber wohl niemand zweifelt daran, dass Wladimir Putin das Gesetz mit seiner Unterschrift in Kraft setzt.  (Hartmut Hübner/russland.NEWS)

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