Gedränge um die Plätze in der Duma

[Hartmut Hübner] Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen in Russland, die am 18. September stattfinden, geht in die heiße Phase. Dabei buhlen 55 Parteien und Bewegungen – so viel wie nie zuvor – um die Gunst der Wähler für möglichst viele Sitze in der Duma der siebten Legislaturperiode.

Für eine Stimmungsumfrage, die unter rund 1600 Vertretern aller Bevölkerungsschichten ab 18 Jahre Ende Juli in 137 Orten und 48 Regionen durchgeführt wurde, dachten sich die Soziologen des Levada-Zentrums Moskau etwas Besonderes aus: Sie mischten unter die Palette der mehr oder weniger etablierten Parteien eine von ihnen erfundene Partei „Pro Jugend“.

Hätten die Wahlen zur Staatsduma am gestrigen Sonntag stattgefunden, hätte dieses Phantasieprodukt auf Anhieb eine Zustimmung von 0,3 Prozent erreicht und damit mehr als viele tatsächlich existierende kleine Parteien

Noch weniger haben „Bürgerliche Kraft“, die „Partei des Wachstums“, angeführt vom Bevollmächtigten des russischen Präsidenten für die Rechte der Unternehmer, Boris Titow, die „Grünen“, die „Bürgerliche Plattform“, „Rodina“ (Heimat), die „Russische Rentnerpartei für die Gerechtigkeit“, die „Patrioten Russlands“.

Erwartungsgemäß lag in diesem Rating die Mehrheitspartei „Einiges Russland“ vorn, für die 57 % der Befragten stimmten. Würde sich dieser Anteil in gut fünf Wochen bestätigen, wäre das ein satter Zugewinn von acht Prozent gegenüber 2011. Die kommunistische Partei KPRF käme auf 15 % und würde damit knapp fünf Prozent gegenüber dem vorigen Mal einbüßen, die Liberaldemokraten in der LDPR hingegen könnten 3,5 % auf ebenfalls 15 % zulegen. Die Partei „Gerechtes Russland“, die sich gern als Alternative zu den anderen „glattgebügelten“ Oppositionsparteien darstellt, würde einen Absturz von mehr als 13 %  auf 5 % erleben und um den Einzug ins Parlament bangen müssen. An der 5-Prozent-Hürde scheitern werde höchstwahrscheinlich PARNAS (Partei der Volksfreiheit), zu deren Führungszirkel neben dem heutigen Vorsitzenden und ehemaligen Premierminister Michael Kassjanow auch der ermordete Boris Nemzow gehörte  und die nach den Massenprotesten von 2011 als einzige den Einsatz für „faire Wahlen“ in ihr Programm geschrieben mit 2 %. Die Partei der kleinbürgerlich-liberalen Intelligenz „Jabloko“, die zu Jelzins Regierungszeiten in ihrer Blüte stand und 1993  knapp acht Prozent der Wähler überzeugen konnte, kommt, der Umfrage zufolge gerademal noch auf etwa ein Prozent und damit ein Drittel  des Ergebnisses von vor fünf Jahren.

Nach einer Bewertung der angetretenen Parteien befragt, meinten 30 % der Respondenten, dass „Einiges Russland“ in erster Linie die Interessen der Oligarchen und Banker vertritt, wie auch die des Militärs (28%). Auch PARNAS und Jabloko werden zu den Oligarchen-Freunden gezählt, die KPRF hingegen verteidige die Interessen der Arbeiter und Benachteiligten, während sich die LDPR überhaupt für alle einsetze.

Wahlkampf wird härter als je zuvor

Insgesamt werde der Wahlkampf 2016 allerdings härter als alle vorangegangenen, meint Konstantin Kostin, Direktor der Stiftung zur Entwicklung der Zivilgesellschaft (FoRGO), Moskau, im Interview.

Seine Prognose erklärt er damit, dass es diesmal doppelt so viele Parteien gebe, die sich den Einzug ins Parlament auf die Fahnen geschrieben haben und dass man zum Prinzip der Direktmandate in den Wahlkreisen zurückgekehrt sei. Und je mehr Kandidaten sich um einen Platz bemühen, umso schärfer werde die Konkurrenz. Dadurch sei es selbst für die stärksten Parteien und Kandidaten nicht einfach, sich durchzusetzen, meint Kostin.

Er hält es für unwahrscheinlich, dass im September mehr als vier Parteien in die Duma einziehen, wenn es denn „Gerechtes Russland“ überhaupt noch einmal schaffen sollte. Jabloko könnte einzelne Direktmandate gewinnen, aber kaum Fraktionsstatus erreichen. Für PARNAS sieht er die Chancen auf einen Abgeordnetensitz bei nahezu Null. Ultrarechte Kräfte, wie sie in Europa derzeit auf dem Vormarsch sind, spielen in Russland als politisch ernst zu nehmende Bewegung keine Rolle.

Nach Einschätzung des FoRGO-Chefs teilen sich die derzeitigen Parlamentsparteien plus Jabloko die Stimmen von etwa 85 – 90 % der Bevölkerung, so dass für alle anderen Parteien eine Nische von 10 -5%Prozent bleibt.

Dennoch, so die Umfrage des Levada-Zentrums, beabsichtigen zum heutigen Zeitpunkt nur 46% der Wahlberechtigten, an der Abstimmung teilzunehmen, von denen lediglich 20 %  dazu fest entschlossen sind. Ein Viertel der Wahlberechtigten werden ihr Stimmrecht nicht wahrnehmen, weitere 25 % sind sich noch nicht sicher.
In diesem Jahr werden nach den Wahlen zur Staatsduma wohl kaum irgendwelche politische Aufregungen das Land erschüttern, glaubt der Soziologe. Dafür gebe es, Kostin zufolge, keine Grundlage. In den letzten Jahren wurde vieles getan, um eine Vertrauenskrise zu vermeiden, wie sie nach den veröffentlichten Wahlergebnissen von 2011 aufgebrochen war, meint er.

Er wies darauf hin , dass die Folgen der jetzigen Wirtschaftskrise einige Jahre nach den Wahlen auf unterschiedlichen Ebenen zu spüren sein werden, jedoch heute auf die politischen Präferenzen der Russen und ihr soziales Befinden keinen entscheidenden Einfluss ausübten.
(Hartmut Hübner/russland.news)

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