Freihandelszonen – Gleiches Recht für alle oder Protektionismus und Aggression?

Wenn in Deutschland über die Gefahren aus dem geplanten Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP der EU mit den USA geredet wird, stehen die  „Chlorhühnchen“ in der öffentlichen Meinung ganz oben auf der Liste der lauernden Gefahren.

Dass diese Vereinbarung, wie übrigens auch andere solcher Art – etwa der EU mit dem lateinamerikanischen Wirtschaftsblock MERCASUL oder die Euroasiatische Wirtschaftsunion EAEU, der bislang Russland, Weißrussland, Kasachstan, Armenien und Kirgisistan angehören –  politische, ökonomische und gesellschaftliche Auswirkungen auf Dritte hat und haben soll, war Thema eines gemeinsamen zweitägigen internationalen Symposiums der Rosa Luxemburg-Stiftung (RLS) und des russischen Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen (IGSO) in Moskau.

TTIP als „Wirtschafts-NATO“
Als den Versuch einer Antwort auf die weltweite Wirtschaftskrise bezeichnete IGSO-Direktor Dr. Boris Kagarlizkij die Bildung von Freihandelszonen und Wirtschaftsräumen. So solle das geplante Abkommen zur Freihandels und Investitions-Partnerschaft (TTIP) zwischen den USA und der EU nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Seiten neu regeln, sondern wirke auch nach außen. „Das TTIP ist ein wirtschaftsbestimmtes Projekt und sowohl die Vereinigten Staaten, als auch die EU haben ausdrücklich festgestellt, dass sie es als einen Weg ansehen, um einen „Gold-Standard“ für bi- und multilaterale Geschäfte zu setzen“, erklärte er. „Als globale Regeln sollen sie Investoren gegenüber staatlichen und öffentlichen Interessen privilegieren.“ Zugleich solle innerhalb des barrierefreien Wirtschaftsraums ein stabiles Gerüst gegen Krisenerscheinungen geschaffen werden. Dies bedeute Protektionismus und wirtschaftliche Aggression gleichermaßen, stellte er fest.

In diesem Zusammenhang erinnerte Florian Horn, Brüsseler RLS-Büro, an den von der ehemaligen US-Außenministerin und aktuellen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton geprägten Begriff von der Wirtschafts-NATO für das TTIP. „Der offensichtliche Hauptgrund, weshalb die USA und die EU das TTIP wollen, ist vor allem ein geopolitischer, nach dem Motto „West gegen den Rest“, machte er deutlich. Vor allem die Erstarkung Chinas und der anderen BRICS-Staaten, wie auch einiger asiatischer Staaten einerseits, und die Stagnation in den USA sowie die Krise in der Eurozone andererseits treiben die transatlantische Allianz an, neue Regeln für den Welthandel zu schreiben, die ihren neoliberalen Wirtschaftsgrundsätzen sowie ihren politischen Prinzipien entsprechen.

Diesem Druck sieht sich auch Russland ausgesetzt, wie Dr. Leonid Wardomskij, Leiter des Zentrums für postsowjetische Studien am Wirtschaftsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften erläuterte. Zum einen richte sich das TTIP grundsätzlich gegen den Einfluss der Politik auf die Wirtschaft und damit auch gegen staatliche Betriebe, die aber gerade in zahlreichen Schwellenländern, wie auch in Russland, einen großen Teil der Industrie ausmachen. Zum anderen erleichtere der Wegfall von Zollschranken den Import von amerikanischem Fracking-Gas und -Öl in die EU. „Das wird die Lieferung von Energieträgern aus Russland weiter verringern und die Hinwendung des Landes nach dem Süden und Osten forcieren.“ Mit der Bildung der Eurasischen Wirtschaftsunion im Januar dieses Jahres sollen zugleich ein, wenn auch noch geringes, Gegengewicht zur EU geschaffen werden. Dabei gehe es nicht um eine neue Sowjetunion, sondern um den Willen souveräner Staaten, in einer Freihandelszone die Vorzüge der Zollfreiheit zu nutzen.

Gefahr für die Demokratie
Auf die unterschiedlichen Ausgangslage der Teilnehmerländer wies Dr. Daria Muchamedshanowa vom Kasachischen Institut für Strategische Studien beim Präsidenten  der Republik Kasachstan, Almaty, hin. „Russland ist zweifellos die stärkste Kraft der Wirtschaftsunion“, stellte sie fest. „Aber die der Vereinigung zu Grunde liegenden Prinzipien der Zusammenarbeit sollen die Dominanz eines der Teilnehmer ausschließen. Vielmehr sind sie auf die wirtschaftliche Entwicklung  jedes Mitgliedsstaates gerichtet. Schon die nächsten Jahre werden zeigen, inwieweit sich diese Vorhaben umsetzen lassen.“ Die vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit mit externen Partnern, wie Peru als Beobachter in der EAEU, mit Ägypten und Vietnam in Form einer Freihandelszone sind dazu erste Schritte. Weitere Staaten, etwa Tadschikistan und Usbekistan sind offenbar an einem Beitritt zur EAEU interessiert.

Welche Folgen das TTIP für das gesellschaftliche Leben und die Demokratie hat, stellte die Landesvorsitzende Brandenburg der Partei Die Linke, Kerstin Kaiser, am Beispiel der Landes- und Sozialpolitik in diesem Bundesland dar. Sie teilte nicht nur die Befürchtungen der Verbraucher  zur Aushebelung von Sicherheits- und Gesundheitsstandards, sondern warnte auch vor den Folgen des so genannten Investitionsschutzes, der den Anlegern weitgehende Klagerechte, beispielsweise gegen ihnen nicht genehme Lohnforderungen, einräumt und staatliche Haushalte durch die Verurteilung zu Strafzahlungen in den Ruin treiben könnte.

Diskutiert wurden außerdem eine mögliche Zusammenarbeit von EU und EAEU, der internationale Arbeitsmarkt und die Migration, Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften, die neuen Anforderungen an Bildung und Ausbildung, die sozialökonomischen Auswirkungen des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU oder auch globale Effekte des Freihandels in Lateinamerika.

Die Leiterin des Moskauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Tiina Farni, freute sich über die „spannende Diskussion, die gezeigt hat, wie vielfältig die Auswirkungen von Freihandelsabkommen sind und wie daraus erwachsenden Gefahren erfolgreich begegnet werden kann.“

Hartmut Hübner / russland.ru

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