Flugzeugabschuss: „Wahrheiten“ ohne Klarheit aber mit Ziel

Wenn man in Mitteleuropa, Russland oder den USA Artikel oder TV-Berichte zum Abschuss des malaysischen Zivilflugzeugs MH-17 über dem Donbass studiert, bekommt man viele Antworten serviert, die sich zwar widersprechen, jedoch alle die ultimative Wahrheit für sich gepachtet haben. Russland.RU ist stolz, als eines der wenigen Presseerzeugnisse sowohl in Russland als auch auf Deutsch noch keine Antwort parat zu haben.

Keiner weiß etwas – alle verkünden Wissen

So kann man nämlich glaubwürdiger nachschauen, was sich hinter den Wahrheiten anderer verbirgt. In Wirklichkeit dürfte nur ein sehr kleiner Kreis Menschen informiert sein, was genau passiert ist und dazu dürften die Wahrheitsverbreiter nicht gehören. Zunächst war es nach dem Abschuss der Boeing 777 eigentlich nahe liegend, zunächst an eine „versehentliche“ Täterschaft der Separatisten zu denken. Denn sie werden häufig aus der Luft angegriffen und haben viele unausgebildete Freiwillige in den eigenen Reihen, bei denen die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass diese mit einem eklatanten Verwechslungsfehler 300 Menschenleben auslöschen könnten.

Russische Phantomexperten – ein Eigentor?

Nun lesen wird aber ausgerechnet aus den USA kommend die These, das in Frage kommende „BUK“-Flugabwehrsystem sei von angelernten Milizionären gar nicht bedienbar. Diese Aussage wird aufgestellt zur Untermauerung der Konstruktion, es müssten russische Militärexperten am Abschuss beteiligt gewesen sein, was den USA und ihrem radikal antirussischen Kurs „zufällig“ gelegen käme. Beweise für die „russische Erweiterung“ bleibt man natürlich schuldig. Eigentlich ist diese Aussage ein Eigentor, denn es sind ja die ukrainischen Regierungstruppen, die als einzige im Donbass eine große Zahl ausgebildeter Kräfte zur Bedienung hochkomplexer Waffensysteme besitzen – und eine Reihe von BUK-Systemen, die diese bedienen. Gehen wir aber einmal davon aus, es seien hochspezialisierte „Kreml“-Militärexperten für Flugabwehr vor Ort anwesend. Warum konnten dann wiederum diese nicht eine Zivilmaschine von einem ukrainischen Militärtransport unterscheiden? Ein Spezialist hätte wohl gewusst, welches Fiasko ein versehentlicher Zivilabschuss nach sich zieht. Wer hat denn auf den falschen Knopf gedrückt? Keiner weiß es wirklich.

Verdächtige Separatisten und russische Verschwörungstheoretiker

Auch die Rebellen schaffen natürlich kein Vertrauen, wenn sie, wie immer wieder zu lesen ist, die Untersuchung des Absturzes vor Ort behindern oder indem sie beispielsweise die Leichen schnell weg bringen zu einem Kühlzug. Die Entrüstung der Westpresse zu diesem Thema ist groß. Wie groß wäre sie, wenn die Rebellen eben jene Leichen stinkend und verwesend überall liegen gelassen hätten? Die „Bild“-Schlagzeilen könnte man sich ausmalen. So, als wollte man diese Berichterstattung noch toppen, entblödet man sich auch von russischen Staatmedien nicht zu behaupten, weil diese Leichen im Sommer gleich so verwesend herum lagen, müssten sie doch schon im Flugzeug tot gewesen sein (These vom immerhin großen Kanal „Rossija 1“) und beweist damit, dass jede ungerechte Kritik einer Seite mit einer noch dümmeren Behauptung der anderen Seite getoppt werden kann. Immerhin scheint niemand zu bestreiten, dass die Opfer beim Abflug noch lebendig waren.

Wieder einmal gescheitert: Der Video-Beweis

Nicht anders verhält es sich bei weiteren „Beweisen“ in der Angelegenheit, wie dem vorgeblichen Video zum Abtransport eines „separatistischen“ BUK-Systems nach Russland. Hier bringt die prorussische Gegenseitige sofort das Dementi, das fragliche Video zeige ein BUK-System der Regierungsarmee und zwar in der Gorki-Straße in Krasnoarmejsk, also eine gewollte Fälschung. Wer hier recht hat, könnte man wohl nur durch einen Besuch in Krasnoarmejsk feststellen, aber es ist nicht damit zu rechnen, dass das irgend einer der beteiligten Wahrheitsfinder an diesem Disput – egal auf welcher Seite – in Erwägung zieht. Immerhin hat die Krasnoarmejsk-These ausnahmsweise etwas Konkretes an sich, was bei anderem, was Separatisten und russische Regierung zu ihrer Verteidigung vorbringen, nicht so der Fall ist. So fehlen Beweise für die immer wieder vorgebrachte These des Abschusses durch die ukrainische Armee völlig.

Zum Nachdenken am Ende

Am erschreckendsten ist, dass der Abschuss einigen Leuten noch gelegen zu kommen scheint. Poroschenko kann jetzt endlich entrüstet Forderungen nach Verhandlungen mit den Separatisten für einen Waffenstillstand weit von sich weisen, Jazenjuk mit seinen Hasstiraden auf die Gegner als „betrunkene Terroristen“ richtig los legen. Und unter anderem deswegen sterben jetzt im Donbass jeden Tag weiter Menschen, auch Zivilisten. So müssen tote Zivilisten als Alibi dafür her halten, weiter tote Zivilisten in Kauf zu nehmen. Was ist das für eine Logik? Nachdenklich stimmt dabei, dass auch all die unbelegten bis verschwörungstheoretischen „Wahrheiten“ zum Abschuss von MH-17 nicht etwa von niederländischen oder malaysischen Quellen stammen, wofür man angesichts der Ungeheuerlichkeit des Geschehenen und dem damit verbundenen Leid noch Verständnis hätte. Vielmehr scheinen alle Produktionsorte von „Wahrheiten“ zum Flugzeugabschuss in den USA, Russland oder Mittel- und Westeuropa zu liegen – nur nicht im Donbass, wo die Tragödie passiert ist.

Roland Bathon – russland.RU; Foto: Wikimedia Commons

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