Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung

[Von Dr. Daria Boll-Palievskaya] „Pünktlich zum Gedenkjahr an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges schwoll im Westen die lange vorhandene russophobe Grundstimmung zu manifestem Russenhass an“, beginnt das Buch „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ des Wiener Historikers und Publizisten Hannes Hofbauer. Doch ist das Feindbild des „barbarischen“ Russen neu oder nur die neue Auflage der uralten Stereotypen? In seinem akribisch recherchierten und spannend geschrieben Werk verfolgt Hofbauer die 500 Jahre Geschichte der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Seine Schlussfolgerungen sind alles andere als hoffnungsvoll.

Das Bild des „asiatischen, barbarischen Russland“ entstand im 15. Jahrhundert und war eine polnische Erfindung, die dazu diente den feindliche Staat als ein „Reich des Bösen“ darzustellen. Mit einigen wenigen historischen Ausnahmen (Begeisterung von Peter des Großen, Befreiungskriege von 1813-1814 und dann die kurze Welle des Enthusiasmus für Gorbatschow) pflegte der Westen die „russophobe Einstellung“. Dahinter steckte oft die Angst, dass Russland zu mächtig wird.

Schritt für Schritt verfolgt Hofbauer die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in der neusten Geschichte. Er zeigt, dass die USA sich einiges kosten ließen, um den Kommunismus von der Landkarte der Welt zu tilgen. Mit dem Afghanistan Krieg tappte Moskau in die Falle: die USA nutze den „afghanischen Hexenkessel“, um die Sowjetunion mit versteckten Missionen zu destabilisieren. Der Autor deckt auf, dass die USA Administration schon Mitte der 80er Jahre darauf setzte, die Ölpreise zu senken, um der Sowjetunion zu schaden: dabei waren die Saudis einer der “wichtigsten Komponenten in der Strategie Reagans“. 1987 musste Michail Gorbatschow eingestehen: „Wir haben unser Land in ein Militärlager verwandelt; und der Westen will uns in ein zweites Szenario eines Rüstungswettlaufs treiben. Er rechnet mit unserer militärischen Erschöpfung: und dann wird er uns als Militaristen porträtieren“.          Auch die ganze Ära Jelzin ist für den österreichischen Historiker die Phase in der Geschichte Russlands, wo Washington seine Hände im Spiel hatte. Sogar die sogenannte Schoktherapie von 1992 und die Privatisierung, die das Oligarchensystem herausbildete und eine verheerende Rolle für die russische Wirtschaft hatte,  war mehr oder weniger von Amerikanern gesteuert: „Das Washingtoner Finanzministerium spielte in den ersten Jahren der russischen Transformation eine zentrale Rolle“.

Auch das Problem der Osterweiterung der NATO, die 2016 bis zu den Pforten Russlands reicht, nimmt Hofbauer unter die Lupe. Er erinnert an die Worte von Genscher, der 1990 zu dem damaligen Außenminister Schewardnadse wörtlich sagte: „Die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen“. Doch schon auf ihrem Gipfel in Rom im Jahre 1991 stellte die Militärallianz „ihr Radar von Defensive auf Offensive“. 2004 sind sieben EU-Beitrittskandidaten dem Nordatlantikpakt beigetreten. Für Hofbauer ist glasklar: die NATO verfolgt „die Strategie der Einkreisung Russlands“.
Der Autor analysiert die Frage, was mit der Machtübernahme von Putin in Russland passiert ist und was der Nachfolger von Jelzin erreicht hat. Seiner Meinung nach hat Putin die Macht im Land konsolidiert, die administrative Re-Zentralisierung durchgeführt und die Armut reduziert. Von Anfang war Putin bemüht, „die in den 1990er Jahren bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Staatlichkeit weder herzustellen“.  Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen schienen sich zu entspannen. Für Putin war die EU ein wichtiger strategischer Partner. Er hoffte mit ihrer Hilfe „die von den USA seit 1999 immer offensiver betriebene Einkreisung Russlands“ zu verhindern. Doch sein Kalkül ging nicht auf. Je klarer wurde, dass der neue russische Präsident „aus den Fußstapfen von Jelzin“  heraustrat und das Land sich auf den Weg machte, sich von den Strapazen der 90er Jahre zu erholen, desto skeptischer wurde man in Brüssel. „Die Wortkreation „Putinismus“ machte die Runde; sie war von Anfang an negativ konnotiert“.

Hofbauer geht auf „Farbrevolution“ ein, um festzustellen, dass sie mit „Soft Power“ der westlichen Regierungen unterstütz wurden, und zwar dort, wo dem Brüsseler „Demokratiemodell nicht ausreichend gefolgt wird“.  Ein großes Kapitel ist natürlich auch dem „Kampf um die Ukraine“ gewidmet. Der Autor beleuchtet den Ukraine-Konflikt von allen Seiten, erschlägt beinahe den Leser mit Fakten, Daten und Zahlen. Doch seine Schlussfolgerungen sind klar: es ging vor allem um den „Expansionshunger“ von Brüssel, der auch „nach drei Erweiterungsrunden gegen Osten noch nicht gestillt“ war. Hofbauer nimmt kein Blatt vor den Mund: „Spätestens Mitte Dezember 2013 war auch klar, dass die Ukraine Brüssel und Washington nur als Kampffeld gegen Russland diente“.

Ob die Geschichte mit der Krim, Minsker Abkommen, die Sanktionen gegen Russland, die Eurasische Union, die Dämonisierung von Putin  –  jeder, der Zusammenhänge verstehen will und Fakten braucht, für den soll das Buch „Feindbild Russland“ ein Nachschlagewerk sein. Der Ausblick des Wiener Historikers ist alles andere als optimistisch. Er zitiert eine Moskauer Soziologin, die die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen so zusammenfasste: „In der Ära Gorbatschow-Jelzin lautete die Devise im Westen, sich mit Russland zu engagieren; während der ersten Putin-Jahre bis 2008 hieß es, sich mit Russland zu arrangieren; und seit 2008 sich gegen Russland zu engagieren“. Die negative Einstellung zu Russland ist im Westen tief verwurzelt und hat geopolitische Gründe, ist Hofbauer überzeugt. Nach der Lektüre des umfassenden fundierten Werkes ist das auch jedem seiner Leser klar.

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