Europas Fahnenträger

Die aktuellen Bemühungen Berlins um den Aufbau einer unabhängig von den USA einsatzfähigen EU-Militärmacht dienen der Realisierung eines der ältesten Ziele der deutschen Außenpolitik. Dies belegen Dokumente aus den verschiedensten Phasen der deutschen Expansion. Dabei geht es darum, sich in der globalen Mächtekonkurrenz gegen die Vereinigten Staaten durchsetzen zu können.

Bereits einer der ersten deutschen Expansionsstrategen, Friedrich List, hatte im Jahr 1841 – weit in die Zukunft ausgreifend – gemutmaßt, nur ein Zusammenschluss der „vereinigten Mächte von Europa“ könne langfristig „Schutz, Sicherheit und Geltung gegen die amerikanische Übermacht“ bieten. 1944 plädierte ein Experte im Reichswirtschaftsministerium angesichts der herannahenden Kriegsniederlage dafür, einen „Weg zu wirklicher europäischer Zusammenarbeit zu finden“, um sich gegen die USA und die Sowjetunion zu behaupten; Berlin solle dabei nicht blutig regierender „Herr“, sondern „Fahnenträger Europas“ sein.

In den 1960er Jahren konstatierte der CSU-Politiker Franz Josef Strauß, nur ein „vereinigtes Europa“ könne „die Position einer eigenständigen Macht zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion einnehmen“; er plädierte für „ein europäisches Atomwaffenpotenzial“. Jüngere Analysen halten es für möglich, eine deutsch dominierte „Supermacht Europa“ aufzubauen, warnen jedoch, der totale Zerfall der EU inklusive des damit verbundenen Einflussverlusts sei nicht auszuschließen. Diese Ambivalenz umschreibt die aktuellen Perspektiven der Berliner Politik.

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