Es sind Duma-Wahlen – und keiner kriegt es mit

[Von Lothar Deeg] – Stell Dir vor, am übernächsten Sonntag wären Bundestagswahlen – und es interessiert niemanden. Und der Wahlkampf verläuft kaum bemerkbar. So stellt sich die Situation gegenwärtig in der russischen Demokratie dar.

Am 18. September ist in Russland der nur einmal jährlich stattfindende Wahltag: Dieses Jahr werden sowohl die Abgeordneten des Parlaments, der Staatsduma, wie auch die Parlamente von gleich 39 Regionen sowie sieben Gouverneure neu gewählt. Etwa in der Hälfte des Landes fallen also „Bundestagswahlen“ auch noch mit „Landtagswahlen“ zusammen.

In Deutschland wie in wohl jedem westeuropäischen Land würde sich der Wahlkampf nun überschlagen. Russland beweist dieser Tage wieder einmal, dass es anders funktioniert: Wer fernseh-abstinent lebt und Politik nicht für ein Thema von Privatgesprächen hält, hat alle Chancen, gar nicht mitzubekommen, dass Wahlen anstehen.

Wahlplakate fehlen im Stadtbild

In St. Petersburg, wo ebenfalls das Stadtparlament zusammen mit der Duma gewählt wird, gibt es beispielsweise so gut wie keine Plakatwerbung – und wenn, dann auf ohnehin vorhandenen Werbeflächen. Gelegentlich stehen Flugblattverteiler an Metrostationen, ab und an findet sich auch eine Wahlkampfzeitung oder ein Kandidaten-Flyer im Briefkasten – aber dies geht im üblichen alltäglichen Werbungs-Wust schlichtweg unter.

Langweilig“ sei die Wahlkampagne in diesem Jahr, befindet auch die Zeitung „Wedomosti“. Sie veröffentlichte heute Ergebnisse einer Umfrage unter Experten und Polittechnologen des russischen PR-Verbandes, in dem die Fachleute selbst der Kreml-Hauspartei „Einiges Russland“ (ER) von 80 möglichen Punkten für die verschiedensten Wahlkampfaktivitäten – vom griffigen Slogan über die Debattierbegeisterung bis hin zur gezielten Themensetzung – nur 39 zubilligen. Auf den nächsten drei Rängen folgen mit 28 bis 26 Punkten die drei gegenwärtig ebenfalls in der Duma vertretenen Parteien Liberaldemokraten von Wladimir Schirinowski (LDPR), die Kommunistische Partei KPRF und das „Gerechte Russland“ (SR). Die zehn weiteren Parteien, die zur Duma-Wahl zugelassen wurden, erreichten maximal je 18 Punkte.

Keine Positionen, nur Personen

Das Verdikt der Wahlkampfbeobachter: „Die Message der Mehrheit der Parteien ist dermaßen verwässert, dass wir nicht einmal ihre Schlüsselbegriffe herausarbeiten können.“ Die KPRF habe darauf verzichtet, sich als einzige echte Oppositionspartei zu präsentieren, SR zeige sich als monothematische Partei, der es offenbar nur noch um die Wohnungswirtschaft geht. Die einzige Partei, die sich wirklich eindeutig positioniert habe, sei Parnas als „Partei gegen Putin“. Dessen Hauspartei ER wiederum hat sein Programm auf den Begriff „Zusammen mit dem Präsidenten“ eingedampft – und versucht den Wählern nun zu vermitteln, wer für Putin sei, müsse eben auch automatisch ER wählen.

Auch aus dem spärlichen Wahlkampfmaterial im heimischen Briefkasten konnte man bisher über die beworbenen Kandidaten meist nur erfahren, dass sie fleißige und ehrliche Leute seien, denen das Schicksal ihrer Mitbürger nicht gleichgültig sei – aber nicht im geringsten, für welche Positionen oder Meinungen sie stehen. Ein Grund, warum nicht mehr und aktiver Wahlkampf gemacht wird, ist allerdings auch das fehlende Geld: In einer Zeit der klammen Kassen müssen alle Parteien streng sparen. So haben nur wenige von ihnen über die ohnehin kostenlos zur Verfügung gestellte Sendezeit bei den großen TV-Kanälen weitere Fernsehwerbung geschaltet.

In Russland scheint man Parlamente zu wählen, weil in der Verfassung geschrieben steht, dass man dies regelmäßig tun muss – aber offenbar nicht, weil dies Parteien wie Bürger besonders interessieren würde. Beide Seiten haben sich offenbar bereits darauf verständigt, dass sich ohnehin nichts ändert. Nach einer Umfrage des (just zum „ausländischen Agenten“ erklärten) Meinungsforschungsinstituts Levada interessieren sich 49 Prozent der Bevölkerung nicht oder eher nicht für die Dumawahlen – während 46 Prozent angeben, dafür Interesse zu haben – das allerdings nur 13 Prozent als „deutlich“ bezeichnen.

Wer wurde zugelassen – und wer hat Chancen?

Zur Duma-Wahl am 18. September wurden 14 der 77 offiziell in Russland registrierten Parteien zugelassen. Dabei handelt es sich um jene Parteien, die nach neuen Regeln keine Unterstützerunterschriften sammeln mussten, weil sie wenigstens in einem einzigen Regionalparlament vertreten sind. Alle anderen Parteien scheiterten an den Zulassungsvorschriften bzw. an der Prüfung ihrer Unterlagen durch die Wahlkommission.

Das Parteienspektrum ist damit wieder vielfältiger als bei vorherigen Wahlen. Mit Sicherheit die Fünfprozent-Hürde überspringen werden aber nur drei von ihnen: ER, KPRF und LDPR. Bei SR ist der Erfolg momentan nicht garantiert: Nur 70 Prozent der befragte Politexperten sehen SR in der nächsten Duma. Gewisse Chancen auf den Duma-Einzug haben nach Einschätzung der Polit-Insider noch die nationalistisch orientierte Partei Rodina (20 Prozent der Experten), die liberale Partei „Jabloko“ (15 Prozent) und die “Partei der Pensionäre für Gerechtigkeit“ (10 Prozent).

Alle weiteren angetretenen Parteien werden wohl auch unter der Schwelle von 3 Prozent bleiben, die ihnen eine staatliche Wahlkampfkostenerstattung gewährleistet. Dabei handelt es sich um die „Bürgerliche Kraft“, die „Bürgerplattform“, die „Kommunisten Russlands“, die „Patrioten Russlands“, die Unternehmer-affine „Partei des Wachstums“, die „Grünen“ und die schon erwähnte Anti-Putin-Partei „Parnas“.

Umfrage: Kreml-Hauspartei hat nur 31 Prozent feste Unterstützer

In der letzten Ende August erstellten Wahlumfrage des Levada-Instituts votierten 31 Prozent der Befragten für ER, 10 Prozent für die KPRF, 9 Prozent für die LDPR und 5 Prozent für SR. Alle weiteren Parteien kamen auf je 1 Prozent oder darunter. 22 Prozent der Befragten bezeichneten sich als unentschlossen hinsichtlich ihrer Wahl oder auch der Frage, ob sie am 18. September überhaupt abstimmen wollen.

Die Zusammensetzung der russischen Staatsduma wird übrigens nicht endgültig durch das Ergebnis der föderalen Parteilisten bestimmt: Nach einer erneuten Reform des Wahlsystems wird diesmal wieder die Hälfte der 450 Abgeordneten direkt in Wahlkreisen bestimmt. Mit Hilfe der Direktmandate wird sich ER in jedem Fall eine kommode Pro-Putin-Mehrheit im Parlament sichern können – selbst wenn die Wahlen absolut korrekt, ohne Schummeleien und mit einem schwachen Ergebnis für die Kreml-Hauspartei enden sollten.

[Lothar Deeg/russland.NEWS]

COMMENTS