Es kann in einen Kulturkampf ausarten

[Von Daria Boll-Palievskaya] Deutsche und russische Politiker, Publizisten, engagierte Bürger und Vertreter der russischsprachigen Verbände und deutsch-russischen Vereine kamen am 10.Setember nach Bonn, um über das Sorgen erregende Bild Russlands in Deutschland zu diskutieren.

Bei der Begrüßung stellte der stellvertretende Vorsitzende des Vorstands des Deutsch-Russischen Forums Prof. Dr. Wilfried Bergmann fest,  dass der Konflikt  viel an Vertrauen verletzt hat und dass es schwierig sein wird, die Risse zu überwinden. „Wir müssen Geduld mitbringen“.

Die Vorsitzende des Bundesverbandes russischsprachiger Institutionen e.V. Larisa Yurchenko machte auf die Lage der russischsprachigen Migranten aufmerksam.  Die  Menschen sind hin- und hergerissen und haben inzwischen Angst, weil alte Vorurteile über aggressive und unberechenbare Russen in Deutschland geschürt werden. „Und die Russen sagen: „Warum? Womit haben wir das verdient. Warum sind wir schon wieder die Bösen?“

Ihre Frage wurde vom  Publizisten Hauke Ritz beantwortet: „Das Bild von Russland ist sehr vom kalten Krieg geprägt, von den Erinnerrungen z.B. an den sowjetischen Einmarsch in Budapest oder Prag. Und diese kollektiven Erinnerrungen lassen sich leicht aufrufen und können in der Informationskriegsführung verwendet werden. Man kann dann versuchen Russland so darzustellen, als ob es immer noch die Sowjetunion wäre.

Es gibt kaum ein Land, das sich so tiefgreifend verändert hat in den letzten 25 Jahren wie Russland, doch in unserer Presse wird dieses Land mit gleichen Worten und Bildern beschrieben wie die Sowjetunion“. Es kommt zu einer schleichenden Entmenschlichung des Gegners. Und dann kann man militärische Maßnahmen gegen dieses Land ergreifen, weil es aus der menschlichen Solidargemeinschaft ausgeschlossen wird und für dieses Land nicht die gleichen Rechte und Regeln gelten.

Es tauchen schon in den deutschen Medien Berichte auf, wo nicht nur die russische Regierung kritisiert wird, sondern die ganze russische Bevölkerung. In seiner Kolumne im Spiegel Online attestierte Jan Fleischhauer dem ganzen russischen  Volk den Realitätsverlust. „So entsteht das Gefühl der moralischen Überlegenheit“, sagte Ritz.

In seinem Vortrag  wies er darauf hin, dass die PR Strategien heute kriegsentscheidend sein können: „Die Informationskriegsführung funktioniert wie eine Werbekampagne: bevor ein neues Produkt eingeführt wird,  werden Studien erstellt. Die gleichen Techniken werden in einem Informationskrieg eingesetzt. Der Unterschied ist nur der, dass es sich nicht darum geht, ein positives Bild von einem Produkt zu erzeugen, sondern ein negatives Bild von  dem gegnerischen Land“.

Ritz berief sich auf die Studie von Uwe Krüger und wies auf die Verflechtung zwischen den deutschen Medien und amerikanischen Netzwerken. Es werden hunderte von Presseagenturen beauftragt, die zu Gunsten einer Partei den Konflikt interpretieren.

Der Politologe Alexander Rahr wies darauf hin, dass die Politiker heute auf die Medienberichte angewiesen, überfordert und verwirrt sind. „Die Journalisten sind hier zu moralischen Instanzen geworden und jagen die Politiker vor sich hin“.

Leiterin des Russisch-Deutsch-Ukrainischen Kulturzentrums Julia Rybalko prangte in ihrem sehr emotionale Vortrag „Ich verstehe nicht“ die Doppelstandards des Westens: „Ich verstehe nicht, warum überall das Wort Föderalisierung positiv besetzt  und nur in der Ukraine ein Schimpfwort ist, wofür man ins Gefängnis kommen kann. Warum die Faschistenmärsche auf der Maidan gut sind, aber die Demonstrationen für brüderschaftliche Beziehungen mit Russland – ein Verbrechen.

Warum hängen amerikanische Fahnen auf den Behörden in der neuen Ukraine? Und die russischen Fahnen sind verboten? Wie kann die ganze Welt Reformen in einem Land begrüßen, wo Menschen getötet werden und alle in Angst leben? Wenn die Ukraine so frei und demokratisch ist, warum gibt es in diesem Land keine alternativen Informationsquellen und alle russischen Sender abgeschaltet sind. “

Ekaterina Timoschenkova vom Zentrum für Deutschlandforschungen der russischen Wissenschaftsakademie bat Erklärungen für das negative Image Russlands an: „Das Image hängt auch davon ab, wie die Menschen sich selbst sehen. Für die Russen ist es typisch, Billigung  von Westeuropa zu brauchen. Das ist eine Art Minderwertigkeitskomplex:  für die Selbstachtung  sucht man die Anerkennung des Westens. Die Sowjetunion stellte ein anderes Modell der Entwicklung dar. Nach dem schnellen Zerfall der Sowjetunion begann der Westen an die Einmaligkeit seines Modells zu glauben“.

Bei aller Kritik der deutschen Medien gab es auch kritische Worte an die Medienpolitik in Russland. Prof. Dr Bergmann appellierte an die russischen Kollegen, es „uns ein bisschen leichter zu machen. Wir fühlen uns intellektuell nicht ganz ernst genommen, wenn man uns erzählt, in der Ost Ukraine machen russische Soldaten Urlaub und haben noch zum Spielen ein paar Panzer mitgenommen“.

Dr. Andrej Tschernodarov von der Deutschen Puschkin Gesellschaft machte darauf aufmerksam, dass in Russland versucht wird,  die deutsche Berichterstattung zu verschönern.  Man zeigt Äußerungen von Journalisten, die man hier kaum kennt oder analysiert die Reden von Georg Gysi, als wären sie maßgeblich.

Der Tenor vieler Wortmeldungen war, nicht nur Brücken zu bauen, sondern Position ergreifen und Flagge zeigen. Der Botschafter a.D. Frank Elbe betonte die Wichtigkeit,

Fragen über die Interessen der Regierungen zu stellen, „die sie veranlasst haben diese Situation herbei zu führen. Das ist eine Frage für den Bürgerdialog. Wir müssen stärker hinterfragen“.

Wenn die Entwicklung so weiter geht, kann es in einen Kulturkampf ausarten, warnte Alexander Rahr. Vera Tatarnikowa von der internationalen  Journalisten Föderation appellierte in diesem Sinne an alle Beteiligten, einen „Waffenstillstand in diesem Informationskrieg“ zu vereinbaren.

Passend zu diesem Thema möchten wir auf einen Artikel in der NZZ hinweisen: „Gekaufte Meinungsmacher“ – Das Geschäft mit der Aussenpolitik

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