Ersatzteile, Wartung und Kannibalisierung: Russlands Luftfahrtbranche weiterhin in Turbulenzen

Ersatzteile, Wartung und Kannibalisierung: Russlands Luftfahrtbranche weiterhin in Turbulenzen

Die russische Zivilluftfahrt, die Anfang Februar ihr 100-jähriges Bestehen feierte, war einer der ersten Sektoren, der von den Sanktionen des Westens direkt betroffen war. Nicht nur wurden nach dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar alle Flughäfen und der Luftraum der EU für in Russland registrierte Flugzeuge gesperrt. Die EU verbot auch den Export von Waren und Know-how sowie von Versicherungen und Dienstleistungen nach Russland. Ähnlich restriktiv reagierten die USA, Kanada und Großbritannien.

Der Druck der russischen Regierung auf die Fluggesellschaften, die ohnehin schon genug Probleme haben, wächst. Das System der Pilotenausbildung war schon vor dem vergangenen Februar in der Krise, aber die damaligen Schwierigkeiten sind nichts im Vergleich zu den Heutigen.

Rund 50 Prozent der ausländischen Flugzeuge, die für die Ausbildung genutzt werden, seien „außer Betrieb“, erklärte Wladimir Israeljew von der russischen zivilen Luftaufsicht Rosaviatsia Ende April auf der Jahrestagung des Verbandes der Flugzeughersteller.

Auch der Zustand der Passagierflugzeuge ist alarmierend, wenn auch noch nicht ganz klar. Die russische Verkehrsaufsichtsbehörde Rostransnadsor habe 2.000 Flüge von Passagierflugzeugen mit abgelaufenen Ersatzteilen im Jahr 2022 gezählt, teilte Behördenchef Viktor Basargin auf der jüngsten Sitzung des Verkehrsausschusses der Duma mit. Später versuchte das Ministerium, diese Angaben zu dementieren und betonte, dass „Verstöße bei der Tätigkeit der führenden russischen Fluggesellschaften nicht festgestellt wurden“.

Ob es sich um kommerzielle Flüge oder um alle Arten von Flugreisen handelt, bleibt offen. Rostransnadsor hat erhebliche Probleme bei der Lieferung von Ersatzteilen festgestellt: Was früher in 3 bis 7 Tagen geliefert wurde, dauert jetzt 60 bis 120 Tage, und einige Teile können überhaupt nicht geliefert werden.

Die großen Fluggesellschaften bestreiten, abgelaufene Teile zu verwenden, und sind sich solcher Fälle bei ihren Konkurrenten nicht bewusst. Experten gehen davon aus, dass sich das Problem der Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit ausländischer Flugzeuge in Russland verschärfen wird und erinnern an die Erfahrungen des Iran, der nach der Verhängung von Sanktionen mit einer hohen Unfallrate konfrontiert war. The Project hat bereits über die reduzierten Sicherheitsanforderungen in der russischen Luftfahrt im Zuge der Sanktionen geschrieben.

Die größte Airline Russlands Aeroflot hat laut eigenen Angaben ausschließlich Typen der Hersteller Airbus und Boeing in ihrer Flotte und ist mit 119 europäischen und 59 US-amerikanischen Jets. Das Unternehmen verweist darauf, dass die Aeroflot-Gruppe, zu der auch die Fluggesellschaft Rossija sowie der Billig-Carrier Pobeda gehören, „keine Flugzeugkomponenten mit abgelaufener Lebensdauer verwendet“. Pobeda hatte im letzten Frühjahr kurzerhand 16 seiner 41 Boeings in den Hangar gestellt und nutzt sie seitdem als Ersatzteilspender für die noch im Dienst befindlichen Maschinen. Einem Bericht der Zeitung Iswestija zufolge hatte der Ministerrats Ende Dezember einen Beschluss gefasst, der die „Kannibalisierung von Flugzeugen“ ausdrücklich erlaubt.

Airbus wollte auf Anfrage der Wiener Zeitung die Verwendung von veralteten Ersatzteilen oder Nachbauteilen durch russische Airlines sowie die Wartung von deren Flugzeugen im Iran nicht kommentieren. Laut Stefan Schaffrath, Konzernsprecher für den Bereich Commercial Aircraft, führt Airbus bei allen Parteien, die Ersatzteile und technische Unterlagen anfordern, aber eine Due-Diligence-Prüfung durch und verpflichtet die Abnehmer zur Abgabe verbindlicher Endnutzer-Erklärungen. Darüber hinaus habe man jedoch keine Möglichkeit, die Verwendung von Nachbauteilen und die Erbringung von Dienstleistungen durch Dritte zu kontrollieren, erklärt Schaffrath.

Hinter dem Kompromiss „12 Stunden“ steckt weiterer Druck auf russische Fluggesellschaften. Rosaviatsia hatte kürzlich bei einem Branchentreffens darum gebeten, zivile Passagiere von einem Flug zu entfernen, damit SMO-Teilnehmer aus dem Kriegsgebiet in den Urlaub und umgekehrt von zu Hause an die Front reisen können. Überraschenderweise weigerten sich die Fluggesellschaften Aeroflot, S7, Ural Airlines, Utair, Russia und Nordwind unter Berufung auf geltende Gesetze. Laut der Online-Nachrichtenagentur Baza haben sich die Fluggesellschaften inzwischen dazu verpflichtet, fünf Plätze auf ihren Flügen zu blockieren, diese Reservierungen aber 12 Stunden vor Abflug zurückzuziehen, woraufhin die Tickets für diese Plätze frei verkauft werden können.

[hrsg/russland.NEWS]

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