England – Russland: Ballermänner zwischen Fuß und Hand

Er ist wieder am Ball, unser fester, freier Gehirnakrobat für andere Fußballsichtweisen. Nachdem er für uns die EM 2004 begleitet hat, dann die WM 2006, jetzt endlich nach 10 Jahren wieder da. Alexander Kazakow aus seinem geliebten Portugal exklusiv für russland.NEWS.

[Alexander Kazakow] Nach einer Pause von zehn Jahren wieder über russischen Fußball schreiben? Da rattert es facettenreich im Kopf, die Hand hingegen stottert noch. Zum Glück darf ich mit den Händen schreiben. Mit Füßen zu tippen geriete zu einem lächerlichen Unterfangen. Ähnlich dem Fußball, der ebenso zu den Tätigkeiten gehört, die mit den Händen viel besser zu bewerkstelligen sind.

Einen Punkt gewonnen und den Engländern die Wurst vom Brot genommen – ein guter Auftakt. Eingepackt in Krawalle, die vor und nach dem Spiel für Schlagzeilen sorgten. Russland bleibt im medialen Tief. Nach den verletzungsbedingten Ausfällen im russischen Team (Mittelfeldroutinier Igor Denissow und Offensivstar Alan Dsagojew) und dem vergleichsweise hohen Durchschnittsalter der Spieler galt und gilt die ‚Sbornaja’ nicht als Turnierfavorit. Folglich übte sich Trainer Leonid Sluzki vor der EM im Understatement. Die hastige Einbürgerung von Roman Neustädter verstärkte den Eindruck eines Wackelkandidaten.

Folgerichtig wackelte zu Beginn des Spiels die russische Abwehr mächtig. Gefährlich vor dem englischen Tor tauchten russische Stürmer erst in der 17. Minute auf. Die erste Halbzeit dominierte England, deren Fans zur Pause in eindrucksvollen Gesängen vom sicheren Sieg träumten. Zu früh, denn die schlechte Chancenverwertung sollte sich rächen.

Nach dem Wiederanpfiff übernahm Russland die Regie, die ‚Three Lions’ kamen kaum aus ihrer Hälfte. Unsicherheit breitete sich im englischen Spiel aus, sogar ein Eigentor lag in der Luft. Erst in der 70. Minute tauchte Rooney brandgefährlich vor dem russischen Keeper Igor Akinfejew auf, der mit einer Glanzparade den Rückstand verhinderte.

Der russische Fan-Block meldete sich mit Bengalos und Böller, die Fans aus England hielten mit wütenden Gesängen zurück. Dagegen ging es auf dem Spielfeld wie unter Gentlemen zu – eine Gelbe Karte zückte der italienische Schiedsrichter Nicola Rizzoli erst in der  62. Minute. Zehn Minuten später kam es nach einem Freistoß zur insgesamt nicht unverdienten Führung der Briten. Eric Dier, einer der neuen Jungspunde im englischen Team, schien den Fluch der nicht zu gewinnenden Auftaktspiele zu beenden. Schlussmann Igor sah bei dem haltbaren Schuss unglücklich aus. Ein falscher Schritt nach links, weg war der sichere Zugriff per Hand nach halbrechts.

Dass Fuß und Hand sich ergänzen, eben ‚Hand und Fuß’ haben, zeigen nicht nur die Bilder prügelnder Fans. Im Handball laufen die ungleichen Geschwister zu hoher Körperkunst auf – selten schießt ein Team weniger als zehn Tore pro Spielhälfte. Nicht den Hauch einer Chance hätten Fuß- gegen Handballer im gemeinsamen Gegeneinander: Fußball ist das, was man mit den Händen viel besser kann. In der verordneten Behinderung, im hoch justierten  Fehlersystem liegt die weltweit einmalige Faszination des Fußballspiels. Hier kann David Goliath schlagen, der Underdog groß auftrumpfen. Im Handball wird nie ein Drittligist gegen Mannschaften der Ersten Liga gewinnen. Deswegen fehlen ihm die großen Zuschauerzahlen und Fangruppen.

Eine gute Viertelstunde blieb den Russen zum Ausgleichstor. Dass es zu dem noch kommen wird, darauf hätte ich keine Wette gesetzt. Aber wie es König Fußball bekannterlich gefällt – kurz vor dem Abpfiff die Karten neu mischen. Mannschaftskapitän Wassili Beresuzki trifft per Kopf, Britannia bleibt seinem Fluch treu und Russland untermauert seinen Ruf als unberechenbarer Gegner.

Beide sind dem Achtelfinale einen Schritt näher gekommen. Ein versöhnliches Ergebnis nach einem versöhnlichen Spiel mit unversöhnlichen Fans.

Alexander Kazakow aus Lissabon

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