Eine Kolumne von Daria Boll-Palievskaya. Heute: Die persönliche Sicherheit ist den Russen nicht so wichtig

[Dr. Daria Boll-Palievska] Die spinnen, die Russen…

Sie essen Eis bei minus 30 Grad, trinken Wodka aus der Flasche und schlagen sich gegenseitig mit Birkenzweigen in der Sauna. Das weiß ja jedes Kind. Und sie sind die größten Fatalisten auf der Welt. Wahrscheinlich deswegen vertrauen sie auf das Prinzip „Auf gut Glück“ und scheren sich nicht um ihre persönliche Sicherheit. Wie mir ein deutscher Manager, der viele Jahre in Russland tätig war, sagte, den Russen fehle ein Gen – ein Selbsterhaltungsgen Kein Wunder also, dass der Extremsport Roofing in Russland besondere Popularität genießt. Die größte Roofer Community ist die russische. Auf die Frage, warum dieses Spiel mit dem Tod in Russland so beliebt ist, sagte ein Roofer in einem Interview: „No security in Russia“.

Allerdings braucht man nicht unbedingt ein Roofer zu sein, um sein Leben zu gefährden – das Autofahren in Russland ist gefährlich genug. Die russischen Autofahrer lieben zwar dicke Autos, hassen es aber, sich anzuschnallen. Hier liegt wohl der größte Unterschied zwischen den Deutschen, die Sicherheitsfanatiker sind, und den Russen. Der Wahlberliner Wladimir Kaminer brachte es auf den Punkt: „In Deutschland fahren erwachsene korpulente Männer mit dem Helm Fahrrad, und in Moskau schnallt man sich nicht an, wenn man Auto fährt“.

Wer sich kein dickes Auto leisten kann, der kann sein Leben auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln riskieren. Am besten mit dem beliebtesten russischen Transportmittel – dem Sammeltaxi. Diese Kleinbusse verkehren in fast allen russischen Großstädten zusätzlich zu notorisch überfüllten Linienbussen und genießen große Popularität, weil die Passagiere die Haltestellen selbst bestimmen können. In jedem Minivan sind 19 Sitzplätze vorgesehen, das Stehen ist strengst verboten. Doch „Marschrutky“ wie diese Verkehrsmittel auf Russisch heißen, sind immer voll. Keiner kümmert sich darum, ob die Leute stehen oder sitzen. Genau so wenig, wie man sich darum kümmert, einen Fahrschein zu bekommen, obwohl es überall in großen Lettern steht. Man gibt dem Fahrer das Geld, und das wär’s. Die Marschrutky stehen im schlechten Ruf, weil die Fahrer nicht unbedingt alle Verkehrsregeln beachten und sehr viele Unfälle verursachen. Doch zwischen der Chance schneller am Wunschort anzukommen und der Sicherheit wählt der russische Passagier immer die Schnelligkeit. „Es wird schon irgendwie gehen“, dieser Glaube ist den Russen nicht auszutreiben. Und so fahren russische Mütter stehend mit ihren Kindern in überfüllten und unsicheren Sammeltaxen, regen sich aber furchtbar auf, wenn jemand auf die Idee kommt, das Fenster in stinkenden Minibussen aufzumachen – die Kinder könnten sich ja erkälten.

Jetzt muss sich allerdings alles ändern. Die Sammeltaxen werden mit mehreren Kameras und modernsten Sicherheitsanlagen ausgerüstet. Sollte der Fahrer einen Passagier zu viel an Bord nehmen, werden die Bilder in live übertragen und ihm droht eine Strafe oder sogar eine Kündigung. Mit diesen Maßnahmen erhofft man sich die Autounfallstatistik zu bessern. Bis zum Jahr 2021 sollen alle „Marschrutky“ umgerüstet sein.

Ob das einen Durchbruch verschafft, ist allerdings fraglich. Mit den Kameras versucht man in Russland generell gegen Korruption vorzugehen. Ob in Krankenhäusern oder in verschiedensten Ämtern – die Staatsdiener sollen sich beobachtet fühlen. Doch die Russen sind nicht nur Fatalisten, sondern auch sehr erfinderisch, wenn es darum geht, den Staat zu hintergehen. Und so haben die Videoaufnahmen noch nicht die Korruption besiegt. Man darf gespannt bleiben, was sich die Passagiere von Marschrutky einfallen lassen, um weiterhin allen Regeln zu trotzt stehend zu fahren. Denn schon der große russische Dichter Nikolai Gogol hat sich gefragt: „Welcher Russe mag das schnelle Fahren nicht?“

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