Diskussionsrunde im ZDF: Russlanddeutscher AfD-Politiker wirft CDU Verrat von Prinzipien vor

[von Julian Müller] Allmählich nimmt der Wahlkampf in Deutschland Fahrt auf, wird doch am 24. September ein neuer Bundestag gewählt. Grund genug für ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, sich in ihrer Sendung vom 9. August dem Wahlverhalten der Aussiedler und Spätaussiedler zu widmen, welche mit 3,2 Mio. Angehörigen (größtenteils Russlanddeutsche) die bedeutendste Gruppe unter den wahlberechtigten Zuwanderern darstellen. Vor der Diskussion mit Waldemar Birkle (Bundestagskandidat der AfD), Heinrich Zertik (einziger russlanddeutscher Bundestagsabgeordneter der CDU) und dem Journalisten Hajo Schumacher wird ein Bericht aus Pforzheim-Heidach eingespielt, wo 90 Prozent der Bewohner Russlanddeutsche sind.

Dort erreichte die AfD bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 49,3 Prozent der Stimmen, die CDU dagegen verlor 42 Prozentpunkte. Laut Bericht seien unter den Aussiedlern insbesondere die Spätaussiedler von der Bundesrepublik Helmut Kohls geprägt worden, welche ihnen ein Zuhause versprochen habe. Auch politisch seien die Spätaussiedler aufgrund ihrer konservativen Grundhaltung gut mit Kohls CDU klar gekommen. Insbesondere die Flüchtlingspolitik Angela Merkels habe dies geändert – hinzu komme die stetige Liberalisierung der Familienpolitik der CDU. Das Familienbild der Russlanddeutschen sei konservativ – ausgerichtet auf die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern.

Einem seit 50 Jahren der CDU angehörenden Pforzheimer Stadtrat zufolge seien vier Punkte  maßgeblich für die Attraktivität der AfD bei Russlanddeutschen: Das traditionelle Familienbild, die damit verbundene Ablehnung von Lesben und Schwulen, das Engagement gegen Überfremdung und das Eintreten für Sicherheit. Schließlich wird Waldemar Birkle vorgestellt, welcher als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland gekommen ist, für den Wahlkreis Pforzheim in den Bundestag einziehen möchte und sich wie folgt einlässt: „Die CDU ist mit ihren Prinzipien fremd gegangen. Die Aussiedler sind ihren Prinzipien treu geblieben“.

Lebhafte, leider zu kurze Diskussion

Dunja Hayali eröffnete die Gesprächsrunde mit der Frage, ob es nicht absurd sei, dass eine Zuwanderergruppe genauso denkt wie eine Partei, welche integrationsfeindlich ist. Waldemar Birkle stellte zunächst die Integrationsfeindlichkeit seiner Partei in Abrede und führte anschließend aus, dass es Unterschiede zwischen Asylbewerbern und Russlanddeutschen gebe: Die Russlanddeutschen seien aufgrund ihrer Herkunft in der Sowjetunion unterdrückt worden und dementsprechend nach Deutschland gekommen, um ihre deutsche Identität auszuleben – dabei sei es nicht um die wirtschaftliche Verbesserung ihres Lebens gegangen.

Weiter ging es mit einer Frage an Hajo Schumacher: Ist es eine logische Konsequenz, dass die Russlanddeutschen unter den aktuellen Umständen von der CDU zur AfD wandern? Antwort: Kohl habe mit seinem Patriotismus ins Bild der Russlanddeutschen gepasst, Merkel dagegen sei ihnen aufgrund ihrer transatlantischen und internationalistischen Haltung fremd. Im Zuge der Fortentwicklung der CDU hin zu einer modernen Partei sei es seitens der Russlanddeutschen zu einem Prozess der Entfremdung gekommen.

Im Anschluss daran sollte der CDU-Abgeordnete Zertik darlegen, was seine Partei mit Blick auf die Russlanddeutschen falsch gemacht habe. Dieser betonte die Unterschiede zwischen Kohl und Merkel und verwies darauf, dass er trotz der Entfremdung vieler Russlanddeutscher mit der CDU zu seiner Partei stehe, welche sich für Recht und Ordnung einsetze. Bezüglich der Frage nach den Fehlern der CDU sekundierte Schumacher: Obgleich die Russlanddeutschen über Jahre eine bedeutende Wählergruppe der CDU dargestellt hätten, seien sie nicht in Präsidium und Vorstand der Partei vertreten wie etwa die Vertriebenen. Dunja Hayali ergänzte an dieser Stelle: Neben diesem Aspekt gehe es vor allem um die inhaltliche Ausrichtung.

Nun war wieder AfD-Mann Birkle an der Reihe: Sind Russlanddeutsche die „besseren“ Deutschen? Er erwiderte, dass die Russlanddeutschen stets von einem deutschen Leben geträumt hätten und nun an alten Traditionen festhalten und ihre deutsche Identität ausleben würden. Auf Grundlage von Schilderungen, denen zufolge viele Russlanddeutsche den Gebrauch der russischen Sprache pflegen würden, fragte die Moderatorin nach möglichen Parallelgesellschaften. Birkle entgegnete, dass seine Partei niemandem dem Gebrauch der Muttersprache vorenthalten wolle. Parallelgesellschaften würden sich nicht über die Sprache definieren, sondern darüber, ob die Ordnung des Grundgesetzes abgelehnt werde.

Zum Schluss wurde in der Diskussion thematisiert, inwiefern sich die Belange der Russlanddeutschen im Wahlprogramm der AfD wiederfinden. Hajo Schumacher vertrat den Standpunkt, dass sich die AfD in dieser Hinsicht erst noch beweisen müsse – die CDU dagegen setze sich beispielsweise konkret dafür ein, dass die Russlanddeutschen einen Ausgleich bezüglich ihrer Rentenungerechtigkeiten erhielten. Birkle erwiderte darauf, dass die CDU hinsichtlich der Russlanddeutschen nur Versprechungen mache, aber nichts einhalte. Die AfD sei nicht die Partei der Aussiedler, sondern die Partei für alle, welche konservative Werte in Deutschland leben wollen – somit würden die Russlanddeutschen im Wahlprogramm nicht gesondert thematisiert. Zudem habe man sich bislang noch nicht an der Macht beweisen können.

Nach nicht einmal 15 Minuten unterbrach Dunja Hayali die interessante Diskussion, um zum nächsten Thema überzugehen. Schade – über das Thema hätte man mit den anwesenden Gästen noch bedeutend länger und vor allem detaillierter Reden können. Die Sendung befindet sich noch bis August 2018 in der ZDF Mediathek und kann dort jederzeit angeschaut werden.

[Julian Müller/russland.NEWS]

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